Wir treffen Mike, einen Vater, dessen Sohn vor fünf Jahren entführt wurde. Seitdem gibt es kein einziges Lebenszeichen von der Mutter – sie ist seit Dezember 2020 untergetaucht.
OT Mike
Für die Suche nach seinem Sohn holt sich Mike professionelle Hilfe – bei Klaus Nachtigall, einem ehemaligen LKA-Beamten. Er ermittelt immer wieder in Fällen von Kindesentführungen.
O-Ton Klaus Nachtigall:
„Wir haben wirklich häufig Fälle, in denen ein deutsches Elternpaar betroffen ist – und ein Elternteil das Kind ins Ausland bringt und jeden Kontakt abbricht.“
Paul, Mikes Sohn, wurde verschleppt. Kurz nachdem Mike beim Familiengericht das gemeinsame Sorgerecht zugesprochen bekam, verschwand die Mutter mit dem Jungen.
OT Mike:
„Die Mutter kommunizierte am Anfang noch per Mail… das ist jetzt drei Jahre her.“
Gesehen hat Mike seinen Sohn zuletzt, als Paul elf Jahre alt war.
Wenn ein Elternteil ein Kind entführt, greift das Strafrecht:
§ 235 StGB – Entziehung Minderjähriger.
O-Ton Nachtigall zu §235
Im vergangenen Jahr wurden rund 400 Kinder ins Ausland gebracht, teilt das Bundesjustizministerium mit. Für solche Fälle existiert das Haager Kindesentführungsübereinkommen: Entführte Kinder sollen unverzüglich in ihr Heimatland zurückgebracht werden.
Darauf hofft auch Mike – doch vergeblich.
Verschiedene Gerichte schieben sich den Fall zu. Bis heute weiß er nicht, in welches Land die Mutter gereist ist.
OT Mike:
„In den inzwischen 700 Seiten Akten ist nicht erkennbar, ob jemand die Flugbewegungen der beiden abgefragt hat.“
Mike beginnt selbst zu recherchieren. Tagelang sucht er im Internet, probiert Suchbegriffe, durchforstet soziale Netzwerke. Dann – ein Treffer: 2024 sieht er seinen Sohn erstmals wieder, in einem Video beim Fußballspielen.
OT Mike:
„Man sieht: Das Kind lebt… ich habe nur keinen Kontakt.“
Über die Behörden wird es schließlich bestätigt:
Mutter und Sohn sind am Tag des Verschwindens – am 12. Dezember 2020 – nach Mexiko ausgereist. Das geht aus den Ausreisedaten der Bundespolizei hervor.
Die Behörden hätten also längst wissen können, wo sich Paul wahrscheinlich befindet.
Nach 1.700 Tagen will Mike seinen Sohn endlich wiedersehen.
Mike reist nach Mexiko. Dort meldet sich auch die Staatsanwaltschaft: Sie will einen internationalen Haftbefehl gegen die Mutter erwirken – aber nur für Europa, nicht für Mexiko. Die Begründung:
Es könne nicht im Interesse der deutschen Strafverfolgungsbehörden und auch nicht im Interesse des Vaters sein, dass das minderjährige Kind ohne Betreuung wäre, sollte die Mutter in Mexiko festgenommen werden.
Mike wartet drei Monate auf eine Entscheidung.
Dann bestätigt auch ein mexikanisches Gericht das Urteil des deutschen Familiengerichts: Der Vater hat Anspruch auf Kontakt zum Sohn. Doch die Behörden wollen zuerst die Mutter informieren – ein riskanter Moment, denn sie könnte erneut fliehen.
Der Anwalt rät Mike, schnell zu handeln – ohne Vorwarnung.
OT Mike:
„Schweiß an den Händen… Fünf Jahre Suche scheinen zu Ende zu gehen.“
Gemeinsam mit Anwalt und Psychologen fährt Mike zum Wohnhaus.
Es fühlt sich an wie ein Showdown:
Wie wird Paul reagieren, nach fünf Jahren, nach 1.700 Tagen ohne Kontakt?
Mike ist nervös.
Die Tür öffnet sich.
OT Mike:
„Paul… Paul, ich mache mir Sorgen.“
Der Junge verschwindet sofort hinter einer Tür, schließt ab.
**OT Mike:**
„Paul, bitte komm…“
Doch später, am Abend, erfüllt sich Mikes sehnlichster Wunsch doch noch:
Auf einer Parkbank vor dem Haus spricht er zum ersten Mal wieder mit seinem Sohn.
Das Wiedersehen – überraschend, überfordernd, emotional.
OT Mike:
„Am Anfang war er erschrocken und wollte wissen, ob er jetzt, heute oder morgen wegmuss. Das war seine erste Frage: ‚Wirst du mein Leben zerstören?‘“
Eine schwierige, hochemotionale Situation.
**OT Mike:**
„Heute gehe ich mit dem Gefühl ins Bett, dass das hier doch eher ein Erfolg war und dass wir morgen vielleicht endlich weiterkommen und wieder direkt kommunizieren können.“
Vater und Sohn verabreden sich für den nächsten Tag. Paul verspricht, wiederzukommen. Doch er erscheint nicht.
Am Abend fährt Mike erneut zur Adresse. Die Lage eskaliert. Mehrere Männer stehen vor dem Haus, Paul ist nicht zu sprechen. Mike ruft die Polizei.
OT Mike – Handyvideo: „Jetzt haben wir hier zwei bewaffnete Polizisten vor Ort, und ich hoffe, dass endlich mit dem Kind oder der Mutter geredet wird. Sonst geht hier gar nichts voran.“
Mike sieht seinen Sohn an diesem Abend nicht wieder.
Ob Paul nicht wollte – oder nicht durfte –, bleibt unklar.
Mein Kollege lässt der Mutter einen Brief da, auch ich schreibe ihr aus Deutschland. Wir geben ihr die Chance, ihre Sicht zu erklären.
**Unsere Fragen:**
Warum ist sie untergetaucht?
Warum lebt ihr Sohn unter falschem Namen – als wäre er auf der Flucht?
Bereut sie ihr Handeln?
Würde sie heute anders entscheiden?
Geht es ihr um das Wohl des Kindes – oder darum, sich selbst der Strafverfolgung zu entziehen?
Wir erhalten keine Antwort.
Mike hat als Vater viel Zeit verloren. Paul hat in Mexiko noch einen Aufenthaltsstatus bis März 2026.
Die Mutter lebt ohne gültigen Status im Land.
Was die mexikanischen Behörden nun tun werden, ob die Polizei weiterermittelt – Mike weiß es nicht.
Er reist zurück nach Europa.
Und hofft, dass sein Sohn sich irgendwann bei ihm meldet.