Es gibt Geschichten, die mich als Reporterin nicht loslassen. Ich bin auf dem Weg zu einer Zuschauerin, die ich schon vor Jahren unterstützt habe – und zu dem Arzt, der ihr Leid verschuldet hat.
Susi Steinhöfer war nach einer OP wochenlang in Lebensgefahr. Vor Gericht hat sie gegen den dubiosen Schönheitschirurgen gewonnen. Jetzt bittet sie mich erneut um Hilfe. Denn der Arzt scheint sich um Gerichtsurteile nicht zu kümmern– und macht einfach weiter.
Vor vier Jahren habe ich Susie zum Prozessauftakt gegen ihren Arzt begleitet. Im Gericht trifft sie zum ersten Mal seit der missglückten OP persönlich auf ihn. Eine nicht richtig durchgeführte Bauchdeckenstraffung hätte Susie fast das Leben gekostet
"Ich hab drei kleine Kinder. Die hätten fast ohne Mutter dagestanden. Und der nimmt das einfach so in Kauf, dass man stirbt. Das ist ihm egal."
Auch ich selbst habe damals Beweise gesammelt – auf ungewöhnliche Art. Mit versteckter Kamera trete ich in der Privatklinik des Arztes als angebliche Patientin auf. Es ist halb acht abends. Zwei deutschsprachige Patienten kommen mir entgegen. Dann bin ich dran.
Ich erkundige mich nach einer Lidstraffung. Die Haut um meine Augen begutachtet der Arzt nicht näher. Aufklärung zu möglichen Risiken gibt es nicht. Dafür ein spontanes OP Angebot – für den nächsten Morgen.
"Und muss ich vorher noch irgendwelche Untersuchungen machen, oder?" – "Na, sie sind gesund und eine junge Frau. Dann nicht." – "Naja, jung … aber ok."
25 EURO – in bar – muss ich zahlen für das Gespräch. Es hat keine fünf Minuten gedauert. Das alles ist unseriös. Problem: Dieser Arzt arbeitet in Tschechien. Er wirbt gezielt um deutsche Patientinnen, doch wenn die nach misslungenen Eingriffen gegen ihn vorgehen wollen, wird es kompliziert.
Susi war vor Gericht erfolgreich – eigentlich. Heute zeigt sie mir, was sie erreicht hat. Es geht unter anderem um sehr viel Geld.
"Das ist das Urteil, auf das Sie vier Jahre lang hingearbeitet haben." – "Genau."
In der Urteilsbegründung benennt die verantwortliche Richterin die Verfehlungen des Arztes sehr direkt. Er habe eine OP-Methode gewählt, die – Zitat – ungeeignet gewesen sei und nicht dem Stand der Technik entsprochen habe. Sein Verhalten deute auf einen unentschuldbaren Mangel an Professionalität hin. Doch das ist nicht alles.
"Es ist ja nicht nur so, dass er Ihnen und das muss man ja dazu sagen, das sind in der Zwischenzeit 80.000 Euro die da aufgelaufen sind mit Zinsen, Krankenkasse, Gerichtskosten und so weiter, dass er Ihnen dieses Geld schuldet, sondern wir haben ja auch rausgefunden, dass es weitere Frauen gibt, die mit Urteil dastehen aber ohne Geld." – "So ist es. Vier weitere Frauen und ein Prozess läuft aktuell. Doch auch dieser Frau wird ein Urteil nichts nutzen, wenn er nicht zur Rechenschaft gezogen wird."
Nur so viel vorab: Wir werden gleich bei der tschechischen Staatsanwaltschaft noch einiges in Gang setzen und einen möglichen Betrug des Arztes aufdecken. Ich stehe in Kontakt mit insgesamt sieben seiner Patientinnen – alle OPs hatten schlimme Folgen. Mit einer der Frauen sind wir jetzt verabredet.
Kathy kommt aus Tschechin. Auch sie hat eine misslungene Bauchdeckenstraffung bei Susies Arzt hinter sich. Und auch sie wäre fast gestorben an den Folgen. Kathy hat Bilder mitgebracht. Darauf zu sehen: ihre durch Keime entzündete OP-Wunde. Das Hinsehen fällt Susie schwer – schlimme Erinnerungen kommen zurück.
