Experten fordern Reformen
Ehegattensplitting & Elterngeld-Regelungen: Warum Frauen hier oft den Schwarzen Peter haben
Auch im Jahr 2023 sieht Familienleben in Deutschland so aus: Der Mann geht ins Büro, die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder. Dieses Familienmodell ist einer Studie zufolge nach wie vor vorherrschend in Deutschland.
Und wer hat dadurch den dicken schwarzen Peter in der Hand? Die Frauen. Denn dieses Modell hat erhebliche Konsequenzen für das Einkommen von Müttern und somit natürlich auch auf die spätere Rente. Ökonominnen fordern daher einen Wandel. Auch die Familienministerin fordert eine Reform des Steuersystems.
Lese-Tipp: Neue Zahlen zum Gender Pay Gap: So viel verdienen Frauen weniger als Männer
26 weitere Videos
Ehegattensplitting: Frauen kümmern sich deutlich mehr um Haushalt und Kinder
Noch immer kümmern sich Frauen einer Studie zufolge deutlich mehr um Haushalt und Kinder als Männer - um das zu ändern, schlagen Fachleute Reformen beim Ehegattensplitting und beim Elterngeld vor. „Das Ehegattensplitting steht der Erwerbsbeteiligung von Zweitverdienern entgegen“, sagte die Makroökonomin Nicola Fuchs-Schündeln von der Goethe-Universität Frankfurt der Deutschen Presse-Agentur. Vor Wahlen werde das Thema immer wieder diskutiert. Letztlich fehle der politische Wille, an dem Konzept zu rütteln.
Das Ehegattensplitting funktioniert so:
Die Einkommen beider Ehepartner werden zusammengerechnet. Dann wird die Steuer ermittelt, die auf die Hälfte der gemeinsamen Einkommen anfällt. Der Betrag wird dann verdoppelt, das Ergebnis zeigt dann die Steuerlast, die das Ehepaar gemeinsam leisten muss. Das klingt kompliziert.
Was man sich aber merken kann: Das Splitting mindert dann insgesamt die Steuerschuld, am größten ist der Vorteil, wenn ein Partner deutlich mehr verdient als der andere. Jetzt könnte man meinen: Ist doch klasse, weniger Steuern zahlen, mehr Geld in der Tasche. Aber: In dieser Form der Besteuerung liegen die Vorteile klar bei demjenigen, der mehr verdient. Das Einkommen des zweiten Partners wird mit der Steuerklasse IV berechnet, die Abzüge hier sind enorm – das Nettoeinkommen ist also entsprechend niedrig. Die Folge: Viele Zweitverdiener, meist die Frauen, überlegen dann oft, ob es sich überhaupt lohnt, arbeiten zu gehen oder mehr arbeiten zu gehen. Auch ist das Netto-Einkommen relevant für Sozialleistungen wie zum Beispiel das Elterngeld. Niedriges Nettoeinkommen bedeutet zum Beispiel niedrigeres Elterngeld beim zweiten oder dritten Kind – und der Anreiz wieder voll in den Job einzusteigen sinkt. Ein Teufelskreis.
„Es gibt Studien, die zeigen, dass in Deutschland das Einkommen von Müttern zehn Jahre nach Geburt des ersten Kindes noch 60 Prozent unter dem Einkommen im Jahr vor der Geburt lag“, sagte sie. Das liege vor allem daran, dass Frauen nach der Geburt weniger erwerbsmäßig arbeiteten. In Ländern wie Dänemark oder Schweden liege der Wert hingegen nur bei 20 Prozent, in den USA oder in Großbritannien bei 40 Prozent. „Deutschland sticht im Ländervergleich vor allem mit dem Steuersystem heraus.“ Viele Länder hätten zwar ein System der gemeinsamen Besteuerung, aber nicht so extrem wie in Deutschland.
Und wie denken Sie darüber? Stimmen Sie hier ab
Die Ergebnisse der Umfrage sind nicht repräsentativ.
