Ein Erfahrungsbericht Luke, 22, ADHS? Warum diese Diagnose mein Leben verändern könnte

Luke Rothfuchs bei der Arbeit
Habe ich ADHS? Spätestens, seitdem das Thema überall präsent ist, stelle ich mir diese Frage immer wieder
privat
von Luke Rothfuchs

Das Thema ADHS ist aktuell präsent wie nie zuvor, Promis wie Felix Lobrecht bekennen sich offen zu ihrer Diagnose, sprechen über ihre ganz persönlichen Erfahrungen.
Auch ich bekomme ständig Videos auf Instagram, TikTok & Co. angezeigt, die vermeintliche ADHS-Symptome beschreiben, regelmäßig wird mir der Hashtag #adhs in die Timeline gespült. Während manche Clips lustig erscheinen, berühren mich viele, weil ich mich darin wiedererkenne. Sehr sogar. Habe auch ich ADHS? Viele andere User kommentieren unter den Postings, dass es ihnen ähnlich geht und sie sich verstanden fühlen. Aber reicht das alles für eine Diagnose? Ein Termin beim Psychologen verunsichert mich.
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ADHS im Erwachsenenalter? Schon als Kind habe ich mich anders gefühlt

Warum bin ich oft so impulsiv und muss immer in Aktion sein? Warum vergesse ich immer wieder wichtige Dinge? Warum können alle immer so konzentriert arbeiten, während ich vor allem im Aufschieben gut bin? Und wo kommt immer diese verdammte Musik her? Fragen, die ich mir jeden Tag stelle - nicht zum Spaß, sondern ernsthaft.

In meinem Kopf ist – seit ich denken kann – immer wahnsinnig viel los. Schon als Kind war ich sehr aufgeweckt, eher extrovertiert, immer kreativ, aber auch wahnsinnig schnell gelangweilt. Außerdem hatte ich einen ausgeprägten Bewegungsdrang, um mich immer wieder aus dem Hier und Jetzt zu befreien und tagträumend in eine Parallelwelt voller Abenteuer einzutauchen. Ich weiß, das klingt komisch, aber besser kann ich es nicht beschreiben.

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Dass mein Verhalten auffällig war, wurde mir schon früh von meiner Außenwelt signalisiert. Ich wurde gefragt, warum ich manchmal abwesend und manchmal so „laut“ sei. Und oft genug bekam ich die Rückmeldung, dass ich etwas bleiben lassen soll: Was würden die anderen bloß denken? Ein Stück weit wurde damit auch der Keim für spätere Selbstzweifel gelegt: Bin ich anders und wenn ja, warum?

Luke Rothfuchs mit 10 Jahren bei RPR1
Schon als Kind bekam ich oft das Feedback, auffällig und extrovertiert zu sein. Das nutzte ich auch zu meinem Vorteil, zum Beispiel 2012 als Kindermoderator im Radio.
RPR1

Mit dem Studium kamen die Probleme

In der Schule setzte sich das fort. Ich redete viel, ließ mich leicht ablenken und langweilte mich. Ich bin und war immer ein sozialer, einfühlsamer Mensch, meine Mitmenschen bedeuten mir viel, auch wenn ich manchmal Dinge sage, ohne darüber nachzudenken. Das führte auch zu Konflikten mit Lehrern - man sagte mir, ich würde polarisieren.

In der Schule kam ich gut durch, mein Leben wurde von außen organisiert, ich ging einfach den Weg mit. Und meine Eigenheiten störten mich da nicht wirklich - oder besser gesagt, ich passte mich so an, dass sie mich und meine Umwelt nicht allzu sehr nervten. Aber seit ich auf eigenen Beinen stehe und mein Elternhaus fürs Studium verließ, merke ich, dass ich oft an meine Grenzen stoße.

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Vor allem dann, wenn es um konzentriertes Arbeiten geht. Meine Konzentrationsfähigkeit war nie besonders hoch, und ungeduldig war ich sowieso, aber das war immer egal. Jetzt als Student ist das anders: Hausarbeiten wollen geschrieben, Vorlesungen gehört und lange (trockene) Texte gelesen werden. Daneben wollen auf der Arbeit Artikel geschrieben werden. Während alle um mich herum im Büro ein bis zwei Stunden konzentriert arbeiten können, hänge ich gefühlt alle zehn Minuten an der Kaffeemaschine. Nicht, weil ich den Kaffee so dringend brauche, nein: Ich brauche die Bewegung, die Abwechslung. Das alles bedeutet für mich vor allem eines: Stress. Stress, weil ich mich nicht so konzentrieren kann wie alle anderen.

