Klimawandel zerstört Inselparadies
Indonesische Fischer verklagen Zement-Riesen
Weiße Sandstrände, blaues Meer und überall Palmen – die indonesische Insel Pari ist ein wahrgewordener Urlaubstraum. Doch dieser könnte bald im Ozean versinken. Schuld ist der Klimawandel. Flutkatastrophen und steigende Meeresspiegel bedrohen die Existenz der Inselbewohner und sorgen dafür, dass immer weniger Touristen kommen. Nun begehren vier Fischer auf. Sie möchten die möglichen Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Und legen sich dafür mit der Holcim AG an - dem größten Zement-Konzern der Welt.
"Als ich ein Kind war, gab es so was nicht"
Pari ist nicht groß – zu Fuß kann man die zwei Kilometer lange Insel in etwa 20 Minuten ablaufen. Die Inselbewohner leben seit jeher mit und von dem Ozean vor ihrer Haustür. Sie sind Fischer oder kümmern sich um die Touristen, die hier Entspannung und Abstand von Indonesiens Hauptstadt Jakarta suchen. Doch seitdem immer öfter Flutwellen Häuser zerstören und Möbel mitreißen, kommen auch weniger Urlauber. Allein in den vergangenen neun Monaten wurde die Insel viermal überflutet. Das ist neu.
„Als ich ein Kind war, da gab es so etwas nicht“, berichtet der 36-jährige Fischer Edy Mulyono im Gespräch mit RTL/ntv. „Es gab nicht solche extremen Wetterphänomene.“ Mit seiner Frau und drei Kindern lebt er seit jeher auf der Insel, führt eine Fischfarm und eine Unterkunft für Touristen. Mehrere Jahre war er Dorfvorsteher. Eine Fläche, so groß wie acht Fußballfelder hat Pari bereits an das Meer verloren - 11 Prozent der Landfläche innerhalb von nur acht Jahren. Ein Hintergrundpapier des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) bestätigt: Schuld daran ist der Klimawandel. Demnach ist der Meeresspiegel in den vergangenen fünfzig Jahren um gut 20 Zentimeter angestiegen. Der höchste Punkt auf Pari liegt bei nur wenigen Metern über Normal Null.
Vier Fischer gegen einen Riesen
Doch statt ihre Heimat aufzugeben, haben vier einheimische Fischer nun beschlossen, in den Kampf zu ziehen. Edy Mulyono ist einer von ihnen. Ihr Gegner: die Holcim AG, der größte Zementkonzern der Welt. Ihn machen sie für den Untergang ihrer Insel mitverantwortlich. In einem Gericht im Schweizer Kanton Zug hat eine Anwältin für sie rechtliche Schritte gegen den Konzern eingeleitet, was exklusive RTL/ntv-Informationen belegen.
Die Hoffnungen der vier Indonesier – eine Frau und drei Männer – sind groß. „Erstens erwarte ich, dass sie [Holcim] ihre Treibhausgase reduzieren, damit der Klimawandel nicht voranschreitet. Sie müssen ihre Emissionen verringern“, sagt Edy Mulyono, einer der Kläger, zu RTL/ntv. „Der zweite Punkt ist, dass sie für ihren Anteil am Klimawandel zur Verantwortung gezogen werden.“ Mulyono kennt seine Insel – und er weiß ganz genau, mit wem sich die kleine Inselgemeinschaft jetzt anlegt. „Warum Holcim?“, fragt Fischer Edy Mulyono und gibt sogleich selbst die Antwort. „Wir meinen, dass neben anderen die Holcim AG drastisch zur Umweltzerstörung beigetragen hat. Deswegen haben wir sie ausgesucht.“
Das fordern die Fischer

Die Kläger wollen, dass das Unternehmen ihnen und ihrer Inselgemeinschaft Schadensersatz für die Zerstörung von Häusern, Fischfarmen und Infrastruktur zahlt. Das geht aus den eingereichten anwaltlichen Unterlagen hervor, die RTL/ntv exklusiv vorliegen. Außerdem soll der Konzern Schutzmaßnahmen finanzieren, durch welche die Insel vor zukünftigen Unwettern geschützt wird.
Für die Holcim AG sollte eine weitere Forderung jedoch weit bedeutender sein: Die vier Kläger wollen den Zementkonzern auf eine viel drastischere Senkung seines CO2-Ausstoßes verpflichtet wissen. So soll die Holcim AG ihre Treibhausgase bis 2030 um 43 Prozent reduzieren (zum Vergleichsjahr 2019), bis 2040 um 69 Prozent. Dies würde sicher nur mit umfangreichen und teuren Investitionen möglich sein. Wahrscheinlich müsste der Konzern seine Beton- und Zementproduktion völlig umstellen.
Holcim-Konzern will bis 2050 klimaneutral werden
Zum Klageverfahren, das die vier Fischer gegen das Unternehmen eingeleitet haben, äußert sich Holcim auf Anfrage von RTL/ntv nicht. Yves Böni, ein Sprecher des Unternehmens, teilte aber mit, dass der Konzern Klimaschutz „sehr ernst“ nehme. „Wir haben unseren CO2-Fussabdruck über die vergangenen Jahrzehnte entscheidend reduziert. Wir werden diesen Weg im Einklang mit den wissenschaftlichen Anforderungen bis 2030 weiter beschleunigen und werden bis 2050 ein klimaneutrales Unternehmen sein.“
Holcim-Zement wird in Deutschland oft verwendet
In Deutschland findet man Holcim-Produkte überall: in U-Bahnhöfen, Freizeitparks oder Rheinbrücken. Allein in der Elbphilharmonie in Hamburg stecken 63.000 Kubikmeter Beton und 30.000 Tonnen Zement des Unternehmens. Unsere Nutzung von herkömmlichem Zement habe eine verheerenden Klimabilanz. Laut dem Umweltwissenschaftler Yvan Maillard Ardenti vom Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS) gehört die Zementindustrie zu den größten globalen Klimasündern. „Zement weltweit ist etwa dreimal so schlimm wie Fliegen“, ordnet der Experte die Klimabilanz gegenüber RTL/ntv ein. „Hier entsteht Klimawandel und Klimawandel verursacht Meeresspiegel-Anstieg.“
Ob das Schweizer Gericht den Bewohnern von Pari Recht gibt, bleibt abzuwarten. Doch die Inselbewohner können nicht auf das Ende dieses Rechtstreits warten bis sie handeln. Ihre wirtschaftliche Existenz und ihr Leben auf der Insel sind akut bedroht. Gerade pflanzen sie im größeren Stil Mangroven – so wollen sie einen natürlichen Schutz vor Überflutungen herstellen. Alle auf der Insel wissen, dass das Zeitfenster, um noch etwas retten zu können, nur noch sehr klein ist.
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