Wirecard-Prozess startet
Ist Markus Braun einer der größten Betrüger aller Zeiten - oder selbst Betrogener?
Ist Markus Braun Opfer oder Täter? Um diese Frage geht in dem Wirecard-Prozess, der am Donnerstag (8.12.) in München beginnt und bis ins Jahr 2024 gehen könnte. Und es geht auch um die Frage, wie in Deutschland ein Dax-Unternehmen, das zeitweise mit 20 Milliarden Euro bewertet wurde, mit falschen Bilanzen Anleger täuschen konnte. Tausende Kleinanleger trauern ihren Ersparnissen hinterher, die sie dem Dax-Unternehmen anvetraut hatten.
Es geht um 3,1 Milliarden Euro: 100 Verhandlungstage im Wirecard-Prozess
Seit Sommer 2020 sitzt der frühere Wirecard-Chef Markus Braun im Gefängnis - in Untersuchungshaft und ohne Urteil. Nun beginnt in München der Prozess um den mutmaßlich größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte.
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Die Anklage wirft dem österreichischen Manager und zwei mitangeklagten ehemaligen Wirecard-Führungskräften vor, mit Hilfe gefälschter Bilanzen Banken und Kreditgeber um insgesamt 3,1 Milliarden Euro geprellt zu haben.
Über seine Anwälte weist Braun die Anklage in einer aktuellen Stellungnahme zurück - und wirft den Ermittlern indirekt mangelnde Sorgfalt vor.
Die Beweisaufnahme wird umfangreich und schwierig: Die vierte Strafkammer des Landgerichts München I hat 100 Prozesstage bis ins Jahr 2024 angesetzt. Verhandelt wird in einem bunkerähnlichen unterirdischen Sitzungssaal neben der JVA München-Stadelheim.
Ex-Wirecard-Manager als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft
Im größten Gefängnis Bayerns sitzen sowohl Braun als auch sein voraussichtlicher Widerpart in Untersuchungshaft: Der frühere Leiter der Wirecard-Tochtergesellschaft Cardsystems Middle East in Dubai ist für die Staatsanwaltschaft der Kronzeuge.
Nach Angaben seiner Verteidiger beabsichtigt der frühere Untergebene Brauns, „sein kooperatives Verhalten als Kronzeuge auch in der Hauptverhandlung fortzusetzen“. Wie im Untersuchungsausschuss des Bundestags angekündigt, werde er sich seiner Verantwortung stellen. Der dritte Angeklagte ist früherer Chefbuchhalter des Konzerns.
Zu Beginn des Mammutprozesses will die Staatsanwaltschaft den 89-seitigen Anklagesatz vortragen. Das ist nur die Kurzversion, doch allein dies wird geschätzt fünf Stunden dauern.
Der Kernvorwurf: Braun und Komplizen sollen eine Bande gebildet haben, die die Bilanzen des Konzerns seit 2015 systematisch fälschte. Der mittlerweile abgewickelte Zahlungsdienstleister rechnete an der Schnittstelle zwischen Kreditkartenfirmen auf der einen sowie Einzelhändlern und sonstigen Verkäufern auf der anderen Seite elektronische Zahlungen ab und kassierte dafür Gebühren.
Scheingewinne statt Verluste: Wie Wirecard Banken und Anleger täuschte
Laut Anklage schrieb der Konzern eigentlich Verluste. Um das zu kaschieren, soll die Wirecard-Bande ein nicht existentes „Drittpartnergeschäft“ der Dubaier Tochter in Milliardenhöhe samt Scheingewinnen erfunden haben.
Wirecard meldete Jahr für Jahr rasant steigende Umsätze, 2018 stieg das IT-Unternehmen in den Dax auf. An der Frankfurter Börse war der Konzern zwischenzeitlich über 20 Milliarden Euro wert. Braun war mit einem Anteil von sieben Prozent größter Aktionär und wurde auf diese Weise zum Milliardär.
Der Kollaps kam im Juni 2020 und vernichtete auch Brauns Vermögen zum großen Teil.
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Nachdem die britische „Financial Times“ jahrelang über Ungereimtheiten in den Bilanzen berichtet hatte, räumte das Unternehmen ein, dass 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar waren, es folgte die Insolvenz. Die Erlöse des Drittpartnergeschäfts waren angeblich auf Treuhandkonten in Südostasien verbucht. Das Geld wird bis heute vermisst.
Ex-Wirecard-Chef Braun sieht sich als Opfer
Braun stellt dies anders dar: Er argumentiert, dass die auf den Treuhandkonten verbuchten Gelder existierten, aber veruntreut worden seien. Er beschuldigt seinen Mitangeklagten, den ehemaligen Geschäftsführer in Dubai.
Braun erhebt schwere Vorwürfe gegen den Mitangeklagten: Die Transaktionsdaten aus dem Wirecard-Drittpartnergeschäft mit einem Volumen von mehreren Milliarden Transaktionen pro Jahr seien in einer externen Datenbank verarbeitet worden. Diese Daten seien jedoch nach den Feststellungen der Compliance-Abteilung der Wirecard AG „im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Zusammenbruch“ des Unternehmens von dem Manager gelöscht worden.
„Damit wurde dem gesamten Verfahren die Datengrundlage entzogen“, heißt es in der Stellungnahme. Braun und Verteidigung schreiben von „belastbaren Anhaltspunkten“, dass es sich bei den Zahlungen zu einem sehr erheblichen Teil um der Wirecard AG zustehende Kommissionszahlungen gehandelt habe - „die allerdings nicht dem Treuhandkonto der Wirecard AG zugeführt, sondern veruntreut wurden.“
Zahlungsflüsse an Firmen in Hongkong, Antigua, Singapur, British Virgin Islands und sonstige Schattengesellschaften seien belegt. „Die Zahlungsflüsse an diese Veruntreuungsgesellschaften wurden bis heute nicht nachverfolgt“, heißt es in der Stellungnahme. Darin steckt der Vorwurf, die Staatsanwaltschaft habe nicht genau genug ermittelt. „Dr. Markus Braun war in die Machenschaften, die ausschließlich der Veruntreuung von Geldern der Wirecard AG dienten, nicht involviert und hatte hiervon auch keine Kenntnis.“
Somit müssen der Vorsitzende Richter Markus Födisch und die Kammer klären, ob Braun Betrüger oder Betrogener war. Die Staatsanwaltschaft widerspricht Vorwürfen mangelnder Sorgfalt. Die vollständige Anklage ist 474 Seiten lang, die Akten füllen 700 Bände.
Abgeschlossen sind die Wirecard-Ermittlungen längst nicht, auch wenn nun der Prozess beginnt. Flüchtig ist nach wie vor der frühere Vertriebschef Jan Marsalek, eine weitere Schlüsselfigur.
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Die Causa Wirecard ist der größte und unglaublichste Finanzskandal in der deutschen Geschichte. Ein Skandal, der die Menschen bewegt, weil er von Betrug, Geldgier und zwei Managern erzählt, gegen die schwere Vorwürfe erhoben werden. Die Doku „Der große Fake – Die Wirecard-Story“ auf RTL+ erzählt den größten Bilanzskandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte.