Sie will, dass die Wahrheit gewinnt - und soll 10.000 Euro Strafe zahlen

"Wo ist das Geld geblieben?" Pflegerin Wiola kämpft gegen polnische Vermittlungsagentur

Um Sozialabgaben gebracht: Wo ist Wiolas Geld? Pflege-Abzocke
03:32 min
Pflege-Abzocke
Um Sozialabgaben gebracht: Wo ist Wiolas Geld?

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von Angelique Geray und Mareile Höppner

Nachdem es RTL-Reportern in monatelanger Recherche gelungen ist, das betrügerische Ausbildungsmodell einer deutschen Vermittlungsagentur für „24-Stunden-Betreuung“ aufzudecken, haben sich zahlreiche Zuschauer bei uns gemeldet. Unter ihnen auch viele Betreuer und Betreuerinnen, die von ähnlichen Machenschaften betroffen sind. Eine von Ihnen ist Wiola, die in Breddorf bei Bremen arbeitet.

Unstimmigkeiten in den Verträgen

Über eine große polnische Vermittlungsagentur namens Bonviro wurde Wiola als sogenannte 24-Stunden-Betreuerin nach Deutschland entsandt, um Hartmuts Drewes demenzkranke Mutter zu pflegen – das klappt zunächst relativ gut. Doch den beiden fallen Unstimmigkeiten in ihren Verträgen auf. „Zum Beispiel, dass ich was bezahlen muss, was in den Verträgen nicht drinsteht“, erzählt Hartmut uns. „Frage ich mich natürlich, wo bleibt dieses Geld?“

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Wiola vertraut Hartmut an, dass ihr nur ein Teil ihres Gehalts ausbezahlt wird. Zudem sollen Sonn- und Feiertagszuschläge nicht auf ihrem Konto gelandet sein, obwohl Hartmut für das alles bezahlt hat. Außerdem soll die Agentur zu wenig Sozial- und damit Rentenabgaben für Wiola bezahlt haben. Wie das Modell im Detail aussieht und warum es dadurch erst für Kunden attraktiv wird, sehen Sie im ersten Teil der Reportage oben in diesem Artikel.

Wiola will nur eines: „Die Wahrheit muss gewinnen“

Doch ihre Agentur ist sich bis heute keiner Schuld bewusst. Irgendwann haben Wiola und Hartmut, die mittlerweile ein Paar sind, sich entschieden, an die Öffentlichkeit zu gehen. Auf Facebook hat Wiola in Gruppen auf die Missstände in dem Unternehmen hingewiesen – und wird daraufhin wegen Verleumdung angezeigt. Sie ist verzweifelt: 10.000 Euro Strafe soll sie bezahlen – für sie eine enorme Summe. Doch das Paar will der Agentur gemeinsam die Stirn bieten. Wiola will nur eines: „Die Wahrheit muss gewinnen.“ Und dass eine große Vermittlungsagentur wegen ein paar Facebook-Einträgen so rabiat gegen ihre Angestellten vorgeht, kommt auch uns sehr komisch vor. Das Paar gibt uns ihre Unterlagen und Belege – wir zeigen im nächsten Video, um was es hier wirklich geht:

Betroffene will nur eines: "Die Wahrheit muss gewinnen" Pflege-Abzocke
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So funktionieren die dubiosen Geschäftspraktiken

Wir begleiten Wiola und Hartmut zur gerichtlichen Anhörung im polnischen Gleiwitz und versuchen dort auch ihren Arbeitgeber Bonviro zur Rede stellen. Der Journalist Lukasz Grajewski hilft uns bei den Recherchen, denn er kennt sich aus mit den dort ansässigen Pflegevermittlungsagenturen. Er weiß: Im November 2020 gab es eine bundesweite Razzia in Polen und Deutschland. Im Fokus stand damals die Vermittlungsagentur Pronobel, wegen illegal beschäftigter Mitarbeiter. Mehrere deutsche Partnerfirmen wurden durchsucht und Beweise sichergestellt – die Ermittlungen dauern bis heute an. Von diesem Image-Schaden hat sich die Firma Pronobel nicht mehr erholt, schon kurz danach war sie nicht mehr aktiv.

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Dafür taucht dann eine neue Firma auf: Bonviro. Neue Firma, weiße Weste? Wir haben uns das Unternehmen genauer angesehen. Das Angebot auf ihrer Internetseite klingt erst mal makellos: Gute Bezahlung, europäische Krankenversicherung und faire Verträge für Betreuerinnen. Doch die Papiere mit den blumigen Versprechen werden in der Branche auch Müllverträge genannt: Betreuerinnen hier haben des Statuts von Freiberuflern – ohne jegliche Arbeitsschutzrechte. Ein Blick in Wiolas Vertrag zeigt außerdem einen Trick – der Agentur Geld spart und Wiola dabei um ihre Rente bringt. Wie der funktioniert und wie der Gerichtstermin für Wiola verlief, sehen Sie im letzten Teil:

So funktionieren die dubiosen Geschäftspraktiken Pflege-Abzocke
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Wiolas Kampf könnte Vorbild werden

Wir konfrontieren die Geschäftsführerin der Agentur Bonviro, Marta M., mit den Vorwürfen, fragen sie, was sie mit dieser Anklage bezwecken will. Mit uns reden möchte sie aber definitiv nicht. Bei Wiola und Hartmut hat sich nach diesem Termin zum ersten Mal Erleichterung breit gemacht, obwohl es noch keine Entscheidung gibt. Mindestens fünf weitere Termine sind angesetzt, bevor das Gericht über Recht oder Unrecht in ihrem Fall entscheidet. Wiolas Kampf gegen die Vermittlungsagentur ist zwar noch lange nicht vorbei – könnte aber ein Vorbild sein für andere ausländische Betreuerinnen in der 25-Stunden-Pflege. (ija)