Bereits jedes sechste Kind hat eine allergische Erkrankung
Alarmierende Zahlen: Bei vielen Schülern mit Allergie rauschen die Noten ab
Sie äußert sich durch tränende Augen, eine laufende Nase oder Ausschlag: 30 Prozent aller Menschen in Europa leiden an einer Allergie. Vor allem die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen steigt. Und das hat gravierende Folgen. Welche das sind, erklärt HNO-Professor Dr. Mark Jakob im Video.
Allergien zählen zu den häufigsten chronischen Erkrankungen bei Kindern
Die Pollensaison beginnt mittlerweile immer früher. Durch den Klimawandel gedeihen in unseren Breitengraden Pflanzenarten, die hier nicht heimisch sind. Mit gravierenden Folgen für Millionen von Allergikern allein in Deutschland. Denn Allergien sind nicht nur weltweit eine sehr häufige chronische Erkrankung, sie sind weiterhin auf dem Vormarsch. Darauf weisen die Europäische Stiftung für Allergieforschung (ECARF) und die Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst (PID) zum Start der diesjährigen Pollensaison hin.
Die Folgen von allergischen Erkrankungen sind gravierend. Jahr für Jahr. So beträgt der – bei korrekter Behandlung vermeidbare – wirtschaftliche Schaden in der EU etwa 100 Milliarden Euro. Vor allem Kinder und Jugendliche leiden unter einer allergischen Erkrankung: Rund 30.000 Jugendliche brechen demnach bundesweit aufgrund einer Allergie ihre Ausbildung ab und jede zehnte Krankschreibung in Deutschland ist auf eine Allergie zurückzuführen.
Schulkinder mit einem unbehandelten Heuschnupfen leben mit einer 40-prozentigen Wahrscheinlichkeit, während der Pollensaison eine ganze Note in der Schule abzufallen. Etwa jedes sechste Kind leidet an einer allergischen Erkrankung. Damit zählen Allergien auch zu den häufigsten chronischen Erkrankungen bei Kindern.
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Allergie-Risiko ist vor allem genetisch bedingt: Tests ermöglichen sichere Diagnose
Das jeweilige Risiko für eine allergische Erkrankung hängt vor allem von den Eltern ab. Ein besonders hohes Risiko für eine Allergie haben Kinder, deren Eltern ebenfalls von einer Allergie betroffen sind: Leidet ein Elternteil an einer allergischen Erkrankung, so liegt das Risiko des Kindes an einer Allergie zu erkranken, bei 20 bis 40 Prozent. Haben beide Eltern die gleiche Allergie, so steigt das Risiko des Kindes sogar auf 60 bis 80 Prozent.
Trotz der hohen Zahl Betroffener werden jedoch nur zehn Prozent der Menschen mit Allergien richtig behandelt, obwohl es zuverlässige und effektive Behandlungsmöglichkeiten gibt. Aber auch vorbeugend lässt sich einiges tun: Schon die erste flüssige und feste Nahrung nach der Muttermilch kann laut Medizinern Allergien begünstigen oder auch unterdrücken – so sollten durch Vererbung allergiegefährdete Kinder beispielsweise hypoallergene Milch bekommen oder nur mit speziellem Obst die Beikost beginnen. Gestillte Kinder gelten zudem als resistenter gegen Allergien. Außerdem empfehlen Ernährungsexperten, den Nahrungsplan bei Babys mit glutenfreiem Getreide wie Reisflocken zu beginnen.
Sicher nachweisen lässt sich eine Allergie durch einen Bluttest, Hauttests und spezielle Diäten, bei denen bestimmte Lebensmittel ausgeschlossen werden. Eltern sollten sich im Zweifelsfall an Ihren Kinderarzt wenden, um Klarheit zu erlangen. Erwachsene finden in Ihrem Hausarzt einen kompetenten Ansprechpartner.
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Gräserpollenkonzentration steigt seit 2019 kontinuierlich an
Doch welche Pollen lösen Heuschnupfen und Co. aus? In den Frühjahrsmonaten sind vor allem die Pollen von Hasel, Erle und Birke für die Entstehung von Heuschnupfen und Pollenasthma sowie die Stärke der allergischen Symptome verantwortlich. Seit 2018 treten Haselnusspollen in zunehmend größeren Mengen in ganz Deutschland auf – so auch im Jahr 2022.
Birkenpollen sind neben den Gräserpollen die wichtigsten Pollenarten, die zu Heuschnupfen, Asthma und – über Kreuzallergien – der Unverträglichkeit von Kern- und Steinobst (Orales Allergiesyndrom) führen. Im vergangenen Jahr 2022 war laut PID eine Steigerung der Birkenpollenzahl gegenüber den Vorjahren zu erkennen. Insgesamt war damit das Jahr 2022 ein starkes "Baumpollenjahr“.
Die Gräserpollenkonzentrationen steigen seit 2019 kontinuierlich an und erreichten 2022 einen neuen Höhepunkt. Diese Pollen führen nachweislich zu Entzündungen der Schleimhäute in den Atemwegen. Pollen lösen die Bildung von IgE-Antikörpern bei Betroffenen aus, die dann als "sensibilisiert“ gelten und somit die Grundlage zur Entwicklung von Heuschnupfen und Pollenasthma haben. Dabei sensibilisieren sich Menschen in Großstädten häufiger gegen Baum- und Gräserpollen als in Kleinstädten oder Dörfern.
