Ex-Germanwings-Mitarbeiterin erinnert sich an Katastrophe„Flugbegleiter sterben nicht, sie fliegen nur höher”

Nach dem Absturz des Germanwings-Fluges 4U 9525 wurde vor der Unternehmenszentrale in Köln eine Gedenkstätte errichtet.
Am Tag des Absturzes am 24. März 2015 war ich selbst Flugbegleiterin bei Germanwings.
picture alliance / dpa | Oliver Berg / Privat

Ich wollte so sehr daran glauben, dass es nur eine Falschmeldung war!
Am 24. März 2015 brachte Co-Pilot Andreas Lubitz einen Airbus A320 von Germanwings über den französischen Alpen zum Absturz. Damals war ich selbst Flugbegleiterin bei Germanwings und die Tragödie hat mich in den Tagen und Wochen danach intensiv beschäftigt – und tut es auch heute noch. Das hier sind meine ganz persönlichen Erinnerungen an die Tragödie.

Der Absturz von Germanwings-Flug 4U 9525 am 24. März 2015: Diesen Moment werde ich wohl nie vergessen

Das Telefon klingelt. Meine Mutter hebt eine Etage tiefer ab. Von dem Gespräch, das folgt, bekomme ich nur Bruchstücke mit:

„Was!? … Nein! … Ich mache den Fernseher an.“

Obwohl ich nicht alles verstehe, ist mir sofort klar: Es muss etwas Schlimmes passiert sein. Doch was tatsächlich los war, darauf war ich nicht vorbereitet. Nachdem meine Mutter das Gespräch – wie ich dann erfuhr mit meiner Schwester – beendet hat, ruft sie nach oben: „Ein Germanwings-Flugzeug ist abgestürzt.“

„Niemals, das ist bestimmt eine Falschmeldung“ – das war mein erster Gedanke. Sofort mache auch ich den Fernseher in meinem Zimmer an und schon flimmert das Chaos rund um das zerrissene Flugzeug in den Alpen über den Bildschirm.

Die Tränen fangen an, unkontrolliert über meine Wangen zu laufen – auf die weiße Bluse meiner Flugbegleiter-Uniform, die ich mir gerade angezogen hatte. Denn ich selbst bin im März 2015 Flugbegleiterin bei Germanwings – nur vier Monate zuvor habe ich den Arbeitsvertrag unterschrieben.

Eigentlich hätte ich am Tag der Katastrophe noch fliegen müssen. Doch an diesem Tag und auch in den Tagen und Wochen danach lief erst mal nichts mehr nach Plan. Was hat das Unglück mit mir persönlich gemacht? Und wie hat sich der Job als Flugbegleiterin nach dem 24. März 2015 verändert?

Lese-Tipp: So sollen Katastrophen wie der Germanwings-Absturz künftig verhindert werden

Germanwings-Flug 4U 9525: Warum mich der Absturz persönlich noch heute beschäftigt

Zum Zeitpunkt des Germanwings-Absturzes war ich selbst Flugbegleiterin bei Germanwings.
Im Jahr vor dem Absturz habe ich angefangen, als Flugbegleiterin bei Germanwings zu arbeiten.
Privat

So viel steht fest: Persönlich hat mich der Absturz des Flugzeugs mit der Kennung D-AIPX vor zehn Jahren ganz schön mitgenommen – und tut es auch heute noch. Insbesondere aus den folgenden Gründen:

Germanwings hat sich immer angefühlt wie eine Familie. Man kannte alle Kollegen, die mit einem selbst am gleichen Flughafen stationiert waren, und auch viele, die in anderen Städten ihren Heimatflughafen hatten. Besonders zwischen den Flughäfen Köln-Bonn – wo ich selbst meine Heimatbasis hatte – und Düsseldorf – wohin die 4U 9525 an besagtem Tag fliegen sollte –, gab es viele Kontaktpunkte. So bin ich mehrmals, bevor es zu dem schrecklichen Unglück kam, selbst Einsätze ab Düsseldorf geflogen. Kurze Zeit vorher sogar mit Andreas Lubitz als Co-Pilot. Natürlich frage ich mich manchmal, was gewesen wäre, wenn er sein Vorhaben schon früher in die Tat umgesetzt hätte – auf eben diesem Flug.

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Video-Tipp: So sollen Katastrophen wie der Germanwings-Absturz verhindert werden

Der Germanwings-Absturz ereignete sich an einem Dienstag. Am Sonntag – also zwei Tage zuvor – stand für mich ein Flug auf die Kanaren und wieder zurück auf dem Dienstplan. Ein Dienst, den ich wohl nie mehr vergessen werde: Denn eine Kollegin, die dort Urlaub gemacht hatte, wollte mit uns „standby“ zurück nach Köln reisen. Bedeutet: Sie hatte ein vergünstigtes Ticket für Angestellte gekauft, bei dem es jedoch sein kann, dass man vom Flug ausgeschlossen wird, sollte er mit regulär gebuchten Passagieren voll besetzt sein. Und genau das war an besagtem Sonntag der Fall. Es gab keinen regulären freien Platz mehr in unserer Maschine. Doch wir entschieden uns, unsere Kollegin auf einem sogenannten Jump Seat – also einem Flugbegleitersitz – mitzunehmen. Immerhin musste sie dienstags wieder arbeiten – denn sie war als Flugbegleiterin auf dem Unglücksflug-Flug 4U 9525 eingeteilt. Noch heute verfolgt mich dieser eine Gedanke: „Hätten wir sie doch bloß nicht mitgenommen, dann würde sie jetzt noch leben.“

Lese-Tipp: Zehn Jahre nach dem Germanwings-Absturz: In Le Vernet sind Trauer und Gedenken zum Greifen nah

Warum ich nach dem Germanwings-Absturz keine Angst habe, ins Flugzeug zu steigen

Oft wurde mir nach dem Germanwings-Unglück genau diese Frage gestellt: „Und, hast du jetzt Angst ins Flugzeug zu steigen?“ Ich glaube, die Leute erwarteten als Antwort ein klares „Ja“ und waren erstaunt, wenn ich mit „Nein“ antwortete.

Der Grund dafür mag bei dem einen oder anderen für Entsetzen sorgen, doch die Wahrheit ist: Ich hatte keine Angst, weil nicht technisches, sondern menschliches Versagen zu dem Absturz geführt hat.

Lese-Tipp: Flugnummer 4U9525 – Chronik eines beispiellosen Verbrechens

Lasst mich kurz erklären, wie ich das meine: Wäre ein technischer Defekt am Airbus A320 schuld am Absturz von Germanwings-Flug 4U 9525 gewesen, dann hätte ich möglicherweise das Vertrauen in die gesamte Germanwings-Flotte verloren. Denn all unsere Flugzeuge waren entweder vom Typ Airbus A319 oder A320. Wegen Andreas Lubitz habe ich jedoch nicht automatisch das Vertrauen in all meine Cockpit-Kollegen verloren. Aus diesem Grund konnte ich nach dem 24. März 2015 weiterhin guten Gewissens Tag für Tag ins Flugzeug steigen.

Video-Tipp: Angehörige werden Schweigeminute abhalten

Passagiere nach Germanwings-Absturz: „Haben die beiden auch ihre Medizin genommen?“

Doch etwas anderes hat die Arbeit als Flugbegleiter unmittelbar nach der Tragödie nahezu unerträglich gemacht: die Passagiere – oder zumindest ein Teil von ihnen.

Ihr kennt es sicher: Wenn man ein Flugzeug betritt, wird man direkt an der Tür von Flugbegleitern empfangen und begrüßt. Und natürlich standen wir auch nach dem Absturz weiterhin beim Einsteigen zur Begrüßung parat. Doch in den Wochen nach dem 24. März 2015 waren es nicht nur „Hallos“, die uns Passagiere entgegenbrachten.

Aussagen wie: „Ich hoffe, den beiden da vorne geht es heute gut“, „Haben die beiden auch ihre Medizin genommen?“ oder „Ich hoffe, wir kommen heute ans Ziel“ gehörten eine Zeit lang zur Tagesordnung.

Sollten diese Aussagen auf makabere Art lustig sein? Oder war es die Art mancher Passagiere, ihre Angst und Unsicherheit zum Ausdruck zu bringen? Was auch immer die Menschen zu derartigen Aussagen bewegt haben mag: Für mich waren sie einfach nur pietätlos. Und sie haben die ohnehin schon schwere Zeit für uns Flugbegleiter noch schwerer gemacht.

Video-Tipp: Warum es bis heute keinen Schuldspruch gibt

Flight attendants don’t die, they just fly higher!

Doch der Zusammenhalt innerhalb der Germanwings-Familie – der, wie ich finde, nach dem Absturz noch zugenommen hat – hat mir geholfen, auch diese Momente zu verkraften. Und dieser Zusammenhalt ist bis heute ungebrochen: Noch immer drücken zahlreiche Kollegen zum Jahrestag der Germanwings-Katastrophe ihr Beileid in Form von Gedenk-Posts auf Social Media aus. Auch wenn manche von ihnen schon gar nicht mehr bei Germanwings (heute Eurowings) arbeiten. Mein liebster Satz, der in solchen Posts immer wieder zu lesen ist, ist übrigens: „Flight attendants don’t die, they just fly higher” (Übersetzung: Flugbegleiter sterben nicht, sie fliegen nur höher) – eine schöne Vorstellung!

Hinweis: Was die Behörden aus dem schrecklichen Germanwings-Unglück gelernt haben und was seither unternommen wurde, damit es sich nicht wiederholen wird? Das haben wir in diesem Artikel für euch zusammengefasst.