Tränen, Angst, Schuldgefühle

Fatima (12) entschuldigt sich unter Tränen – weil sie Afghanin ist

Es sind Szenen, die tief unter die Haut gehen und garantiert niemanden kaltlassen.
Mit tränenerstickter Stimme bittet Fatima, ein zwölfjähriges Mädchen, um Vergebung. Für eine Tat, die sie nicht begangen hat. Sie entschuldigt sich nicht nur bei den Angehörigen der Opfer, sondern auch dafür, dass sie aus Afghanistan kommt. Warum fühlt sich ein Kind für ein unmenschliches Verbrechen verantwortlich, das es nicht einmal miterlebt hat?

Messerattacke in Aschaffenburg: Ein Moment, der alles verändert

Am 22. Januar steht in Deutschland für einen Moment die Zeit still. Ein ausreisepflichtiger Afghane (28) greift im Schöntalpark in Aschaffenburg gezielt eine Kita-Gruppe an, ersticht zwei Menschen, darunter einen zweijährigen Jungen. Eine unfassbare Tat, welche nicht nur Bayern, sondern das ganze Land in Schock versetzt.

Zwei Tage später versammeln sich rund 3.000 Menschen, um der Opfer zu gedenken. Inmitten dieser Menschenmenge steht Fatima, ein Mädchen, das weint, zittert – und sich vor aller Augen entschuldigt. Plötzlich tritt sie ans Mikrofon. Ihre Worte sind kaum zu verstehen, so sehr kämpft sie mit den Tränen. „Ich entschuldige mich bei der Mutter des Kindes.”

Eine Frau ruft ihr zu: „Du musst dich nicht entschuldigen. Du kannst nichts dafür.” Doch Fatima fährt fort: „Aber Menschen denken, weil ich ein Afghane bin, dass ich böse bin.” Diesen bewegenden Moment könnt ihr euch im Video oben ansehen.

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Fatima leidet nach der Tat – Ausgrenzung in der Schule

Die Frau, die Fatima in den Arm nimmt und tröstet, ist Lateesha Halmen (32). Sie hat an diesem Abend die Mahnwache mitorganisiert. Die Mutter von drei Kindern ist Teil der Organisation „Aschaffenburg ist bunt”. Als sie Fatimas Geschichte hört, ist sie fassungslos: „Tatsache ist, Fatima kam selbst aus eigenem Antrieb zu uns, weil sie in den vergangenen Tagen oder in den Tagen nach dieser Tat im Schöntal sehr unter den Folgen gelitten hat, in Form von, sie wurde in der Schule ausgegrenzt, die Kinder wollten nicht mehr mit ihr reden. Sie saß tagelang in ihrem Zimmer und hat geweint und hat sich schuldig gefühlt und hat sich geschämt, Afghanin zu sein.”

Nicht nur Fatima fühlt sich nach der Tat ausgegrenzt. Josef Nazery ist Taxifahrer und lebt seit 28 Jahren in Deutschland. Der Vorsitzende des afghanischen Kulturvereins in Aschaffenburg spürt ebenfalls, dass das Misstrauen gegenüber Afghanen wächst: „Ich entschuldige mich als ganzer Afghane und Afghanistan. Aber was soll man machen? Wenn einer einen Fehler macht, ist er verantwortlich für eine Sache, aber nicht das ganze Volk.”

Josef Nazery ist Taxifahrer und lebt seit 28 Jahren in Deutschland.
Josef Nazery ist Taxifahrer und lebt seit 28 Jahren in Deutschland.
Stern TV

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Rechte Gruppen nutzen Tat für ihre Zwecke

Während Aschaffenburg trauert und auf ein Fünkchen Normalität hofft, nutzen rechte Gruppierungen die Situation für ihre Zwecke. Laut Jochen Kopelke von der Gewerkschaft der Polizei werden solche Verbrechen zunehmend instrumentalisiert. „Wir sehen nämlich das sofortige Anmelden von Versammlungen der rechten Szene am Tatort sofort ein Instrumentalisieren, eine digitale Hetz- und Hasskampagne Rechter, die das alles instrumentalisieren.” Die Frage nach Migration werde gezielt politisiert, obwohl es eigentlich um Sicherheit gehen müsste. Kopelke betont bei Stern TV: „Die Polizei muss immer mehr einschreiten, muss immer mehr präsent sein. Und warum? Um den Menschen überhaupt eine Sicherheit zu geben, entweder demonstrieren zu können oder auf der anderen Seite, sich noch sicherer in der Stadt zu bewegen. Und das ist die Debatte, die wir eigentlich führen müssten und nicht welche Nationalität, welcher Aufenthaltsstatus.”

Wie geht es für Fatima und Aschaffenburg weiter?

Für Halmen ist klar: Die Stadt muss zusammenhalten. Und Fatima? Sie hat nach ihrem bewegenden Auftritt viel Zuspruch bekommen. Halmen erzählt im Gespräch mit Stern TV: „Sie war stolz, dass sie den Mut hatte, auf die Bühne zu gehen.”

Es bleibt die zarte Hoffnung, dass aus diesem tragischen Ereignis von Aschaffenburg etwas Gutes entsteht: ein Bewusstsein dafür, dass ein Kind sich nicht für seine Herkunft entschuldigen muss. (kra)