"Sie haben das einfach abgeschnitten, diese Haut und sie konnten mich gar nicht richtig zusammennähen." – "So sah das bei mir auch aus, am Anfang." Der Weg damals mit Susie in ihr Bad – einer der Momente, die mich bis heute bewegen. Vor Gericht haben Susie und Kathy beide gewonnen. Auf Entschädigung warten sie bis heute. Das will ich ändern.
Wir halten uns morgen an das Gericht. Wir gehen zur Staatsanwaltschaft und wir gehen zur Polizei. Damit auch klar ist, das ist kein Einzelfall.
Vorher möchte ich verstehen – wie hat der Arzt es geschafft, sich vor den Entschädigungszahlungen zu drücken? Seine damalige Klinik hat er offenbar an einen Nachfolger überschrieben, Immobilien und Vermögen an seine Frau – und das WÄHREND drei Prozesse gegen ihn liefen!
Ich will den Arzt zur Rede stellen. Sein Name steht noch auf dem Klinikschild, auch wenn die Klinik selbst inzwischen umbenannt wurde. Einem Gerichtsvollzieher soll der Arzt gesagt haben, er habe kein eigenes Einkommen. Trotzdem scheint er hier weiter zu operieren.
"Hallo, mein Name ist Ann Heigl für RTL aus Deutschland. Ich hätte gern mit Herrn Dr. ... gesprochen." – "Er hat Patienten." – "Wir warten vor der Tür."
Die Arzthelferin sagt zu, den Arzt zu informieren. Als sie zurückkommt, wirkt sie deutlich weniger kooperativ. "Können Sie ihn einmal fragen, ob er spricht mit mir?" Die Tür bleibt für uns zu, auch meine schriftliche Bitte um Stellungnahme wird unbeantwortet bleiben. Zeit für den nächsten Schritt.
Wir haben selbst gehört, dass der dubiose Arzt weiterhin Patienten hat. Kathy und Susi schuldet er eine Menge Geld. Jetzt werden wir ihn erneut anzeigen – wegen Betrugs. Gut eine Stunde nimmt sich der verantwortliche Staatsanwalt Zeit. Noch in unserem Beisein kontaktiert er die Kriminalpolizei.
"Gut, das war viel. Ich habe schon den Eindruck, dass wir ernst genommen wurden hier. Dass er sich auch eingesetzt hat für uns bei der Kriminalpolizei." – "Und das ist schonmal ein großer Schritt weiter."
Und ich werde jetzt noch etwas herausfinden, was mich wirklich sprachlos machen wird. Ich habe mich gefragt, wie immer noch so viele deutsche Patienten ausgerechnet auf diesen Arzt in Tschechien kommen.
Meine Kollegin Jung Quan vom RTL-Verifizierungsteam hat deshalb sogenannte Vermittlungsagenturen im Internet überprüft, die auf Deutsch für den Arzt werben. Dieses Foto einer angeblichen Vermittlerin ist ein sogenanntes Stockfoto – jeder kann es im Internet für Werbezwecke kaufen.
Aber dann ging es ja noch weiter. Denn von der Frau gibt es ja noch eine Unterschrift. Kannst Du da mal ganz kurz sagen, wie Du vorgegangen bist? "Genau, das fand ich nämlich auch merkwürdig. Da siehst Du auch schon meinen Bildschirm. Hier hab ich die Unterschrift und lade das Bild in der Suchmaschine hoch und schaue, ob es irgendwelche Übereinstimmungen oder ähnliche Bilder gibt. Und kam ziemlich schnell auf ein Ergebnis. Sie gehört Napoleon Bonaparte. Also hier wurde eine historische Unterschrift einfach missbraucht." – "Ok, krass."
Nur eine von drei überprüften Vermittlungsagenturen hat sich als durchweg vertrauenswürdig herausgestellt. Mit den Betreibern stehe ich aktuell im Austausch. Denn Susies Ziel war es auch, diesen Arzt endlich zur Verantwortung zu ziehen – jetzt sind wir einen wichtigen Schritt weiter.
"Ohne Eure Hilfe wäre ich so weit gar nicht gekommen." – "Das heißt Du bist jetzt auch erstmal zufrieden mit dem Punkt, an dem wir stehen und wir gehen weiter." – "Auf den Fall." – "Wir bleiben in Kontakt."
Auch der Staatsanwalt hat Wort gehalten, die Ermittlungen gegen den Arzt laufen. Ich werde dranbleiben an dem Fall – bis die Betroffenen endgültig abschließen können.