Einige wenige Fragen weisen die Richtung ADHS-Diagnose oft erst im Erwachsenenalter: Könntet auch ihr betroffen sein?

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ADHS wird bei Erwachsenen oft erst spät diagnostiziert
iStockphoto
von Mireilla Zirpins

Tabu? War gestern! Immer mehr Prominente gehen heute offen mit der Diagnose ADHS um.
Sängerin Nelly Furtado, Pop-Autor Benjamin von Stuckrad-Barre, Skandalnudel Nadja Abd El Farrag, Ex-Radsportprofi Jan Ullrich, Fernseh-Doc Eckhart von Hirschhausen, Moderatorin Sarah Kuttner oder Ex-GNTM-Teilnehmerin Marie Nasemann – sie alle haben eines gemeinsam: Bei ihnen wurde die Regulationsstörung ADHS diagnostiziert. Könntet ihr womöglich selbst auch betroffen sein? Eine Expertin schätzt das Phänomen und ADHS-Selbsttests für uns ein.

Prominente gehen mit ihrer ADHS-Diagnose heute offen um

Schneidet ihr störende Etiketten aus der Kleidung? Tagträumt ihr? Vergesst oder verlegt Dinge, kommt öfter mal zu spät? Immer mehr Erwachsene vermuten bei sich selbst ein Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, kurz ADHS. Wurde die Regulationsstörung früher in Kindertagen oft übersehen? Ist das nur eine Mode, die gerade auf TikTok trendet? Aus Sicht von Therapeutin Claudia Brinkmann ist ADHS klar ein Trend-Thema: „Bei Google Trends haben sich die Nachfragen seit 2004 vervierfacht.“

Lese-Tipp: Diagnose ADHS – Marie Nasemann fiel es schwer, mit den eigenen Kindern zu spielen

Im Podcast: Marie Nasemanns ADHS-Diagnose - wie es dazu kam und warum es sie erleichtert

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Ansturm auf die psychologischen Praxen wegen ADHS-Testungen

Den Ansturm spüren Brinkmann und ihre Kollegen auch in der Praxis – und nicht nur sie. Viele Psychiater und Therapeuten können aktuell keine neuen Patienten für ADHS-Tests aufnehmen. Doch warum sind auf einmal so viele Erwachsene testwillig? Die Therapeutin sieht den Einfluss weniger bei Promis als bei Social Media generell: „Es gibt etwa TikTok-Videos, wie man feststellt, dass man ADHS hat. Das ist natürlich mit Vorsicht zu genießen.“ Dabei liegen manche dieser Videos nicht grundsätzlich falsch, vor allem nicht, wenn sie folgende Leit-Symptome auflisten:

  • Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle / unüberlegtes Handeln

  • Hoher Bewegungsdrang / Hyperaktivität

  • Desorganisiertheit / chaotische Veranlagung

  • Unaufmerksamkeit / Konzentrationsschwierigkeiten

Das alles können zwar Hinweise für eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung sein, aber auch auf Depressionen, Borderline-Syndrom, bipolare Störungen, Autismus-Spektrumsstörungen oder eine beginnende Demenz hinweisen. Zudem haben viele von uns schon mal das eine oder andere an sich selbst beobachtet. Wichtig ist, dass mehrere Symptome auftreten, und das auch noch langfristig, und das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat einen Selbsttest mit nur sechs Fragen konzipiert, der in einer Studie große Übereinstimmung mit den Ergebnissen ausführlicherer Standardtests zeigte.

ADHS-Selbsttest der WHO: Nur sechs Fragen sollen Aufschluss geben

Beantwortet folgende Fragen spontan und ehrlich auf einem Zettel, ohne vorher auf das Auswertungsraster zu schauen, bewertet die Richtigkeit der Aussagen auf folgender Skala und notiert sie euch auf einem Zettel. Die Auflösung folgt weiter unten.

  • niemals

  • selten

  • manchmal

  • oft

  • sehr oft

  1. Wie oft habt ihr Probleme, die letzten Feinheiten einer Arbeit zum Abschluss zu bringen, nachdem ihr die wesentlichen Punkte erledigt habt?

