Exil-Iraner sprechen bei RTL

„Demonstranten müssen brutale Rache fürchten“

Proteste in Iran
RTL hat mit Exil-Iranern über die Proteste in ihrem Heimatland gesprochen.
dpa/privat

„Jin, Jiyan, Azadi!“ Die Worte: „Frau, Leben, Freiheit“ sind der Slogan vieler Menschen im Iran, die gerade täglich protestieren. Zehntausende demonstrieren gegen das Ayatollah-Regime, gehen auf die Straße. Riskieren dafür Leib und Leben. In einem Land, in dem es seit 43 Jahren immer wieder Widerstand gegen den brutalen Staatsapparat gab, formt sich gerade eine breite Revolution, die vielen Menschen auch in Deutschland Hoffnung gibt. Wie geht es Exil-Iranern, die hierzulande für ihre Heimat kämpfen? RTL hat mit einer Frau und einem Mann gesprochen, deren Lebensgeschichten für Gänsehaut sorgen.
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Exil-Iraner zu Protesten im Iran – „Sie wollen einfach nur leben wie wir“

Vor allem junge Menschen und die Frauen des Landes zeigen aktuell auf den Straßen Teherans und in anderen Städten des Landes unfassbaren Mut! Täglich müssen sie damit rechnen, für ihre freie Meinungsäußerung unter schlimmen Bedingungen inhaftiert oder sogar getötet zu werden.

Oft bekommt die Familie nicht einmal ihre Leiche ausgehändigt, um ihre Liebsten bestatten zu können. Doch für die Iraner scheint das Maß an Unterdrückung und Einmischung der Mullahs in ihr privates Leben endgültig voll zu sein. Die Menschen wollen sich die Schreckensherrschaft des islamistischen Regimes nicht länger gefallen lassen, so schildern es zwei Exil-Iraner im RTL-Gespräch.

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Kölner Exil-Iraner bangt um Familie in der Heimat – Neffe riskiert täglich sein Leben

„Sie haben keine Angst mehr. Junge Mädchen laufen in der ersten Reihe mit und gehen voran – ohne Kopftuch“, sagt Navid (Name von der Redaktion geändert) begeistert. „Die Mädchen sind so mutig, dass sie vorne weggehen. Sie kämpfen ohne Waffen gegen das Regime, das hat meinen Neffen dazu bewegt, mitzumachen“, so Navid weiter. Täglich schließt sich der Neffe des Kölners den Protesten im Iran an.

„Sie wollen einfach nur leben, wie wir“, sagt Navid bewegt. Jahrelang war er vor seiner Auswanderung nach Deutschland im Untergrund in Teheran gegen das Regime aktiv. Er landete im Gefängnis, sah Folter und Hinrichtungen von Jugendlichen mit eigenen Augen. Nur aus Glück und weil sie seine Identität nicht feststellen konnten, wurde er nach vier Tagen voller Prügel aus der Haft entlassen. „Mein Urin war danach voller Blut. Ich hatte nur noch Alpträume.“

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Exil-Iraner setzt sich 1986 mit hollywoodreifem Abgang aus Heimatland ab

1986 wurde Navid jedoch wieder von der Polizei erwischt. Doch er sprang aus dem Fenster in der dritten Etage und hatte nur Glück, auf einem Zwischendach zu landen und verschwinden zu können. In Deutschland bekam Navid Aysl. Nun verfolgt er mit großem Interesse die Geschehnisse in seiner Heimat.

„Wir haben seit 43 Jahren gekämpft. Es gab von Anfang an Widerstand. Jetzt ist die Bewegung nach dem Tod von Mahsa Amini so breit geworden. Es ist eine Massenbewegung in allen Städten.“

Proteste im Iran: „Soziale Bewegung“

„Die Polizei ist überall, um die Proteste gewaltvoll niederzuschlagen. Teilweise schießen sie ziellos in die Menge“, hört Navid von seinen Liebsten in der Heimat. Jeden Tag bekommt er Videos zugeschickt, die ihn schockiert und gleichzeitig hoffnungsvoll zurücklassen.

