Rennfahrerin Laura-Marie Geissler
„Es war mir egal, ob das Auto nach dem Rennen in der Bande liegt“
von Nicole Plich
Erst hat man Laura-Marie Geissler keine Chance gegeben, auf die Strecke zu gehen – jetzt will die Rennfahrerin gleich die ganze verschnarchte Motorsportbranche erneuern. Was hat die Freundin von Jimi Blue Ochsenknecht vor?
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Erste Rennen im Jahr 2021
Die Tachonadel streift die 200. Der geteerte Asphalt verschwimmt. Links und rechts ziehen Bäume am Straßenrand vorbei. Der Motor wird mit jedem Kilometer pro Stunde lauter. Geradeaus in der Ferne ist eine schwarz-gelbe Bande zu erkennen, sie markiert die bevorstehende Kurve. Die Fahrerin hält drauf zu. Ihre Sneaker drücken das Gaspedal, sie umschließt das Lenkrad auf beiden Seiten mit Daumen und Zeigefinger und dreht es nach links. Ihr Blick ist fokussiert, richtet sich auf den gewölbten Bildschirm direkt vor ihr.
Diese Fahrerin ist Laura-Marie Geissler. Die 24-Jährige ist professionelle Rennfahrerin. Ihr Arbeitsplatz ist der Simulator. Der steht in ihrer Wohnung in Starnberg bei München. Damit bereitet sie sich auf Rennen vor, lernt Strecken kennen, erprobt verschiedene Fahrweisen und trainiert ihre Konzentration.
Geissler ist noch relativ neu im Motorsport. Das erste Rennen fuhr sie 2021 – zufällig. „Ich bin Quereinsteigerin“, sagt sie. „Ich habe spät angefangen, weil ich früher keine Chance bekommen habe.“ Scouts wurden im letzten Jahr auf Geissler aufmerksam, als sie auf der Nordschleife am Nürburgring Instruktionsfahrten gab. So hat sie zu dem Zeitpunkt ihr Geld verdient.
"Hauptsache, es wird spektakulär“
Wann verringert man die Geschwindigkeit vor der Kurve? Wann löst man die Bremse? Wann lenkt man in die Kurve ein? Darin schulte sie andere Fahrer auf sämtlichen Rennstrecken in Europa. An Erfahrung hinterm Steuer mangelte es Geissler also nicht. Wer jedoch im Rennsport aktiv sein will, braucht Geld. Und zwar nicht gerade wenig. Rennlizenz, Schutzkleidung, Rennauto, Startgelder, Trainingsgelder, Hotelkosten, Anfahrtskosten, Reparaturkosten: Für eine Saison liegt man schnell im sechsstelligen Bereich.
Da bei der Porsche Sprint Challenge Central Europe 2021 am Red Bull Ring in Spielberg, Österreich einem Rennteam ein Fahrer abgesprungen ist, boten die Scouts Geissler den Startplatz an. Alles war bereits bezahlt, Geissler musste nur Schutzkleidung voller Patches von Sponsoren anziehen, sich ins Auto setzen und anschließend für Interviews zur Verfügung stehen. Das war der Deal – und gleichzeitig ihre Eintrittskarte in den Sport. Obwohl sie nur zwei Monate trainieren konnte, fuhr sie einen ersten und dritten Platz. „Es war mir egal, ob das Auto nach dem Rennen in der Bande liegt oder nicht. Ich dachte: Hauptsache, es wird spektakulär“, sagt Geissler. „Ich hatte nichts zu verlieren. Wäre ich schlecht gefahren, wäre ich am nächsten Tag wieder zurück in mein normales Arbeitsverhältnis als Instruktionsfahrerin gegangen.“
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Mit 16 Jahren erwirbt Laura-Marie Geissler ihre Rennlizenz
Bereits mit zehn Jahren entdeckte Geissler ihre Begeisterung für Geschwindigkeit beim Kartfahren. Mit 16 Jahren, dem Mindestalter in Deutschland, erwarb sie ihre Rennlizenz. Ihre Eltern schenkten Geissler ihr erstes Auto zum Trainieren, einen Porsche 944, einen günstigen Youngtimer-Rennwagen. „Das Modell hatte einen super Motor und einen Überrollkäfig, es war ein sicheres Auto“, sagt Geissler. Diesen Wagen hat sie nicht mehr. Die Vorliebe für Sportwagen aber schon.
Sportlich gibt sie sich auch selbst. Die blonden Haare trägt sie hoch zum Zopf gebunden, dazu Jeansshorts und eine schwarze Oversized-Collegejacke mit Aufnähern von Budweiser. Unter der Jacke blitzt am rechten Handgelenk ein kleines Tattoo hervor: R,1,2,3,4,5. Ein Schaltgetriebe. Das ließ sie sich stechen, als sie die Entscheidung traf, ihr Psychologiestudium an der Fresenius Hochschule München für den Rennsport erst mal zu pausieren. „Ich wollte etwas unter der Haut haben, das mich immer daran erinnert, welchen Weg ich langfristig gehen will“, sagt Geissler.
Mit Porsche zum Durchbruch
Und den kann sie seit ihrem Debüt in Österreich auch verfolgen. Als Rennfahrerin ist Geissler quasi selbstständig, braucht jedoch ein Team. Das hat sie selbst angestellt. Nach ihren Podestfahrten wurden unterschiedliche Rennteams auf Geissler aufmerksam. Darunter auch Speed Monkeys Motorsport mit Sitz in Essen. Chef Christian Bracke fand die junge Sportlerin interessant, lud sie zu einer Testfahrt ein. „Mir ist sofort aufgefallen, dass Laura einen extremen Ehrgeiz und Willen hat, etwas im Motorsport zu schaffen“, sagt Bracke. „Sie will es wirklich wissen. Das ist in der Form einzigartig.“ Bodenständig und ehrlich: So beschreibt Geissler auch ihr Team. Eigenschaften, die sie überzeugten, sich für Speed Monkeys Motorsport zu entscheiden.
