Experten schlagen Alarm

Niedriger Rheinpegel macht Rezession in Deutschland wahrscheinlicher

Auch wenn das Niedrigwasser im Rhein den Rekord-Pegelstand aus dem Jahr 2018 nicht knackt: Für die Wirtschaft könnten die Folgen im Jahr 2022 noch viel schwerwiegender ausfallen. Denn bereits jetzt steht fest: Der niedrige Rheinpegel wirkt sich auf die Industrieproduktion aus. Laut einer Analyse wird dadurch sogar eine Rezession in Deutschland wahrscheinlicher.

Rekord-Niedrigstände am Rhein werden wohl nicht geknackt

Der seit Tagen ungewöhnlich niedrige Stand des Rheinpegels wird wegen der anhaltenden Trockenheit in den nächsten drei bis vier Tagen voraussichtlich noch um weitere zehn bis 15 Zentimeter zurückgehen. Erst ab Mitte der kommenden Woche sei eine leichte Entspannung zu erwarten, teilte das Wasser- und Schifffahrtsamt Rhein mit.

Die Rekord-Niedrigstände vom Herbst 2018 werden an den großen NRW-Pegeln Köln, Düsseldorf und Duisburg damit wohl noch nicht erreicht. In Köln hatte der niedrigste Pegelstand vom Oktober 2018 bei 69 Zentimetern gelegen, am Donnerstagmittag waren es immerhin noch 88 Zentimeter. In Düsseldorf sank der Pegelstand am Donnerstagmittag zwar auf 49 Zentimeter - plus 1,50 Meter in der Fahrrinne - der Rekord-Niedrigstand 2018 hatte aber 23 Zentimeter betragen. In Duisburg-Ruhrort waren es am Donnerstagnachmittag 172 Zentimeter - im Herbst vor knapp vier Jahren 153 Zentimeter.

Aber auch ohne Negativrekorde bringt der niedrige Wasserstand erhebliche Probleme für die Schifffahrt. Die Rheinfähre Dormagen-Zons-Düsseldorf hat bereits wegen Niedrigwassers den Betrieb eingestellt, die Köln-Düsseldorfer Rheinschifffahrt fährt mehrere Rheinstationen, darunter Bad Honnef südlich von Bonn vorübergehend nicht an.

Rezession durch Niedrigwasser möglich

Wenn Unternehmen ihre Ladung auf mehr Schiffe verteilen müssen, verteuert das natürlich den Transport, falls überhaupt ausreichend Schiffe oder Alternativen wie Züge oder Lastwagen vorhanden sind. Das gilt besonders für Massengüter wie die derzeit stark nachgefragte Kraftwerkskohle. „In diesem Winter werden wir bestimmt über 30 Millionen Tonnen importieren“, prognostiziert der Verband der Kohlenimporteure. „Das wird quietschen.“ Etwa zwei Drittel der Kohlenimporte nach Deutschland werden nach Angaben des Verbandes von den Häfen Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen über den Rhein transportiert.

Die wirtschaftlichen Folgen des Rhein-Niedrigwassers sind auch nach Einschätzung des Ökonomen Prof. Stefan Kooths vom Kiel Institut für Weltwirtschaft schmerzhaft. „Berechnungen zu den Folgen des Niedrigwasser 2018 im Rhein zeigen, dass die Industrieproduktion um etwa 1 Prozent abnimmt, wenn die Pegelstände an der Messstelle Kaub die kritische Marke von 78 Zentimetern für einen Zeitraum von 30 Tagen unterschritten haben“, erläuterte Kooths.

In der Spitze sei die Industrieproduktion 2018 um etwa 1,5 Prozent gedrückt worden, so Kooths weiter. Auf Jahressicht dürfte das Niedrigwasser etwa 0,4 Prozent an Wirtschaftsleistung gekostet haben. „Allerdings ist die damalige Situation nicht eins zu eins auf heute übertragbar“, erklärte der Wissenschaftler. So sei die „Fallhöhe“ für die deutsche Industrieproduktion damals viel größer gewesen.

Laut dem Chefvolkswirt Andrew Kenningham vom britischen Analysehaus Capital Economic werde in Deutschland dadurch sogar eine Rezession wahrscheinlicher. Zwar sei das Niedrigwasser ein viel kleineres Problem als die drohende Gaskrise. Doch sollte es bis Dezember andauern, könnte es auch im dritten und vierten Quartal 0,2 Prozentpunkte Wirtschaftswachstum kosten.

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Rhein-Niedrigwasser trifft auf angespannte Lieferketten

Deutlich schlimmer für die Industrie seien aber weiter die negativen Auswirkungen der Lieferengpässe: „Bis zuletzt blieb die Industrieproduktion aufgrund der Lieferengpässe um 7 Prozent hinter dem Niveau zurück, das angesichts der Auftragseingänge zu erwarten wäre“, sagte der Vizepräsident und Konjunkturchef des Kieler Instituts.

„Gegenwärtig kommt allerdings verschärfend hinzu, dass die Behinderungen durch das Niedrigwasser auf ohnehin schon sehr angespannte Lieferketten treffen“, hieß es weiter. Zudem sei die Binnenschifffahrt ein wichtiges Transportmittel für Energierohstoffe. Die Unternehmen dürften aber durch die Erfahrungen aus 2018 besser auf Ausfälle bei der Binnenschifffahrt vorbereitet sein, etwa durch den Einsatz anderer Schiffstypen.

Jeder weitere Belastungsfaktor drücke aber die wirtschaftliche Dynamik. Und jede zusätzliche Produktionsbehinderung wirke preistreibend, da die Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot größer wird. „Aus Inflationsgesichtspunkten geht es somit nicht allein um die Folgen steigender Transportkosten“, erklärte Kooths.

Den Angaben nach wird in Deutschland nur ein kleiner Anteil der beförderten Güter per Binnenschiff transportiert: 2017 seien es 6 Prozent gewesen. Aber für einzelne Gütergruppen wie Kohle, rohes Erdöl und Erdgas, Kokerei- und Mineralölerzeugnisse sowie chemische Produkte entfielen auf die Binnenschifffahrt 10 bis 30 Prozent der Beförderungsmenge. „Diese Güter stehen am Anfang vieler Produktionsketten, so dass Ausfälle bei deren Transport zu Produktionsbehinderungen in nachgelagerten Produktionsstufen führen können.“

Ein Schock in einem kleinen Sektor - der Anteil der Binnenschifffahrt an der Bruttowertschöpfung in Deutschland liege unter 0,2 Prozent - könne so beträchtliche Auswirkungen auf andere Sektoren haben. (dpa/aze)

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