Was hat sich in zehn Jahren geändert?So sollen Katastrophen wie der Germanwings-Absturz verhindert werden
Flugnummer 4U 9525 – für immer unvergessen!
Am 24. März 2015 bringt Co-Pilot Andreas Lubitz einen Airbus A320 von Germanwings über den französischen Alpen zum Absturz. Was haben die Behörden aus dem schrecklichen Germanwings-Unglück gelernt? Und was wurde seither unternommen, damit es sich nicht wiederholen wird?
Schnell stand fest: Andreas Lubitz hat Germanwings-Flug 4U 9525 zum Absturz gebracht

Schon wenige Tage nach dem verheerenden Germanwings-Absturz legten die Ermittlungsbehörden erste Ergebnisse vor. Schnell stand fest: Der Co-Pilot hatte die Maschine mit 149 weiteren Menschen an Bord absichtlich abstürzen lassen. Außerdem war er an besagtem Tag aufgrund psychischer Probleme krankgeschrieben und hat auch schon in den Jahren zuvor immer wieder mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt.
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Schnell gerieten die Abläufe an Bord eines Flugzeuges und auch die Tauglichkeitsuntersuchungen für Piloten in Kritik. Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass ein offenbar psychisch kranker Pilot eine Fluglizenz bekommen hatte und wieso war es ihm möglich, den Kapitän aus dem Cockpit auszuschließen und den Germanwings-Flug 4U 9525 abstürzen zu lassen?
Verschiedene Arbeitsgruppen nahmen sich dieser Fragen an und entwickelten Abläufe und Programme. Welche Änderungen daraus genau hervorgingen, hat die Vereinigung Cockpit (VC) in einem Dokument zusammengefasst, das RTL vorliegt.
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Kritik an der „Zwei-Personen-Regel“ fürs Cockpit nach Germanwings-Absturz: Aktionismus und Sicherheitsrisiko
Nur drei Tage nachdem die ersten Ermittlungsergebnisse festgestanden hatten, veröffentlichte die European Union Aviation Safety Agency (kurz: EASA) am 27. März 2015 ein Sicherheitsinformationsblatt namens „Safety Information Bulletin 2015-04“. Damit wurde die sogenannte „Zwei-Personen-Regel“ eingeführt. Sie besagte, dass Cockpit-Crewmitglieder fortan zu keiner Zeit mehr alleine im Cockpit sein dürfen.
Wollte ein Pilot nun das Cockpit verlassen, um etwa zur Toilette zu gehen, musste vorher ein Flugbegleiter ins Cockpit kommen. Erst dann durfte der Pilot das Cockpit verlassen. Eine Regel, die vielfach kritisiert wurde.
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Denn sie störte nicht nur die oft eng getakteten Arbeitsabläufe von Flugbegleitern. Auch Sicherheitsmängel wurden ihr nachgesagt. Die VC erklärt in ihrem Dokument: Bei der „Zwei-Personen-Regel“ habe es sich um eine Regel gehandelt, „die von den Verbänden des Cockpitpersonals kritisiert wurde.“ Unter anderem, weil „die Personalwechsel zu einem längeren und vorhersehbareren Öffnen der Cockpittür führten, was ein neues Sicherheitsrisiko darstellte“.
RTL hat mit Pilot und Flugangst-Coach Suk-Jae Kim über die Änderungen gesprochen, die aus der schrecklichen Germanwings-Tragödie hervorgingen. Er hat verraten, wie er diese empfunden hat. Zu der „Zwei-Personen-Regel“ sagt er: „Das ging in Richtung Aktionismus, damit man etwas getan hat. Ein Sicherheitsgewinn war es in meinen Augen nicht. Ganz im Gegenteil.“ Er empfinde es als Erleichterung, dass „dieser Klo-Pilot, wie man so schön sagt, nicht mehr da ist“.
Diese Einsicht hatten kurze Zeit später auch die Sicherheitsbehörden. Rund ein Jahr nach ihrem Inkrafttreten wurde die „Zwei-Personen-Regel“ im Juli 2016 zunächst von der EASA wieder aufgehoben. 2017 folgten dann Berichte, dass die großen deutschen Airlines der neuen EASA-Empfehlung folgen und die Regel wieder abschaffen.
