Warum Arbeitnehmer ihren Urlaub im Blick behalten sollten

Das wichtigste Arbeits-Urteil des Jahres!

Es passiert immer wieder in Deutschland: Urlaub wird nicht rechtzeitig genommen und es wird dann gestritten, ob er verfallen oder verjährt ist. Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt in einem Grundsatzurteil entschieden, wann der Urlaub tatsächlich nicht mehr genommen werden kann. Im Video erklärt Rechtsanwältin Nicole Mutschke, welche Folgen das Urteil für unseren Arbeitsalltag hat.

Darum geht's: Steuerfachangestellte konnte 101 Tage Urlaub nicht nehmen

In dem Gerichtsverfahren geht es um stattliche 101 Urlaubstage - die hat eine Steuerfachangestellte aus Nordrhein-Westfalen wegen hoher Arbeitsbelastung über einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht genommen. Ihr Arbeitgeber meint, sie seien verfallen und verjährt.

Dagegen klagte die Frau - und ihr Fall zog große Kreise: Im September beschäftigte sich der Europäische Gerichtshof in Luxemburg damit, an diesem Dienstag das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Erwartet wurde ein Grundsatzurteil, wann Urlaub in Deutschland verjährt und ob Arbeitgeber dem untätig zusehen dürfen.

Gericht hat entschieden!

Jetzt hat das Gericht entschieden: Urlaub verfällt nicht automatisch nach drei Jahren! Das gilt, wenn Arbeitgeber ihre Beschäftigen nicht rechtzeitig auffordern, ihren Urlaub zu nehmen und sie vor einer drohenden Verjährung warnen.

Die Informationspflicht des Arbeitgebers gelte auch für Arbeitnehmer, die für lange Zeit erkrankt sind. Ihnen drohte bisher auch für das Jahr ihrer Erkrankung der Verfall von Urlaub 15 Monate nach Ende des Kalenderjahres. Das gilt nun nicht mehr. Mit ihren Urteilen setzten die höchsten deutschen Arbeitsrichter Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von September um, nachdem Arbeitgeber eine aktive Rolle spielen müssen und nicht zuschauen dürfen, wie Urlaubsansprüche erlöschen. Erfüllen sie diese Pflicht nicht, bleibe der Anspruch auf bezahlte Freizeit bestehen.

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Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung

In Deutschland streiten Arbeitnehmer und Arbeitgeber immer wieder darüber, wann Urlaub verfallen oder gar verjährt ist. „Oft ist das der Fall bei einem Jobwechsel oder wenn ein Arbeitsverhältnis aus einem anderen Grund aufgelöst wird“, sagt der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing.

Grundsätzlich gelte, dass Urlaub bei langwieriger Krankheit 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfalle. Nach drei Jahren verjähre Urlaub. Nun gehe es darum, ob die deutsche Verjährungsfrist mit der europäischen Rechtsprechung vereinbar ist oder gekippt wird, wenn der Arbeitgeber passiv ist.

Über diese Urlaubs-Fragen hat das höchste deutsche Arbeitsgericht entschieden

Die Bundesarbeitsrichter hat sich gleich mit mehreren Aspekten zum Thema Urlaub beschäftigt: Es geht im Fall der Steuerfachangestellten mit der langen Liste nicht genommener Urlaubstage um die Verjährungsfrist - sie liegt nach Angaben von Fachleuten auch bei arbeitsrechtlichen Fragen bisher bei drei Jahren in Deutschland.

„Es war bisher in Deutschland so, dass es eine Regelung gab: Nach drei Jahren war der Urlaub einfach weg. Einfach so“, erklärt Anwältin Nicole Mutschke die bisherige Rechtslage in Deutschland.

In einem anderen Fall - ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen - beschäftigten sich die Richter mit der Klage einer Krankenhausangestellten, die lange selbst krank war und in dem Jahr nur einen Teil ihres Urlaubs nehmen konnte. Ist der Resturlaub wirklich verfallen, wie ihr Arbeitgeber meint? Das wollte sie von den Bundesrichtern wissen.

Die Rolle des Arbeitgebers beim Urlaub

Welche Pflichten Arbeitgeber beim Thema Urlaub haben, hat das Bundesarbeitsgericht erstmals im Februar 2019 in einem Grundsatzurteil festgeschrieben - allerdings nur für den drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen.

Arbeitgeber wurden von den Bundesarbeitsrichtern verpflichtet, die Beschäftigten über ihren Urlaubsanspruch zu informieren, sie aufzufordern, ihren Resturlaub zu nehmen und auf einen möglichen Verfall hinzuweisen. Kurz: Sie müssen eine aktive Rolle spielen - Juristen sprechen von Initiativpflichten oder Mitwirkungsobliegenheiten. Schließlich hätten auch Arbeitgeber ein Interesse, dass sich Urlaub in Unternehmen nicht anstaut.

Die Bundesarbeitsrichter ließen aber offen, wie bei drohender Verjährung und Krankheit zu verfahren ist. Das wurde jetzt verbindlich entschieden.

Europäischer Gerichtshof hat bereits Urlaubs-Vorlage geliefert

Das Bundesarbeitsgericht hat die beiden Fälle aus NRW vor seiner anstehenden Entscheidung bereits dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt. Er sollte prüfen, ob europäisches Recht eine Verjährung des Urlaubsanspruchs gestatte, „wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch auszuüben“.

Die Entscheidung war eindeutig: Nein, sagte der Gerichtshof im September. Urlaub könne nicht verjähren oder bei langer Krankheit verfallen, wenn Arbeitgeber ihren Pflichten nicht nachgekommen seien, so der EuGH.

Rechtsanwältin Nicole Mutschke fasst das Urteil zusammen: „Der Arbeitgeber muss sehr deutlich darauf hinweisen. Und wenn das nicht passiert ist, dann bleiben uns die Urlaubstage über Jahre erhalten.“ (dpa/aze)

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