Günter Wallraff deckt auf: So behandelt GLS seine Fahrer
Der neueste Fall des Undercover-Spezialisten
Mehr als ein halbes Jahr war Günter Wallraff wieder undercover unterwegs. Für RTL war er in die Rolle eines Paketboten geschlüpft, um mit versteckter Kamera zu dokumentieren, unter welch unwürdigen Bedingungen die Beschäftigten in der Paketdienstbranche arbeiten. 2,95 Millionen Zuschauer sahen die schockierenden Ergebnisse seiner Recherchen in der einstündigen Reportage "Günter Wallraff deckt auf. Der neueste Fall des Undercover-Spezialisten".
Auch Online stieß die Reportage auf überragendes Interesse: Auf RTLaktuell.de und RTL Aktuell bei Facebook meldeten sich hunderte Zuschauer, die über ähnliche Arbeitsbedingungen bei GLS oder anderen Paketzulieferern berichteten.
Der boomende Onlinehandel sorgte in den vergangenen Jahren für enormes Wachstum in der Transportbranche. Früher bekam der Endverbraucher allenfalls ein paar Weihnachtspäckchen mit der Post. Kurierdienste oder private Paketdienst bedienten hauptsächlich Firmenkunden. Heute bestellen Verbraucher immer öfter online und bekommen die Ware vom Paketboten an die Haustür geliefert. Das Attribut versandkostenfrei gilt als schlagendes Wettbewerbsargument.
Doch den Preis dafür zahlen oft die 250.000 bis 300.000 Beschäftigten im Paketauslieferungsgewerbe. Viele arbeiten unter sittenwidrigen Bedingungen: Berichte der Betroffenen und wissenschaftliche Studien gehen von Regelarbeitszeiten zwischen 12 - 15 Stunden täglich aus, denen ein erheblicher Prozentsatz unterworfen ist. Bei einem Monatslohn zwischen 1.200 und 1.500 Euro netto ergeben sich damit Stundenlöhne für diese Paketauslieferer von unter 5 Euro.
Günter Wallraff war eine Zeit lang solch ein unterbezahlter, aber überarbeiteter Paketfahrer für die Firma GLS: Morgens um 5 Uhr begann sein Tag mit dem Sortieren und Einladen der Sendungen, abends endete er selten vor 19 Uhr.
Uns liegen interne Unterlagen vor, die beweisen, dass eine Arbeitszeit von 12 Stunden täglich für Paketfahrer von Seiten des Konzerns GLS kalkuliert ist. Zwischen zwei Diensten sind die gesetzlich vorgeschriebenen 11 Stunden Ruhezeit oft nicht möglich. Auch Pausen sind häufig nicht zu schaffen. All dies verstößt gegen das deutsche Arbeitszeitgesetz.
Günter Wallraff gewann das Vertrauen der Fahrer und erfuhr, wie an diesen Arbeitsbedingungen Familien zerbrechen. Er traf junge Männer, die sich nur noch mit Medikamenten über den Tag retten und die genötigt werden, Pausen einzutragen, wo keine möglich sind und Arbeitszeiten so zu schönen, dass Verstöße nicht auffallen.
Um sich nicht verantworten zu müssen, schalten manche Konzerne – so auch GLS –Subunternehmer zwischen, die offiziell als Arbeitgeber der Fahrer agieren, meist selbst auch fahren und häufig ausschließlich für einen Konzern arbeiten.
Die Gesetzesänderung zum Schutz vor Scheinselbständigkeit hat den sogenannten selbstfahrenden Unternehmer in dieser Branche abgeschafft. An seine Stelle ist der ebenso scheinselbständige Subunternehmer mit einem oder mehreren Angestellten getreten. Eine Stellungnahme der Friedrich-Schiller-Universität macht klar, dass das unternehmerische Handeln von etwa 11.000 Subunternehmern im Paketauslieferungsgewerbe von den Auftrag gebenden Konzernen bis ins Detail diktiert wird. Gleichzeitig werden diese scheinselbständigen Unternehmer ausgenutzt, um sämtliche Risiken auf sie abzuwälzen. Eine Vielzahl dieser Subunternehmer arbeitet zu noch schlechteren Bedingungen als ihre Fahrer. Viele sind ehemalige Fahrer und verfügen über wenig betriebswirtschaftliches Know How. Sie gehen auffällig oft in die Insolvenz.
Wallraffs Undercover-Recherchen belegen, dass GLS massiv in das unternehmerische Handeln seiner Subunternehmer eingreift: Disponenten von GLS geben ständig über Handy direkt Anweisungen an die Fahrer, GLS-Mitarbeiter maßregeln Fahrer direkt. Außerdem hat der Konzern die Möglichkeit, über ein Hausverbot in die Personalentscheidungen des Subunternehmers einzugreifen – quasi zu kündigen. Wenn – was häufig vorkommt – der Subunternehmer keinen anderen Auftraggeber hat, ist er gezwungen, den unliebsamen Fahrer zu entlassen. Betroffene berichten, dass dies längst nicht nur bei schweren Vergehen wie Diebstahl ausgesprochen wird.
Der Paketzusteller GLS hat die Vorwürfe des Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff über eine Ausbeutung von Boten zurückgewiesen. Es handele sich um eine "einseitige und verkürzte Berichterstattung", erklärte das Unternehmen im hessischen Neuenstein. "Die GLS Gruppe akzeptiert keine despektierlichen Äußerungen über Subunternehmen und deren Fahrer in ihrem Unternehmen. Wir legen Wert auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, die im Rahmen der Gesetze gestaltet wird", hieß es in der Stellungnahme.
Fakten GLS:
GLS operiert in 42 europäischen Ländern, betreibt 57 Depots in Deutschland und ist die Nummer 3 auf dem Markt.
Im Geschäftsjahr 2009 / 2010 wurden 345 Millionen Pakete transportiert, der Umsatz betrug 1,75 Milliarden Euro.
Hilfe für Betroffene
Wer unter den beschriebenen Arbeitsbedingungen leidet hat das Recht, sich dagegen juristisch zu wehren. Hilfe, Rat und Unterstützung bietet die Gewerkschaft Verdi. Kompetenter Ansprechpartner hier ist Sigurd Holler:
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Bezirk Koblenz
Fachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik
Schloßstraße 37
56068 Koblenz
Telefon: 0261/9735520
Fax: 0261/9735518
PC-Fax: 01805-837343-26309
Infos für Subunternehmer: www.issit.de
IsSiT e. V. ist eine Interessengemeinschaft von selbständigen Subunternehmern im Transportgewerbe. Er unterstützt die Mitglieder in allen Bereichen bei der Erfüllung Ihrer Aufgaben im Transportwesen, insbesondere zur Erhaltung und Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit.
Die Produktion
Drehbeginn war im Dezember 2011 während des Weihnachtsgeschäfts. Es wurde bis Mai 2012 in ganz Deutschland gedreht. Es wurde komplett in HD produziert.
Autoren: Günter Wallraff und Karla Steuckmann (infoNetwork)
Redaktion: Jan Rasmus (infoNetwork)
Schnitt: Sven Hasse, Oliver Holtkamp
Produktion: Gemini Film & Library GmbH Eyeworks Germany GmbH in Zusammenarbeit mit infoNetwork
Produzent: Gerhard Schmidt
Kamera:
Rainer Friedrich
Dirk Echterling
Christian Eichenauer
Antonio Uscátegui
Kamera-Assistenz:
Alexander Czart
Christian Hermans
Sven Phil Lentzen
Alexander Joksimovic
Luis Cortés
AV-Techniker:
Michael Bernstein