Wir haben einen Experten gefragt

Der Chef ruft in der Freizeit an! Muss ich ans Telefon gehen?

von Amina Gall und Anne Heimer

Sorry, niemand erreichbar!

Dank eines neuen Gesetzes müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Australien nicht mehr in ihrer Freizeit für ihre Chefs erreichbar sein. Auch in Deutschland schlägt vielen die ständige Erreichbarkeit auf die Gesundheit – aber was darf der Chef hierzulande überhaupt?

Freizeit ohne Arbeitsstress

Viele Australierinnen und Australier dürfen ab sofort am Ende des Arbeitstages im wahrsten Sinne des Wortes abschalten: Ein neues Gesetz räumt Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das Recht ein, in ihrer Freizeit für ihre Vorgesetzten nicht erreichbar zu sein. Sie dürfen sich sogar weigern, auf Kontaktversuche zu reagieren. Das sogenannte „Fair Work Legislation Amendment“ war im Februar vom Parlament verabschiedet worden.

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Beschäftigte in mittleren und großen Unternehmen können also jetzt ihre Mobiltelefone nach Feierabend ausschalten und müssen auch nicht mehr auf E-Mails reagieren. Für Angestellte in Firmen mit weniger als 15 Mitarbeitern treten die neuen Regeln erst in einem Jahr in Kraft. Aber es gibt Ausnahmen: In bestimmten Fällen gilt das Ignorieren der Kontaktversuche als unangemessen, zum Beispiel wenn der Chef wegen eines arbeitsbedingten Notfalls anruft, wie der Sender 9News berichtete.

„Es ist auch eine Frage der psychischen Gesundheit”

„Wir möchten sicherstellen, dass Menschen, die nicht 24 Stunden am Tag bezahlt werden, auch nicht 24 Stunden am Tag arbeiten müssen“, sagte Premierminister Anthony Albanese in einem Interview mit dem australischen Rundfunksender ABC. „Es ist auch eine Frage der psychischen Gesundheit, denn es geht darum, dass die Menschen von ihrer Arbeit Abstand gewinnen und sich wieder ihrer Familie und ihrem Leben widmen können.“

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Muss ich rangehen, wenn mein Chef anruft? Das ist die Lage in Deutschland

Was in Australien jetzt neu eingeführt wurde, gilt in Deutschland eigentlich schon: „Der Chef darf Mitarbeitende in der Freizeit eigentlich nicht anrufen“, erklärt Rechtsanwalt Arndt Kempgens. Prinzipiell müssen Vorgesetzte dafür sorgen, dass auch die Planung der nächsten Tage während der Arbeitszeit erfolgt. Aber was, wenn jemand plötzlich krank wird und der Chef Ersatz braucht? „Dann ist es im Einzelfall zulässig, auch einen einzelnen Anruf oder eine einzelne WhatsApp zu machen“, sagt Kempgens.

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Diese Regelung gilt für den Chef, er darf also nur in ganz bestimmten Fällen versuchen, den Arbeitnehmer zu erreichen. Aber wie sieht es beim Arbeitnehmer aus: Muss man ans Telefon gehen, wenn der Chef anruft? „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen grundsätzlich in der Freizeit nicht erreichbar sein“, erklärt der Experte. Wer nicht ans Telefon geht oder die Mails nicht checkt, könne deswegen also nicht gekündigt oder abgemahnt werden.

Diese Ausnahmen gibt es

Wer Rufbereitschaft hat, muss – das sagt ja schon der Name – allersgings für seinen Arbeitgeber erreichbar sein. In bestimmten Fällen kann eine vertragliche Nebenpflicht zur Erreichbarkeit auch außerhalb der klassischen Arbeitszeit bestehen - zum Beispiel bei Führungskräften. (mit dpa)