Immer mehr Jugendliche rutschen ab

Experte warnt vor Spielsucht: Zocken löst ähnliche Glücksgefühle aus wie Kokain

Online-Spielsucht bei Jugendlichen hat zugenommen RTL-Jugendreporter
10:36 min
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Online-Spielsucht bei Jugendlichen hat zugenommen

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von Marc Luca Sleegers

Während der Corona-Pandemie sind immer mehr Kinder und Jugendliche in die Online-Spielsucht gerutscht - dieses Ergebnis einer neuen Gesundheitsstudie lässt bei Suchtexperten die Alarmglocken schrillen. Denn: Eltern sind oft ahnungslos und bemerken das Problem zu spät.

Viele Eltern wissen nicht, was ihre Kinder spielen

In einer RTL/Forsa-Umfrage haben zwar 47 Prozent der befragten Eltern angegeben, dass sie wissen, welche Spiele ihre Kinder spielen, genauso viele wissen es aber nicht genau. 6 Prozent der befragten Väter und Mütter gaben sogar zu, überhaupt nicht Bescheid zu wissen. Auch bei den Bildschirmzeiten gibt es große Unterschiede. In meiner neuen Reportage treffe ich einen 14-jährigen Jungen, der wegen seiner Online-Spielsucht sogar in eine psychiatrische Klinik musste. Außerdem besuche eine spezielle Beratungsstelle für Mediensucht in Hannover. Die ganze Reportage sehen Sie im Video.

Zocken gehört für meine Generation zum Alltag

Ich habe so mit 12 Jahren angefangen zu spielen und verbringe auch jetzt noch regelmäßig Zeit vor der Spielekonsole. Allerdings hat es bei uns zu Hause von Anfang an klare Regeln und Zeitlimits gegeben. Heute, mit 17, sehe ich das vielleicht entspannter als damals in der ein oder anderen Situation. Ich weiß selbst, wie sehr einen gute Spiele fesseln können. Aber ich will erfahren, was echte Sucht bei Jugendlichen bedeutet.

Dazu besuche ich die Beratungsstelle „Return“ in Hannover, die auf Online-Spielsucht bei Kindern und Jugendlichen spezialisiert ist. Reemt Itzenga ist psychologischer Berater hier. Der Therapeut unterscheidet zwischen der Partyzone und der Kontrollzone. Gerade vor und während der Pubertät sei das Gehirn vor allem auf Spaß programmiert statt auf Kontrolle und Vernunft. Für klare Regeln seien daher die Eltern verantwortlich. Er hält es für total wichtig, ständig im Austausch zu bleiben. Wie genau Eltern das am besten anstellen, erklärt er im Video.

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Kai (14) hat 48 Stunden nonstop gezockt

Was erst mal unglaublich klingt, hat der 14-jährige Kai tatsächlich durchgezogen und dabei sogar das Essen, Trinken und Waschen vergessen. Der Schüler habe meist heimlich gezockt und sich dafür sogar nachts den Wecker gestellt, erzählt er mir im Interview in seinem Zimmer. „Dabei habe ich maximal eine Stunde geschlafen.“ Den Schlaf habe er dann in der Schule nachgeholt, bis die Situation eskaliert und den Eltern klar geworden sei, was hier los ist.

Schüler wurde sogar über Wochen sexuell belästigt

Kai (14) habe sich zunächst nichts dabei gedacht, aber die vermeintlichen Freunde aus dem Spiele-Chat sollten sich später als erwachsene Männer entpuppen. Weil er nachts so viel online war, kam es zu dubiosen Chat-Freundschaften. „Die haben mir dann Fotos und Videos von sich geschickt, und ich sollte das dann auch machen“, so Kai. Er versichert mir aber auch, dass er selbst nie so etwas von sich verschickt habe.

Aufgeflogen sei das Ganze, als Kais Vater den Chatverlauf in der entsprechenden App zur Spielekonsole kontrolliert habe. „Der hatte fast 140 Freunde mit den seltsamsten Namen. Wir haben uns gefragt, woher er die alle kennt und ihn zur Rede gestellt.“ Dabei finden sie auch Nacktfotos von fremden Männern auf seinem Smartphone. „Wir haben dann Anzeige erstattet, und die Polizei hat uns erklärt, dass Kai wohl an einen Pädophilenring geraten ist.“

Diese Schocknachricht sitzt immer noch tief. Kais Mutter muss in unserem Interview immer wieder weinen. Mehrfach kassieren die Eltern den Computer ein und erteilen Spielverbote, auch vorher schon. Sogar mit zur Arbeit nimmt der Vater die Konsole und die Controller, damit Kai sich die Sachen nicht wieder heimlich ins Zimmer holt. Oft nutzt er die Situation aus, weil beide Eltern berufstätig sind.

Wie stark seine Sucht zu diesem Zeitpunkt schon fortgeschritten ist, wird deutlich, als er ausrangierte Smartphones reaktiviert und darauf seine Spiele zockt. Das sei ein echter Teufelskreis gewesen und als Eltern hätten sie sich einfach nur noch hilflos gefühlt, erzählen sie mir.

"Dann bin ich von zu Hause abgehauen"

Auf einmal ist Kai verschwunden. Stundenlang suchen die Eltern nach ihm. Er ist weder bei Freunden noch hat er irgendeine Nachricht hinterlassen. Erst ein Anruf in einem Krankenhaus in der Nähe bringt Klarheit. Er hatte den Ärzten gesagt „Ich kann nicht mehr“, und sich selbst in die Psychiatrie eingewiesen. Die Gespräche mit den Therapeuten helfen ihm sehr, allerdings dauert es Wochen, bis er wieder lernt, sich richtige Tagesstrukturen aufzubauen.

Heute redet er viel mehr mit seinen Eltern, erzählt er mir. Er hat sogar angefangen, Bücher zu lesen und bringt sich aktuell selbst das Klavierspielen bei.

Auch die Schulnoten haben sich wieder verbessert. Gezockt wird jetzt nur noch am Wochenende, allerdings mit Zeitlimit und klarer Absprache, welche Spiele er spielen darf.

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