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Luftschadstoffe verändern Allergene in den Birkenpollen
In einer neuen Studie konnte auch gezeigt werden, dass Luftschadstoffe – und hier insbesondere Feinstaub und Stickoxide – die Allergene in den Birkenpollen chemisch verändern, sodass die Allergene eine höhere Allergenität erreichen. Sprich: Es reichen weniger Allergene aus, um eine starke allergische Reaktion auszulösen.
In direkter Straßennähe wirkt der CO2 Ausstoß von Verbrennermotoren wie Dünger. „So konnte auch gezeigt werden, dass in direkter Nachbarschaft viel befahrener Straßen der Pollenflug steigt“, fasst Angela Balatoni, Geschäftsführerin der Allergy Friendly Buildings Alliance GmbH (AFBA) zusammen.
„Die höhere Rate an Sensibilisierungen gegen Pollen in luftverschmutzter Umgebung kann damit sowohl als Folge der Wirkung von Luftschadstoffen auf die Pflanzen und ihrer Pollen, aber auch auf eine gesteigerte Überempfindlichkeit der menschlichen Schleimhäute in Städten angesehen werden", betont Professor Karl-Christian Bergmann, Vorsitzender der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst (PID). Neben einer verstärkten Allergenität der Pollen verändern sich auch Entzündungen der Schleimhäute durch Luftschadstoffe, wodurch die Betroffenen verstärkt die typischen Symptome von Juckreiz an Nase und Auge, Augenrötung und Naselaufen, Fließnase und Asthmabeschwerden haben.
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Darum dehnt sich die Pollensaison immer weiter aus
Die Erderwärmung schließlich sorgt dafür, dass Betroffenen immer länger unter dem Pollenflug leiden. Mittlerweile überschneidet sich die Zeit des Auftauchens der ersten Pollen der neuen Pollensaison mit dem Verschwinden der letzten Pollen der vorherigen Pollensaison beinahe: So führt der Klimawandel zum einen dazu, dass die Pollen der Gräser und Kräuter länger in den Herbst hineinfliegen, während umgekehrt die Bäume früher im Jahr zu blühen beginnen.
Besonders betroffen sind dabei Hasel- und Erlenpollenallergiker. Denn Haseln und Erlen reagieren ausgesprochen temperatursensibel und beginnen bei länger andauernden Mildphasen während der Wintermonate zu blühen. Im Zuge des Klimawandels treten diese Mildphasen hierzulande häufiger auf und auch die erreichten Temperaturen sind höher als noch in der Vergangenheit, wie uns der rekordwarme Jahreswechsel 2022/2023 deutlich gezeigt hat. So begann die Pollensaison 2023 im Südwesten des Landes direkt am ersten Tag des Jahres mit rekordverdächtigen Pollenkonzentrationen und mancherorts bereits hohen Haselpollenbelastungen.
Verstärkt wird dieser Trend zur frühen Pollenbelastung durch die Neuanpflanzung allergener Baumarten in Städten, darunter beispielsweise die fremdländische und stadtklimarobuste Purpurerle, die ihre Pollen gerne schon um die Weihnachtszeit fliegen lässt, Wochen vor den heimischen Erlen. Die Stiftung PID empfiehlt daher eine allergikerfreundliche Bepflanzung der Städte unter Vermeidung von Bäumen, die allergene Pollen freisetzen
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Medikamente, Luftreiniger und Co. verschaffen Linderung der Allergie-Symptome
Allergien sind die weltweit am häufigsten verbreitete chronische Erkrankung. „Es gibt immer wieder Todesfälle durch die Folgen einer Insektengift- oder Nahrungsmittelallergie. Dennoch werden Allergien nach wie vor häufig trivialisiert und verharmlost“, sagt Professor Torsten Zuberbier, Stiftungsvorsitzender der Europäischen Allergiestiftung (ECARF).
Doch es gibt auch einen Lichtblick: „Allergien sind aber inzwischen sehr gut zu behandeln, in den meisten Fällen kann mit modernen Medikamenten Beschwerdefreiheit erreicht werden", so Zuberbier weiter. Zusätzlich ist es möglich, nicht medikamentöse Strategien in das Behandlungskonzept einzubinden.
Luftreiniger, die nicht nur Pollen, sondern auch Feinstaub filtern, sind eine hilfreiche Unterstützung für Betroffene – besonders in städtischen Regionen. Moderne Apps stehen ebenfalls zur Verfügung: Sie helfen Atemwegsallergikern rechtzeitig ihre Medikation anzupassen sowie Menschen mit Nahrungsmittel oder Kontaktallergie, mit moderner Fototechnologie auf Verpackungen rechtzeitig ihre Allergene zu entdecken.
Eine einfache, aber wirksame Behandlungsmaßnahme bei Pollenallergien ist die Reduzierung beziehungsweise Vermeidung des Allergenkontaktes. Hierzu eignet sich besonders die Pollenflugvorhersage oder der Pollenflugkalender. Dieser gibt Auskunft über das allgemeine Pollenflugverhalten einer Auswahl von in Deutschland häufigen Pollenarten.
Wer die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Prävention und Linderung der Symptome nutzt, kann die Pollenzeit auch mit Allergie ein wenig leichter durchstehen. (mit ECARF/ PID)
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