Was hat sich nach dem Germanwings-Absturz am 24. März 2015 noch geändert?

Nach dem Absturz der 4U 9525 am 24. März 2015 wurde insbesondere das bisherige Vorgehen im Hinblick auf die psychologische Begutachtung von Piloten in Frage gestellt. Immerhin haben die Ermittlungen ergeben, dass Andreas Lubitz am Tag des Absturzes aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung krankgeschrieben war.
Wie die VC erklärt, wurden nach dem Germanwings-Unglück verschiedene Taskforces gegründet: Sie hatten das Ziel, den besagten Fall aufzuarbeiten und daraus Empfehlungen für die Zukunft abzuleiten, die verhindern sollen, dass sich etwas so Schreckliches nochmal wiederholt. Zu den Empfehlungen gehörten demnach: „psychologische Untersuchungen von Cockpitpersonal vor der Aufnahme des Liniendienstes, die Einführung von zufälligen Drogen- und Alkoholkontrollen, eine Verbesserung der Aufsicht über die Flugmediziner, die Einführung einer europäischen Datenbank zu medizinischen Tauglichkeitsuntersuchungen sowie die verpflichtende Einführung von Pilot Support Systemen“.
Im Juli 2018 sei daraus unter anderem die europäische Verordnung (VO) 2018/1042 hervorgegangen, die die „Einführung der Alkohol- und Drogenkontrollen, psychologischer Tests sowie die verpflichtende Bereitstellung von Pilot Support Programmen” festlegte.
Im Oktober 2021 habe man die europäische Datenbank für Tauglichkeitsuntersuchungen – das EAMR (European Aero-Medical Repository) – live geschaltet.
Außerdem wurde die European Pilot Peer Support Initative (EPPSI) gegründet, erklärt die VC. Eine Initiative, die die mentale Gesundheit von Piloten in den Fokus rückt. Die Arbeit der Initiative ermögliche „Zugang zu Support Systemen mittlerweile allen Cockpitbesatzungen in Europa“. Derartige Systeme seien wichtig, da sie aufgrund ihrer Netzwerke und ihrer Erfahrungen wissen, wie Piloten die Hilfe bekommen können, die sie benötigen und wie sie gleichzeitig „möglichst flugtauglich“ bleiben oder es schnell wieder werden können.
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Psychologische Begutachtung von Piloten nach Absturz von Germanwings-Flug steht in der Kritik
Dennoch gebe es „weiterhin Verbesserungspotenzial und Unstimmigkeiten“, so die VC. Beispielsweise erfolge die psychologische Begutachtung im Rahmen der Flugtauglichkeitsuntersuchung „derzeit durch einen Fragebogen“. Aus Sicht der VC stelle das „weder eine Verbesserung der Flugsicherheit noch eine echte Unterstützung für Hilfe suchende Menschen“ dar. „Ein vertrauensvolles Verhältnis zur Flugmedizinerin oder zum Flugmediziner und ein offenes Gespräch wären sicherlich zielführender.“
Ähnlich sieht es auch Pilot Suk-Jae Kim: Wer wirklich psychische Probleme hat, der würde diese wohl kaum mittels Fragebogen zugeben, schätzt er. Insgesamt sei er aber froh, dass die mentale Gesundheit von Piloten mehr und mehr in den Fokus gerückt wird. „Ich finde, das ganze Thema sollte enttabuisiert werden, sodass man offener damit umgehen kann und den Leuten geholfen werden kann.“
Seit dem Unglück hat sich also einiges verändert, man kann nur hoffen, dass diese Anpassungen verhindern, dass sich eine solche Katastrophe jemals wiederholt.
Dokumentation zum zehnten Jahrestag des Germanwings-Absturz auf RTL+ streamen
Die Dokumentation „Der Germanwings-Absturz” könnt ihr jederzeit auf RTL+ streamen.