Empfehlungen unserer Partner
Durchschnittliche 35-jährige Frau leistet bis zu 9 Stunden Sorge-Arbeit pro Tag!
Einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge leistet eine durchschnittliche 35-jährige Frau bis zu neun Stunden sogenannte Sorgearbeit pro Tag - Männer in der Altersklasse nur ein Drittel davon. Während sich diese Lücke im Lebensverlauf wieder etwas schließe, bleibe die Lohnlücke, der sogenannte Gender Pay Gap, konstant hoch. Als Grund nennen die Forscherinnen die ungleiche Aufteilung der Arbeit zuhause, höhere Teilzeitquoten und längere andauernde Elternzeit von Frauen.
Eine Voraussetzung, um das zu ändern, sei der weitere Ausbau der Kinderbetreuung, sagte die Mitautorin und Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW, Katharina Wrohlich, der dpa. Da sei in der Vergangenheit viel passiert, der Mangel bleibe aber bestehen. Auch die Subventionierung von Minijobs in Kombination mit dem Ehegattensplitting fördere die ungleiche Aufteilung. Und auch das Elterngeld müsse reformiert werden: „Wir wissen aus der Forschung, dass wenn Väter in Elternzeit gehen, sich die Sorgearbeit und speziell die Kinderbetreuung gleichmäßiger aufteilt.“
In der Studie plädieren die Autorinnen daher für eine schrittweise Erhöhung der Partnermonate von derzeit zwei auf sieben Monate. Sprich: Wenn Paare statt zwölf Monaten vierzehn Monate Elterngeld beziehen wollen, sollte es demnach nicht mehr ausreichen, wenn ein Partner zwei Monate Elternzeit nimmt - sondern die Eltern sollten sich die Zeit gleichmäßig aufteilen. Eine Erhöhung von derzeit zwei auf drei Monate hat sich die Bundesregierung auch in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Zum aktuellen Stand des Vorhabens äußerte sich das Bundesfamilienministerium nicht.
30 weitere Videos
Lisa Paus fordert Reform des Steuersystems
Familienministerin Lisa Paus fordert aber auch eine Reform des Steuersystems. Ein geschlechtergerechtes Steuersystem brauche eine Neugestaltung der Steuerklassen III/V, sagte Paus den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Denn dadurch wird die Lohnsteuerbelastung zwischen Eheleuten fairer verteilt.“ Damit werde die ökonomische Gleichstellung und soziale Sicherung von Frauen gestärkt.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge verlangte eine faire Bezahlung für Frauen. „Noch immer bekommen Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn als Männer. Das ist nicht akzeptabel“, sagte sie. Die größten Unterschiede zwischen Männern und Frauen gebe es allerdings im Alter. Denn geringere Einkommen und kürzere Zeiten im Job wirkten sich stark auf die Rente aus. „Das führt dazu, dass Frauen im Durchschnitt nur in etwa die Hälfte der Rente von Männern bekommen. Altersarmut ist oft weiblich“, sagte Dröge. Eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen und eine bessere Bezahlung seien der Schlüssel gegen Armut im Alter. (dpa/eku)
Politik & Wirtschaftsnews, Service und Interviews finden Sie hier in der Videoplaylist
Playlist: 30 Videos
Spannende Dokus und mehr
Sie lieben spannende Dokumentationen und Hintergrund-Reportagen? Dann sind Sie bei RTL+ genau richtig: Sehen Sie die Geschichte von Alexej Nawalny vom Giftanschlag bis zur Verhaftung in „Nawalny“.
Außerdem finden Sie Dokus zu Politikern wie die persönlichen Einblicke zu Jens Spahn oder zur aktuellen politischen Lage: „Klima-Rekorde – Ist Deutschland noch zu retten?“
Spannende Dokus auch aus der Wirtschaft: Jede sechste Online-Bestellung wird wieder zurückgeschickt – „Retouren-Wahnsinn – Die dunkle Seite des Online-Handels“ schaut hinter die Kulissen des Shopping-Booms im Internet.