Aber noch ein anderer Punkt war ausschlaggebend: dass Geissler in diesem Team Porsche fahren kann. Mit dessen Fahrwerk und der Dynamik ist sie am meisten vertraut. Als während Corona sämtliche Rennstrecken gesperrt waren und Geissler zwangsweise direkt zu Beginn ihrer Karriere pausieren musste, schraubte sie unbezahlt in Werkstätten von Freunden der Familie an alten Porsches und lernte die Mechanik besser verstehen. Dieses Wissen hilft ihr heute zum einen bei den Fahrten selbst, zum anderen im Boxenstopp. „Ich kann direkt einordnen, ob etwas am Radlager oder Reifen nicht stimmt. Das beschleunigt den Prozess.“
Diese Saison fährt sie den Porsche Sports Cup aka die GT4 Series. Der besteht aus fünf Rennen. Bis Oktober jeden Monat eines. Beim ersten Lauf am Nürburgring im Juni holte sie den dritten Platz. Wieder Podest. Dieses Jahr sieht Bracke als Lernphase für Geissler. Nächstes Jahr plant er eine größere Rennserie für sie.
„Ein Fahrer ernährt sich von den Erfolgen“, sagt Bracke. „Es war uns wichtig, eine Serie zu finden, bei der sich Laura in Ruhe entwickeln und ihre Leistung erbringen kann.“ Das Auto für die Rennen wird vom Rennteam gestellt, nicht von Porsche selbst. Geissler besitzt es auch nicht. Sie zahlt zwar Miete für die Nutzung, kann es aber nach ihren Wünschen folieren. Auch das Rennteam wird von Geissler bezahlt. Heißt auch: Sie fährt zwar für Porsche, hat aber keinen Fahrervertrag. Sie will selbstständig sein. Dementsprechend bekommt sie auch kein Grundgehalt, das schon mal bei 200.000 Euro im Jahr liegen kann.
Einstieg in den Motorsport: Finanzierung als größte Hürde
Wenn Geissler alles selbst bezahlen muss, wie finanziert sie sich dann? Genau da verfolgt sie eine für den Motorsport neue Lösung. Normalerweise gibt es nur zwei Möglichkeiten, wie man alle Kosten decken kann: Sponsoren oder eigenes Vermögen. Letzteres hat Geissler nicht, Erstere will sie nicht. Sie will nicht, dass ihre sportliche Leistung abhängig von Firmen ist. Und noch eines will Geissler nicht. Sich für das Branding verkaufen, das ihr in der Branche aufgedrückt wird: Junges, blondes Mädchen lässt Männer auf der Rennstrecke hinter sich. Sie will Anerkennung für ihre Leistung, nicht für ihr Aussehen. Und auch nicht für ihr Geschlecht. Denn rein sportlich gesehen haben Frauen und Männer im Rennsport die gleichen Chancen.
Also entschied sie sich für eine andere Finanzierungsmöglichkeit: NFTs. Interessierte können für ungefähr 45 Euro ein digitales Bild ihres Rennwagens auf der Plattform Opensea kaufen. 1.000 Stück gibt es an der Zahl. Im Gegenzug erhält man Zugang zu einem Discord-Channel mit Community, dem LMG Racing Club, exklusive Einblicke in den Motorsport durch Geissler und Merch-Artikel.
Ohne Marketing geht es auch da natürlich nicht. Das weiß sie. Im Gespräch mit ihr fällt oft das Wort „marketingeffektiv“. Nur: Sie will selbst bestimmen, wie dieses Marketing aussieht. Und das läuft über ihren Rennwagen. Was an dem so besonders ist? Er schimmert rosa, ist versehen mit kurzen, grünen Streifen, die sich an die Form der jeweiligen Autoteile anschmiegen. Außerdem: mehrere kurze Pfeile, X-Kreuze und Wörter wie „Slimmer“, „Wider“ und „Lower“. Der Wagen sieht aus, als würde er sich gleich einer Schönheits-OP unterziehen. Passend dazu ist Geisslers Helm gestaltet. Gleiche Farbe, gleiches Muster. Auf der Vorderseite der Aufruf „Buy My NFT“.
"Irgendwann muss ich mich entscheiden: Business oder Motorsport"
Welche Ambitionen Geissler sonst noch hat? Zum Beispiel eine Motorsportkollektion für Frauen auf den Markt zu bringen. Schutzanzüge und Schuhe sind bislang nur auf den männlichen Körper zugeschnitten. Geissler musste sich alles selbst anfertigen lassen. Auf sportlicher Ebene will sie lieber kleine Rennserien fahren. Ihr Traum: Le Mans Classic, ein Oldtimer-Rennen.
Eigentlich müsste Geissler zurzeit jeden Tag im Simulator sitzen und trainieren, statt über ihr Projekt zu reden und dadurch hoffentlich Geld einzutreiben. Doch diese Doppelbelastung ist der Preis, den sie diese Rennsaison zusätzlich zahlen muss. „Ich bin mir sicher, dass irgendwann der Turning-Point kommt, ab dem ich mich wieder mehr auf meinen Sport konzentrieren kann“, sagt Geissler. „Sonst muss ich mich entscheiden: Business oder Motorsport.“
Dieser Artikel erschien zuerst bei Business Punk.
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