Das sagen BetroffeneArbeitspflicht für Bürgergeld-Empfänger? Das finden nicht alle gut

von Nils Meißner, Nadja Pia Wagner und Ulrich Vonstein

Deutschland diskutiert über das Bürgergeld.
Erste Kommunen denken darüber nach, eine Arbeitsverpflichtung für Empfänger einzuführen. Ist das realistisch und durchsetzbar? stern.tv hat eine arbeitslose Familie besucht. Die Nitschkes berichten über ihre Alltagsprobleme, was sie sich anhören müssen und wie sie mit der Situation umgehen.

Arbeitssuche „als Mutter ein Riesenproblem”

Die Nietzsches sind eine Patchworkfamilie aus Recklinghausen. Sie wollen gemeinsam frühstücken. Gar nicht so leicht mit vier Kindern. Mutter Angelina ist das gewohnt. „Ich war vorher alleinerziehend mit einem Kind, und da war es schon manchmal ein bisschen schwierig, alles unter einen Hut zu bekommen. Aber jetzt habe ich einfach gemerkt, dass es noch viel anstrengender ist“, erzählt sie.

Grafik: Pro Monat hat die sechsköpfige Familie 2006 Euro zur Verfügung
Pro Monat hat die sechsköpfige Familie 2006 Euro zur Verfügung
stern.tv

Angelina Nitschke bekommt seit drei Jahren Bürgergeld. Als Mutter sei die Arbeitssuche ein „Riesenproblem“, findet die gelernte Einzelhandelskauffrau. Man müsse erst mal einen Arbeitgeber finden, „der sagt Okay, ich nehme sie mit vier Kindern.“ Das wäre mit mehr Zeit der Betreuung der Kinder „definitiv möglich“. Aber dafür wiederum bräuchte sie erst einmal Arbeit. Ein Dilemma.

Nitschkes hören oft, „dass wir faul sind”

Dass die Familie abhängig vom Staat ist, obwohl beide Elternteile arbeitsfähig sind, bringt den Nitschkes oft Kritik ein. „Da kommen schon einige nette Aussagen und Kommentare zusammen, dass wir faul sind“, sagt Angelina.

Lese-Tipp: RTL-Reporterin Carolin von der Groeben lebt einen Monat lang von Bürgergeld

Ehemann Jan Nitschke hat keine Berufsausbildung. Deswegen macht er jetzt eine dreijährige Umschulung zum Fachinformatiker. Die bezahlt das Jobcenter und obendrauf gibt’s noch eine monatliche Prämie über 150 €. Seine Erfahrung: „Viele Arbeitsangebote, die das Jobcenter Arbeitslosen macht, passen einfach nicht.“ Er kenne „Leute, die wirklich händeringend Arbeit suchen, aber einfach keine finden.“

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Arbeitspflicht für Bürgergeld-Empfänger? „Wenn man anfängt, Leute zu zwingen, wird unweigerlich Gegendruck erzeugt”

Das Paar ist seit 2020 verheiratet. Die Miete für die 5,5-Zimmerwohnung bezahlt das Amt direkt an den Vermieter. Die sechsköpfige Familie erhält außerdem Bürger- und Kindergeld, Unterhalt für ein Kind, Sofortzuschlag und die Umschulungsprämie. Nach Abzug aller Fixkosten bleiben den Nietzsches 2.006 € zur freien Verfügung. Jan Nitschke freut sich, dass er bald wieder arbeiten kann.

Lese-Tipp: Bürgergeld-Nullrunde - 2025 wird es keine Erhöhung geben

Vorschlägen zur möglichen Einführung einer Arbeitspflicht steht er kritisch gegenüber. „Wenn man anfängt, Leute zu zwingen, wird unweigerlich Gegendruck erzeugt“, glaubt er. Seine Vermutung: „Sobald man damit anfängt, Leute verpflichtend arbeiten zu schicken, werden die Ärzte schon sehr hoch frequentiert sein.“

Viele andere Bürgergeldempfänger haben sich bei stern.tv zum Thema Arbeitspflicht gemeldet. Eine kleine Auswahl:

Bürgergeldempfänger haben sich bei stern.tv zum Thema Arbeitspflicht gemeldet.
Bürgergeldempfänger haben sich bei stern.tv zum Thema Arbeitspflicht gemeldet.
stern.tv
  • Ich als Bürgergeldempfänger halte überhaupt nichts davon. So ein Schwachsinn werde ich nicht mitmachen

  • Ich bin seit sechs Monaten arbeitslos. Unter 5.000 € würde ich nicht mehr arbeiten gehen.

  • Es fühlt sich einfach nicht richtig an, Geld fürs Nichtstun zu bekommen.

Wieder im Job: „Ich fühle mich viel besser. Es ist alles ganz anders geworden“

Ercan Albas (54) aus Dortmund war die letzten 14 Jahre arbeitslos, hat vom Staat gelebt. Ein Leben, an das er sich gewöhnt hatte. „Du konntest schlafen, wie lange du möchtest. Konntest rausgehen, wann du mochtest“, sagt er. Seit 10 Monaten arbeitet er bei einem Shuttlebus-Unternehmen, der Job wird finanziert vom Jobcenter. Sein Leben hat sich verändert. Zum Vorteil, berichtet er. „Ich fühle mich viel besser. Ich habe Verantwortung. Es ist alles ganz anders geworden“, freut er sich.

Albas‘ Freund Stefan, ein Kioskbesitzer, unterstützt eine mögliche Arbeitspflicht. Er hat kein Verständnis für unmotivierte Bürgergeld-Empfänger: „Irgendwann müssen die Leute ja mal anfangen, irgendwas zu tun. Und irgendwie muss man denen dann halt mal ein bisschen in den Arsch treten“, glaubt er.

„Ich warte schon sehnsüchtig auf den Tag, wo ich sagen kann, ich habe jetzt einen Job“

Seinem Freund Ercan Albas wird der Wiedereinstieg ins Berufsleben durch das sogenannte Teilhabechancengesetz ermöglicht. Er bekommt als Arbeitnehmer sein Nettogehalt von seinem Arbeitgeber ausgezahlt. Sein Chef kann sich das Geld aber zurückholen. Am Ende zahlt also das Jobcenter indirekt das Gehalt. Albas‘ Meinung über Langzeitarbeitslose hat sich mittlerweile geändert. „Es gibt bestimmt viele, die arbeiten wollen. Es gibt auch bestimmt viele, die sagen Ja, aber das Jobcenter zahlt doch, warum soll ich in Arbeit gehen.“ Auf solche Leute „sollte man Druck ausüben“, findet er.

 Ercan Albas bei seinem Kumpel Stefan am Kiosk
Ercan Albas (l.) bei seinem Kumpel Stefan am Kiosk
stern.tv

Auch Angelina Nietschke aus Recklinghausen ist das Leben als Bürgergeldempfängerin leid. „Ich warte schon sehnsüchtig auf den Tag, wo ich sagen kann, ich habe jetzt einen Job“, sagt sie. „Das würde für mich bedeuten, mehr als nur Mama zu sein, mehr als nur zu Hause zu sein, immer den gleichen Alltag zu haben.“