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Im Video: Prominente Beispiele für ADHS im Erwachsenenalter

„Wurde bei Ihnen schon einmal ADHS diagnostiziert?“ - Meine Ärztin schickt mich zum Psychologen

Nach drei Jahren gefühlten Dauerstresses wollte ich jetzt – nach dem Bachelor und zu Beginn des Masters – mit einer Ärztin über all das sprechen. Schon nach wenigen Minuten fragt sie mich: „Wurde bei Ihnen schon einmal ADHS diagnostiziert?“ Nein, noch nicht. Aber ich denke schon seit Jahren darüber nach. Sie erzählt mir von Patienten, die eine entsprechende Diagnose erst im Erwachsenenalter bekommen haben und wie bereichernd diese Klarheit für ihr Leben war.

Ich wollte mich mit Instagram, TikTok und Co. nicht selbst diagnostizieren. Also nehme ich den Rat meiner Ärztin ernst und vereinbare (nach wochenlangem Aufschieben) einen Termin bei einem Psychologen. Im Vorfeld werden mir Tests zugeschickt, die ich alleine beantworten muss. Abgefragt werden meine aktuellen Symptome und mein Verhalten in der Kindheit. Später in der Praxis selbst folgen über eine Stunde lang weitere Fragebögen. Wieder die Fragen nach meinem aktuellen Befinden, wie ich mit Stress umgehe, ob ich impulsiv bin, ob ich innere Unruhe verspüre, mich getrieben fühle, ob und wie ich mich konzentrieren kann.

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Das Ergebnis: ALLE Tests, die gemacht werden, ergeben einen Verdacht auf ADHS. Viele würden bei einer solchen Diagnose Angst, vielleicht sogar Trauer empfinden. Ich dagegen empfinde Erleichterung. Erleichterung, weil ich sehe, dass ich mir das alles nicht einbilde. Erleichterung, weil vielleicht nicht ich selbst „das Problem“ bin, sondern es einen wirklichen Grund dafür gibt, dass ich so bin, wie ich bin.

Der Verdacht besteht, die ADHS-Diagnose nicht

Doch diese Erleichterung wird mir durch das Abschlussgespräch mit dem Psychologen genommen. Er holt mich aus dem Wartezimmer und führt mich in sein Behandlungszimmer. Der Raum wirkt kühl, er stellt sich mir nicht vor. Er geht meine Fragebögen durch, stellt mir die gleichen Fragen wie der Kollege, der mit mir die Tests gemacht hatte. Und als ich ihm sage, dass es mir nicht um Medikamente gehen würde, sondern um Selbstakzeptanz und den Austausch mit möglichen anderen Betroffenen, wird er sehr deutlich.

Er rät mir dringend von einer weiteren Diagnostik ab, seine Begründung: Wenn ich nicht medikamentös behandelt werden will, mache all das keinen Sinn. Er erkennt an, dass ich viel Stärke in mir trage, da ich bisher trotz der beschriebenen Herausforderungen durchs Leben gekommen bin. Aber mit der Diagnose ADHS hätte ich nur Probleme. Ich bekäme keine Verbeamtung, keine Lebensversicherung, keine Unfallversicherung, keine Berufsunfähigkeitsversicherung. Außerdem würden mich die Medikamente psychisch (und nicht körperlich) abhängig machen.

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Damit hatte ich nicht gerechnet, mir auch keine Gedanken darüber gemacht. Vielleicht bin ich etwas zu blauäugig an die Sache herangegangen, auch beeinflusst von den sozialen Medien. Dennoch leide ich oft genug unter meinen möglichen Symptomen und bin mir sicher: Sollte sich die Verdachtsdiagnose bewahrheiten, würde mir der Austausch mit anderen ADHS-Betroffenen guttun. Aber auch das bleibt mir verwehrt, wenn ich nicht dranbleibe.

Eure Meinung ist uns wichtig!

Die Ergebnisse der Umfrage sind nicht repräsentativ.

Und wie geht es jetzt weiter?

Ich bin verunsichert, der Psychologe hat mich verunsichert. In diesem Zwiespalt stecken sicher viele, die Symptome in sich tragen, sich gerne testen lassen würden, aber wegen beruflicher oder anderer Konsequenzen zurückschrecken. Denn der Experte wird Recht haben: Vielleicht würde eine Diagnose mein Leben wirklich teilweise zum Negativen verändern.

Irgendwie traurig. Sollte es nicht anerkannt werden, dass man die Sache angeht, anstatt einfach so weiterzumachen, als wäre nichts?

Die Frage, die ich mir jetzt stelle, ist: Soll ich die Diagnose mit allen Konsequenzen wagen oder soll ich es lassen? Ich weiß es nicht.