  2. Wie oft habt ihr Schwierigkeiten, Aufgaben anzuordnen und zu priorisieren, wenn ihr ein Projekt erledigen müsst, das viel Organisation erfordert?

  3. Wie oft habt ihr Schwierigkeiten, euch an Termine oder Verpflichtungen zu erinnern?

  4. Wenn ihr eine Aufgabe habt, die viel Überlegung erfordert – wie oft vermeidet oder verzögert ihr es, damit anzufangen?

  5. Wie oft „zappelt“ ihr herum oder windet Hände oder Füße, wenn ihr längere Zeit still sitzen müsst?

  6. Wie oft fühlt ihr euch übermäßig aktiv und genötigt, Dinge zu tun, als ob ihr von einem Motor angetrieben würdet?

Wie genau läuft die Diagnostik beim Psychiater oder Psychologen ab?

Dieser Kurztest ist nach Ansicht von Claudia Brinkmann und ihren Kollegen „kein diagnostischer Test, aber er kann dem Nutzer einen Hinweis geben, ob eine diagnostische Abklärung durch einen Psychiater oder approbierten Psychotherapeuten sinnvoll ist.“ Das alles, sofern der kurze Fragebogen möglichst spontan ausgefüllt wird.

Auswertung des WHO-Tests

Habt ihr bei den ersten drei Fragen „manchmal“, „oft“ oder „sehr oft“ angekreuzt? Dann notiert euch einen Punkt. Bei den Fragen 4 bis 6 notiert euch nur einen Punkt, wenn ihr „oft“ oder „sehr oft“ ausgewählt habt.

Wenn ihr vier oder mehr Punkte habt, ist das ein Anhaltspunkt für Symptome, die zu ADHS passen. Ein Gespräch mit einem Arzt oder Psychologen wäre in diesem Falle ratsam.

Diagnose nur durch professionelle Tests

„Am Ende ist jeder Test aber nur eine Indikation, keine Diagnose“, stellt Claudia Brinkmann klar. Die kann nur eine ausgebildete Fachkraft stellen, und zwar mit einem professionellen Testverfahren. Dabei ist laut Brinkmann wichtig, dass man neben einer ausführlicheren Selbsteinschätzung mit einem psychologischen Fragenkatalog auch einen Fremdeinschätzungsbogen von einer Person aus dem nahen Umfeld ausfüllen lässt. Dazu kommen persönliche Gespräche mit dem Diagnostiker. Es empfiehlt sich, auch in die Kindheit zurückzuschauen, selbst wenn es da noch keinen ausgesprochenen ADHS-Verdacht gab.

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Es kann bis zu sechs Sitzungen dauern, bis die Diagnostik abgeschlossen ist. Meist geht es aber nach Brinkmanns Erfahrung schneller. Die Kosten übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen, sofern der Tester eine Kassenzulassung hat und der Patient tatsächlich Symptome zeigt.

Im Video: Tourette, ADHS und Autismus unter einem Dach

Therapiemöglichkeiten für Menschen mit ADHS

Wenn tatsächlich ADHS festgestellt wurde, ist je nach Ausprägung der Aufmerksamkeitsstörung Folgendes sinnvoll:

  • kognitive Verhaltenstherapie

  • Ergotherapie

  • Medikation

Möglich ist auch eine Kombination aus mehreren dieser Komponenten. In der Verhaltenstherapie lernen Patienten Strategien für den Alltag, aber auch einen anderen Blickwinkel auf sich selbst zu bekommen. Schließlich sind Menschen mit ADHS oder ADS, der „verträumten“ Form ohne den ausgeprägten Bewegungsdrang, oft sehr kreative und sensible Personen.

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Wie gehen Menschen mit der Diagnose ADHS um?

Die Therapeutin hat beobachtet: „Viele Patienten spüren eine Erleichterung, wenn sie endlich wissen, warum sie sich so schwer konzentrieren können oder so einen Bewegungsdrang haben.“ Für sie kommt die Diagnose als Befreiung.