In Le Vernet sind Trauer und Gedenken zum Greifen nah„Papa und Mama vermissen Dich”: Zehn Jahre nach dem Germanwings-Absturz

Mit dem Jahrestag kehren bei vielen Menschen die Erinnerungen zurück.
Erinnerungen an die schlimmste Katastrophe der deutschen Luftfahrtgeschichte. Fast jeder weiß noch, wie und wo er von dem Drama erfahren hat. Von dem Massenmord eines Co-Piloten, der 149 Menschen auf dem Gewissen hat. Zum Greifen nah ist die Erinnerung unweit des Absturzortes in den französischen Alpen noch heute.
150 Menschen sterben bei Germanwings-Flug 9525
Ein Grablicht mit einem Schalke-04-Aufkleber, kleine Engelskulpturen und viele, teils verblichene Fotos von jungen Menschen schmücken die Gedenkstätte in Le Vernet. „Liebster Steffen, Papa und Mama vermissen Dich“, steht auf einer Kerze. Im Hintergrund erhebt sich das schneebedeckte Massif des Trois-Evêchés der französischen Alpen, dessen höchste Gipfel fast 3.000 Meter erreichen.
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Gegen diese Berge steuerte Co-Pilot Andreas Lubitz vor zehn Jahren ein Germanwings-Flugzeug mit 150 Menschen an Bord. Die Selbsttötung eines psychisch vorbelasteten jungen Mannes, der alle anderen Passagiere und Besatzungsmitglieder mit in den Tod riss, befanden die Ermittler. Die Körper fast aller Insassen wurden bei dem Aufprall zerfetzt. Es war das schlimmste Unglück in der Konzerngeschichte der Muttergesellschaft Lufthansa.
In Frankreich lebende Deutsche hilft Opfer-Angehörigen
Zu den Opfern zählten 72 Deutsche, unter ihnen 16 Schülerinnen und Schüler und zwei Lehrerinnen aus dem nordrhein-westfälischen Haltern am See. Sie waren nach einem Aufenthalt an ihrer spanischen Partnerschule auf dem Rückflug nach Düsseldorf. Auch die Opernsängerin Maria Radner, ihr Partner Sascha Schenk und ihr 18 Monat alter Sohn Felix kamen bei dem Absturz ums Leben. An der Gedenkstätte in Le Vernet stehen ihr Foto und ein kleines Holzkreuz mit ihren Namen. In unserem Video (Archiv, 2023) spricht Radners Vater Klaus über den Schmerz seines Verlustes,
Nina Théaudin, eine Deutsche, die mit ihrem französischen Mann in der Nähe einen Campingplatz betreibt, war in den Tagen nach der Katastrophe als freiwillige Helferin im Dauereinsatz. „Man hatte mich gefragt, ob ich bereit sei, die Angehörigen mit zu empfangen“, berichtet sie im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP, das wegen einer Auslandsreise von Théaudin telefonisch geführt wurde. „Es war sehr, sehr hart“, erinnert sich die Deutsche.
„Sie wandern ins Absturzgebiet, weil sie ihren Angehörigen ganz nah sein wollen”
Sie habe sich aber auch nützlich gefühlt, weil sie manchen Angehörigen in deren Muttersprache zur Seite stehen konnte. „Es war wichtig, für die Menschen da zu sein“, sagt Théaudin. Viele hätten das Bedürfnis gehabt, ihre Trauer und ihre Wut auszudrücken. Aus den Begegnungen unmittelbar nach der Katastrophe seien im Lauf der Zeit persönliche Beziehungen, sogar Freundschaften entstanden. Viele Angehörige reisten noch immer regelmäßig in das Absturzgebiet. „Sie wandern dann zur Absturzstelle hoch”, erzählt Théaudin, „sie wollen ihnen ganz nahe sein“.
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Zum Joseph-König-Gymnasium in Haltern hat Théaudin inzwischen eine ganz besondere Beziehung: Die übrigen Schülerinnen und Schüler der betroffenen 10. Klasse, die nicht mit in Spanien gewesen waren, seien im Jahr nach dem Absturz nach Frankreich gereist und bei ihr auf dem Campingplatz untergekommen. Es war eine Initiative des Schuldirektors, um den Jugendlichen zu helfen, ihre Trauer vor Ort zu verarbeiten.
„Wenn ich laute Flugzeuggeräusche höre, ist sofort die Angst da“
Zu einer Familie aus Haltern, die ihre älteste Tochter bei dem Unglück verloren hatte, entstand eine so enge Freundschaft, dass diese sogar die Tochter der Campingplatz-Betreiberin zum Austausch nach Haltern einlud. „Sie ging dann dort in die zehnte Klasse dieses Gymnasiums“, so Théaudin, die dafür bis heute eine große Dankbarkeit empfindet.
Die Deutsche bedauert es, wegen ihrer Auslandsreise bei der großen Gedenkfeier am 24. März nicht dabei zu sein. Zugleich ist sie froh, inzwischen Distanz zu dem Unglück hergestellt zu haben. „Aber wenn ich laute Flugzeuggeräusche höre, dann ist sofort die Angst da“, verrät Théaudin.
„Für immer und ewig in unseren Herzen“
Anders als die deutsche Campingplatzbetreiberin hatten viele Einwohner der betroffenen Orte nach dem Unglück gar keinen Kontakt zu den Angehörigen. „Sie wurden sehr abgeschirmt“, erinnert sich Odile Quièvre, Hotelbesitzerin aus Seyne, wo die Rettungsarbeiten koordiniert wurden. „Wir kamen gar nicht in Berührung mit ihnen, dabei hätten wir ihnen gerne unser Mitgefühl ausgedrückt“, sagt sie.

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Neben der Gedenkstätte in Le Vernet gibt es auch ein Gemeinschaftsgrab auf dem Dorffriedhof. Dort sind die menschlichen Überreste bestattet, die keinem Opfer eindeutig zugeordnet werden konnten. Vor dem Grabstein mit den Namen aller Opfer stehen Kerzen, Gedenktafeln, ein kleines Plastikpferd. Und ein Bild der beiden Lehrerinnen aus Haltern, Stefanie und Sonja. Die eine war frisch verheiratet, die andere stand kurz vor der Hochzeit. „Für immer und ewig in unseren Herzen“, steht unter dem Bild. (uvo; mit AFP)