„Sie müssen die brutale Rache des Regimes fürchten und bleiben trotzdem aktiv. Sie wollen in einer Demokratie leben, es ist eine soziale Bewegung“, sagt Navid.

Exil-Iranerin hielt es nicht mehr aus: „Wir müssen mutig sein"

Doch die soziale Bewegung fußt vor allem auf dem Mut der iranischen Frauen. Es sind Frauen wie Tahmineh Rostami (34) aus Teheran, die in Deutschland lebt und sich hier öffentlich auf Demonstrationen für ihr Land engagiert. „Wir müssen mutig sein, sonst wird sich nichts ändern. Uns bleibt gar nichts anderes übrig“, sagt sie im RTL-Gespräch.

Als Journalistin hat sie bei einer Zeitung in Teheran gearbeitet und war Kindertheater-Regisseurin. Den Iran musste sie bereits 2018 verlassen. Es wurde zu gefährlich. Nach der Scheidung von ihrem Ex-Mann lebte sie allein. Das durfte aber nicht jeder wissen. Im Alltag musste sie ständig Lügen erfinden, zum Beispiel als sie sich ein Haus kaufen wollte.

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Tahmineh Rostami
Tahmineh Rostami (34) protestiert in Köln und anderen Städten gegen das Ayatollah-Regime im Iran.
Privat

Iranerin litt unter Kopftuchzwang: „Es war ganz und gar nicht okay für mich“

„Wir haben unsere verborgene Freiheit. Wir feiern Partys, wir trinken auch mal etwas. Wir fahren auch mal ohne Kopftuch Auto. Doch die Polizei darf uns nicht erwischen, die Folgen wären schrecklich“, schildert die 34-Jährige. Wer erwischt wird, dem würde es gehen wie Mahsa Amini. „In Freiheit zu leben, ist illegal“, sagt die Exil-Iranerin klar. Tahmineh litt unter der Kopftuchpflicht.

„Es klingt wie ein Witz, aber wir wachsen damit auf, dass Frauen in Filmen im Bett liegen und ein Kopftuch tragen. Doch ich habe mich nie daran gewöhnt. Es war nie meine freie Entscheidung“, sagt Rostami im RTL-Gespräch und bekräftigt: „Es war ganz und gar nicht okay für mich.“ Sie sei nie von der Sittenpolizei verhaftet worden, doch das sei vor allem Glück gewesen.

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Exil-Iranerin: „Mehr als feministische Revolution – wollen komplette Veränderung“

„Was wir jetzt erleben, ist mehr als eine feministische Revolution – wir wollen die komplette Veränderung für alle“, sagt Rostami. Was ihr jetzt Hoffnung gibt, ist auch die weltweite Solidarität im Internet. Der Twitter-Hashtag „Mahsa Amini sei um die Welt gegangen. Tahmineh ist begeistert von den Menschen, die sich im Internet solidarisieren. Und das sei erst der Anfang.

Vor ihr liegen Postkarten an die Regierung, auch an Außenministerin Annalena Baerbock hat sie mit weiteren Aktivisten geschrieben. Auf der Karte ist ein Mädchen zu sehen, dass sich schreiend und mit offenen Haaren einem bewaffneten Mann entgegenstellt, der ein Maschinengewehr in der Hand hält. Ein Kölner Künstler habe das Bild gemalt. Über die Proteste der Jugend steht auf der Rückseite: „Sie kämpfen mit leeren Händen und einem Löwenherzen für ihre Bürgerrechte, die Würde der Menschen und wichtiger als alles andere: für Freiheit!“ Tahmineh sieht diese Menschen jeden Tag, wenn auch nur auf ihrem Handy.

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Exil-Iranerin: „Zeigt, dass es euch nicht egal ist“

Vor allem abends würden die Menschen gerade im Iran demonstrieren. Es sei gefährlich, aber wichtig. Und was können wir in Deutschland tun? „Unterstützt uns im Internet. Zeigt, dass es euch nicht egal ist. Geht auf Demonstrationen“, sagt Rostami abschließend.

Sie will nicht aufgeben, um irgendwann wieder im schönsten Land der Welt leben zu können – sagt sie mit glasigen Augen und fest entschlossenem Blick.