Streit um SozialabgabenVerfassungsgericht: Kinderzahl muss bei Pflegeversicherung berücksichtigt werden

Das Bundesverfassungsgericht sorgt dafür, dass Eltern mit mehreren Kindern bei der gesetzlichen Pflegeversicherung besser gestellt werden als Kinderlose und kleinere Familien. Die Beitragssätze müssten entsprechend der konkreten Zahl der Kinder bis Ende Juli 2023 angepasst werden, entschied das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe nach Angaben vom Mittwoch (1 BvL 3/18 u.a., Beschluss vom 7. April). Dass bei der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung überhaupt nicht zwischen Eltern und Kinderlosen unterschieden wird, sei hingegen in Ordnung.
Spalten Sozialabgaben die Gesellschaft?
Das Thema hat Spaltpotenzial, das hat Markus Essig schon erfahren. Er und seine Frau haben sich mit anderen Familien durch die Instanzen geklagt, um Beitragssenkungen für Eltern in den Sozialversicherungen zu erstreiten. Manche Reaktionen seien deutlich unter der Gürtellinie gewesen, berichtet Essig. „Nach dem Motto: Das Kindermachen hat euch Spaß gemacht - und jetzt wollt ihr Geld.“

Seit 16 Jahren ist Essig in der Sache unterwegs, wie er sagt. Unterstützt vom Familienbund der Katholiken in der Erzdiözese Freiburg. Inzwischen haben die Kläger und Klägerinnen Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie sind der Meinung, dass die Zahl der Kinder beim Beitrag zur gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung berücksichtigt werden müsse - Eltern also weniger zahlen sollten als Versicherte ohne Kinder. Das höchste deutsche Gericht hat an diesem Mittwoch seine Entscheidung dazu verkündet. (Az. 1 BvL 3/18 u.a.)
Wie ist die aktuelle Rechtslage bei Pflege- und Rentenversicherung?
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Fall der Pflegeversicherung 2001 geurteilt, es sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, dass Eltern einen genauso hohen Beitragssatz zahlen wie Kinderlose - denn sie leisteten einen „generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems“. Die Beitragssätze wurden daraufhin angepasst. Seit Anfang dieses Jahres liegt jener für Eltern bei 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens, der für Kinderlose bei 3,4 Prozent.
Aus Sicht der Richterinnen und Richter greift das aber zu kurz: Je mehr Kinder eine Familie habe, desto größer seien der Aufwand und die damit verbundenen Kosten. „Diese Benachteiligung tritt bereits ab einschließlich dem zweiten Kind ein“, heißt es in der Mitteilung. „Die gleiche Beitragsbelastung der Eltern unabhängig von der Zahl ihrer Kinder ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.“ Der Gesetzgeber müsse diese Benachteiligung beheben.
In der gesetzlichen Rentenversicherung werde der Wert der Kindererziehung insbesondere durch die Anerkennung sogenannter Kindererziehungszeiten honoriert, entschied der Erste Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Stephan Harbarth. Mit Blick auf die gesetzliche Krankenversicherung betonten die Richterinnen und Richter, dass die Versicherten hier schon in Kindheit und Jugend «in erheblichem Umfang» von den Leistungen profitierten.
Dass in diesen beiden Fällen keine Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Kindern gemacht werden, hatte schon das Bundessozialgericht in mehreren Urteilen für rechtens erklärt. Gegen diese Entscheidungen wehrten sich mehrere Eltern mit Verfassungsbeschwerden, unterstützt vom Familienbund der Katholiken in der Erzdiözese
Diese Umfrage ist nicht repräsentativ.
Wie argumentieren die klagenden Familien?
„Man kann das eine nicht mit dem anderen verrechnen“, sagt Kläger Markus Essig. Entlastet werden müsse im selben System, in das eingezahlt werde.
Anwalt Ernst Jürgen Borchert argumentiert unter anderem mit doppeltem Konsumverzicht, den die Menschen zugunsten des Unterhalts der eigenen Elterngeneration als auch der nachwachsenden Generation leisteten. Staatsrechtler Prof. Thorsten Kingreen von der Uni Regensburg, ebenfalls Prozessbevollmächtigter, verweist beispielsweise auf die deutlich niedrigeren Altersrenten für Frauen. „Am Schluss kriegt man die Bilanz, was man geleistet haben soll, wenn man Kinder erzieht.“
Der katholische Familienbund rechnet vor, dass es eine Märchen sei, dass Kinder in der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei mitversichert sind. Denn der Beitrag geht vom Gesamteinkommen des versicherten Elternteils ab. Einen Unterschied würde es erst machen, wenn zunächst Geld für die Familienmitglieder vom Einkommen abgezogen würde. Um sein Bestreben zu verdeutlichen, hat der Familienbund die Kampagne „Elternklagen“ ins Leben gerufen. Den Forderungen haben sich den Angaben nach mehr als 2000 weitere Eltern angeschlossen.
Was sagt die Bundesregierung?
Die Bundesregierung beteuert, nach dem Urteil vor 21 Jahren sorgfältig mögliche Auswirkungen auf Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung geprüft zu haben. Doch die Differenzierung zwischen Versicherten mit und ohne Kindern habe nicht übertragen werden müssen, erklärt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums.
Die Allgemeinheit habe ein Interesse an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien. Wenn der Bedarf aber nicht innerhalb eines bestimmten sozialen Versicherungssystems berücksichtigt werden könne, müssten Kosten der Kinderbetreuung und -erziehung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ausgeglichen werden - etwa im Rahmen des Familienleistungsausgleichs im Steuerrecht. Hinzu kämen etwa Verbesserungen bei der Betreuungs- und Erziehungsinfrastruktur.
Wie sehen das die Sozialversicherungen?
Der GKV-Spitzenverband ist zwar der Ansicht, dass Familien ein Lastenausgleich zustehe. Dies sei aber eine versicherungsfremde Leistung. Zudem sei unklar, ob die Kinder später in dieselben Sicherungssysteme einzahlen, aus denen Eltern entlastet würden. Das wäre zum Beispiel dann nicht der Fall, wenn der Nachwuchs in ein anderes Land zieht und sich dort versichert. Besser wäre es aus Sicht des Verbands daher, die Entlastung über das Kindergeld zu lösen.
Freiburger Kläger kämpft für nächste Generation
Für Kläger Markus Essig aus Freiburg hat die Entscheidung keine unmittelbaren Folgen. Das jüngste seiner drei Kinder ist mittlerweile 27 Jahre alt. Doch das Thema beschäftigt inzwischen auch seine Kinder: Die ersten Enkel hat der Diakon schon, zwei weitere sollen in Kürze das Licht der Welt erblicken. „Die kriegen das jetzt hautnah mit“, sagt Essig. Und ergänzt mit einem Schmunzeln: „Offensichtlich hat die Situation sie aber nicht so sehr abgeschreckt.“ (dpa/aze)
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