Nach 30 Jahren ohne AusbildungCorinna ist jetzt Kauffrau – dank neuem Gesetz

von Amina Gall, Anna Schwarzer und Jessica Sindermann

Dass sie es kann, weiß sie!

Jetzt hat sie es auch schwarz auf weiß: Nach 30 Jahren im Job hat Corinna Rathsmann jetzt ein Zertifikat, das ihre Fähigkeiten mit denen einer ausgebildeten Kauffrau für Büromanagement gleichsetzt. Ihr Weg – und wie das jetzt auch für andere möglich sein wird.

„Bin bisher so durchgekommen“

Vor 30 Jahren wollte Corinna Rathsmann Kauffrau werden. Sie hat fleißig gelernt, aber in den Bereichen Stenografie und Buchhaltung schafft sie es einfach nicht – und fällt durch ihre Prüfung. Jobs im Büro hat sie seither aber trotzdem gehabt: „Ich habe immer mit offenen Karten gespielt“, die Ausbildung habe sie ja, ungelernt sei sie nicht. Auf Jobs, bei denen es um Buchhaltung oder das Stenografieren ging, hat sie sich einfach nicht beworben – und ist so ganz gut durchgekommen, sagt sie. „Aber immer mit dem Gefühl, ich kann nicht beweisen, dass ich es kann.“ Und das, obwohl Corinna mehrere Jahrzehnte Berufserfahrung hat.

Als die 51-Jährige von ihrem Arbeitgeber erfährt, dass sie sich genau diese Berufserfahrung jetzt anrechnen lassen kann, ist Corinna sehr interessiert. Möglich gemacht hat das das sogenannte Valikom-Verfahren: Menschen ohne formalen Berufsabschluss können sich so ihre Kompetenzen zertifizieren lassen. Damit können sie endlich ganz offiziell nachweisen, was sie alles können.

Neues Gesetz ermöglicht Anerkennung

Was Corinna durch das Valikom-Verfahren machen konnte, ist jetzt für viele weitere Menschen möglich. Seit 1. August ist das Berufsvalidierungsgesetz in Kraft. Dadurch können jetzt ungelernte Arbeiter ihre Berufserfahrung anrechnen lassen. „Wir haben nach wie vor in Deutschland viele Menschen, die über Berufserfahrung Kompetenzen aufbauen, diese aber nicht nachweisen können“, sagt Arbeitsmarktexpertin Melanie Arntz. Dadurch haben sie nicht nur Nachteile auf dem Arbeitsmarkt, Menschen mit der nötigen Erfahrung, aber ohne Qualifizierung können auch keine Anschlussqualifizierungen erwerben. Die Berufsvalidierung sei ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel, sagt Arntz. Hürden würden so abgebaut werden und es sei nun leichter, sich auch nach der Validierung weiterzubilden. Das neue Gesetz sorgt für so mehr Flexibilität.

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Die Kompetenzen, die jemand durch seine Berufserfahrung hat, werden von den Kammern geprüft. Voraussetzung: Man muss über 25 Jahre alt sein und mindestens das Anderthalbfache der Ausbildungszeit bereits gearbeitet haben. Dauert eine Ausbildung also drei Jahre, muss man viereinhalb Jahre Berufserfahrung vorweisen. Arntz geht davon aus, dass die Validierung sich an der Gesellenprüfung orientieren wird, die aus einem praktischen und einem theoretischen Teil besteht. Das Besondere: Auch für Teilkompetenzen kann man ein Zertifikat bekommen.

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Corinnas Weg zur Kauffrau

Corinna hat die Validierung schon hinter sich. Der Weg dahin war aufwändig: Einen 21-seitigen Selbsteinschätzungsbogen musste sie ausfüllen, ebenso einen umfangreichen Lebenslauf, Gespräche, Hausaufgaben, Präsentationen. „Ich habe meinen Urlaub genutzt und da die Präsentationen vorbereitet“, sagt Corinna. Unterstützt wurde sie auch von einem Azubi, der den Beruf lernt, den Corinna seit Jahrzehnten macht. Das Prozedere „war nicht ohne“ sagt Corinna: Allein die abschließende Bewertung habe sieben Stunden gedauert. Der Aufwand hat sich aber gelohnt. Ihren aktuellen Job muss Corinna leider verlassen – sie war nur als Elternzeitvertretung dort. Jetzt, mit der Validierung in der Tasche, ist sie sich aber sicher, dass sie schnell etwas finden kann.