Oft erst im Erwachsenenalter entdeckt
Mode-Krankheit oder echtes Problem? Wie es Julia mit der ADHS-Diagnose geht
ADHS wird häufig als typische Kinderkrankheit abgestempelt, doch es kann auch Erwachsene treffen!
Das Problem: Die Symptome sind hier oft nicht so eindeutig. Bei RTL-Kollegin Julia Jaegler wurde erst vor einem halben Jahr die Diagnose ADHS festgestellt – obwohl sie schon als Kind laut und wild war. Allgemeinmediziner Dr. Christoph Specht beantwortet hier die wichtigsten generellen Fragen zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen. Und wie die ADHS Julias Leben aktuell beeinflusst, zeigen wir euch oben im Video.
Warum können auch Erwachsene ADHS bekommen?

Doch warum können auch Erwachsene noch so spät die Diagnose ADHS erhalten?
Meist beginnt ADHS im Kindesalter. Die Störung und die damit verbundenen Symptome sind vielfältig und nicht immer eindeutig. Faktoren wie Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität sowie motorische Unruhe, ein wenig ausgeprägter Konzentrationsfähigkeit und Offenheit für Reize können Indikatoren für eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung sein.
„Natürlich gibt es das auch bei Erwachsenen, auch wenn es eher selten ist“, erklärt Dr. Specht im RTL-Interview. Das Problem: „Bei ADHS muss man aufpassen, die Diagnose nicht vorschnell zu stellen – sowohl als Patient als auch als Arzt oder Psychologe. Denn wenn man falsch behandelt wird, ist das schlechter, als wäre die Diagnose erst gar nicht gestellt worden.“ Versteife man sich zu früh auf eine ADHS-Diagnose, könne das für die Heilung kontraproduktiv sein.
Bei ADHS sei es Grundvoraussetzung für eine adäquate Diagnose, dass ein spezieller Fragenkatalog angewandt wird. Habt ihr als Eltern also den Verdacht, euer Kind könnte ADHS haben, empfiehlt es sich, den Rat eines Experten einzuholen. Die Erkennung sollte immer ein erfahrener Kinderarzt vornehmen, um auszuschließen, dass die Symptome nicht doch eine andere Ursache haben.
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Gibt es Unterschiede zwischen ADHS im Kindes- und im Erwachsenenalter?
Der Hauptunterschied zwischen ADHS im Kindes- und Erwachsenenalter, sagt Dr. Specht, liege in der Wahrnehmung: „ADHS wurde früher auch Zappel-Philipp-Syndrom genannt. Man wusste dabei sofort: Das Kind ist unruhig, stört und zeigt eben andere typische Symptome. Wir nehmen das Verhalten des Kindes also als Außenstehende war. Bei Erwachsenen ist es aber vor allem die eigene Wahrnehmung, der Patient beschäftigt sich mit sich selbst und merkt dann vielleicht: ‘Ich kann mich nicht konzentrieren’ oder ‘Ich bin schlecht organisiert.’“
Zum Beispiel wenn Unruhe verspürt wird: „Ein erwachsener Patient kann eine große innere Unruhe verspüren, die sich auf seine Konzentrationsfähigkeit auswirkt. Andere Menschen würden dies aber von außen gar nicht mitbekommen“, erklärt der Mediziner. ADHS-Symptome seien daher bei Erwachsenen weniger eindeutig und nicht so klar erkennbar wie bei Kindern und Jugendlichen – vor allem da sie auch häufig in abgeschwächter Form daherkommen.
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Und: „Dass man sich mal schlecht konzentrieren kann oder weniger gut organisiert ist, das kennen wir alle. Das alleine ist nicht ausreichend für eine ADHS-Diagnose“, erklärt der Mediziner. Diese sei immer abhängig vom soziokulturellen Umfeld: „Wenn sich der Leidensdruck eines Patienten auf mehrere Lebensbereiche bezieht und eine starke Beeinträchtigung erwartet wird, dann kann man von ADHS sprechen.“ Ein ebenfalls guter Indikator dafür, ob ein erwachsener Mensch ADHS hat, sei zudem die Tatsache, dass die Auffälligkeiten schon im Kindesalter begonnen haben – ob mit oder ohne Diagnose.
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Kann ich ADHS nur bekommen, wenn ich es als Kind hatte? Und wann sollte ich mir Hilfe suchen?
Auch wenn man ADHS erst im Erwachsenenalter bekommen kann, ohne es jemals vorher gehabt zu haben: In der Regel könne man davon ausgehen, dass es viele Betroffene als Kinder hatten, aber einfach nie eine Diagnose erhalten haben, erklärt Dr. Specht zu RTL. „Rund 15 Prozent, die im Kinder- und Jugendalter an ADHS erkrankt sind, ziehen das mit ins Erwachsenenalter; quasi als gleitenden Übergang. Bei den allermeisten wird die Störung mit dem Alter besser und es verwächst sich häufig. Auch weil mehr Leute therapiert werden.“
Hilfe suchen sollte man sich, wenn die Symptome immer stärker werden; so stark, dass sie den Alltag belasten. „Hilfe suchen bedeutet in dem Fall nicht, dass man schon sicher weiß, dass man ADHS hat. Die Hilfe kann auch darin bestehen, überhaupt zu verifizieren, ob es ADHS oder doch etwas ganz anderes ist. Ein Facharzt ist ja auch dazu da, Diagnosen auszuschließen.“