„Du wirst es nicht lebendig aus dieser Beziehung rausschaffen”Ex-Freund schlug Sogol (28) krankenhausreif – jetzt hilft ihre KI betroffenen Frauen

Vier Jahre lang erlebt Sogols Gewalt in ihrer Ex-Beziehung.
Vier Jahre lang erlebt Sogols Gewalt in ihrer Ex-Beziehung.
RTL Nord
von Alexa von der Recke und Johanna Kroke

Es ist ein Kampf in ihrem Kopf!
Mit ihrem heutigen Ex-Partner ist Sogol Kordi noch kein ganzes Jahr zusammen, als er sie das erste Mal schlägt. Von Mal zu Mal werden seine Angriffe brutaler. Jahrelang lebt sie mit der häuslichen Gewalt, bis die 28-Jährige sich endlich trennen kann. Im Interview mit RTL erklärt die Sogol, warum damit für sie der Kampf erst begann.

Eine „Klatsche” eskaliert zum Krankenhausaufenthalt

Das erste Mal ist für Sogol ein Schock. Sie und ihr Ex-Freund lernen sich 2018 auf Instagram über gemeinsame Freunde kennen. Zunächst läuft alles harmonisch, doch nach vier Monaten ändert sich das Beziehungsleben schlagartig. Eine kleine Situation entwickelt sich zum Streit und endet für die junge Frau mit einer „Klatsche” ins Gesicht, erinnert sie sich.

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Unter früheren Kollegen hatte Sogol den Ruf tollpatschig zu sein. Niemand schien bei ihren blauen Flecken an die Folge häuslicher Gewalt zu denken.
Unter früheren Kollegen hatte Sogol den Ruf tollpatschig zu sein. Niemand schien bei ihren blauen Flecken an die Folge häuslicher Gewalt zu denken.
privat

Damals sei ihre Hoffnung groß gewesen, dass das nie wieder passiert. Doch mit dem Einzug in die erste gemeinsame Wohnung Monate später nimmt die Gewalt weiter zu. Sogol muss das erste Mal ins Krankenhaus, nachdem beim Renovieren eine Situation eskaliert. Ihr damaliger Freund habe sie zu Boden geschubst, erklärt die 28-Jährige gefasst. „Und er kam dann auf die Idee, mir einen Nagel in den Kopf zu schlagen.”

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„Niemand hat so richtig geholfen”

Bis Sogol versteht, was in ihrer Beziehung passiert, vergehen drei Jahre. Erst dann begreift sie, dass sie von Gewalt betroffen ist. Irgendwann sei sie in einem Modus gewesen, „wo ich mir dachte, dass diese Gewalt mit zu der Beziehung dazugehört.” Sie sei hin- und hergerissen gewesen, erklärt sie, „weil es ein Kampf in meinem Kopf war.” Einen genauen Auslöser für die Trennung habe es dann nicht gegeben, eher viele kleine Momente. Ihr wird klar: „Dieser Mensch wird sich nicht ändern und du wirst es nicht lebendig aus dieser Beziehung rausschaffen.”

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Doch mit ihrem Entschluss steht sie noch ganz am Anfang ihres Kampfes, stellt Sogol damals fest. An einem Frauenhaus wird sie abgewiesen, weil es keinen Platz für sie gab. Beratungsstellen hätten sie vertröstet, weil es über Monate keine freien Termine gegeben hätte. Bei Behördengängen kann ist niemand da, der bei Anträgen und Formularen unterstützt. Ihr Mut, aus der Beziehung rauszukommen, sei jedes Mal ein Stück zerstört worden.

KI-Chat Maya soll Betroffenen helfen

Denn einfach gehen, weiß Sogol, ist nicht wirklich so einfach, wie es klingt. „Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Wohnung, keinen Job, kein eigenes Bankkonto. Mental ging es mir überhaupt nicht gut”, sagt sie. In ihrer Beziehung habe ihr Ex-Freund sie immer weiter von Freunden und ihrer Familie isoliert, emotional und finanziell ist Sogol von ihm abhängig. „Es ist schwierig, wenn du es gerade aus einer vierjährigen Gewaltbeziehung rausgeschafft hast. Und dann stehst du da ganz alleine mit all diesen Fragen.”

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Doch Sogol hat es geschafft, hat die Gewaltbeziehung überlebt und setzt sich heute für andere Betroffene ein. Mit ihrer Erfahrung hat sie mit ihrem Team My Protectify den KI-Chat Maya entwickelt. Der KI-Chat sei da, wenn Betroffene Fragen haben oder einfach sprechen möchten und jemanden zum Reden brauchen.

Der KI-Chat helfen, Betroffene auf den ersten Schritten raus aus der Gewalt zu begleiten. Ein wichtiges Feature dabei: Über einen Button können Betroffene den Chat nicht nur schnell löschen und verlassen, die KI überschreibt auch ihren Browserverlauf, um Schutz vor kontrollierenden Partnern zu bieten.

Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen

Auch Jahre nach der Trennung bekommt Sogol regelmäßig Drohungen von ihrem Ex-Partner.
Auch Jahre nach der Trennung bekommt Sogol regelmäßig Drohungen von ihrem Ex-Partner.
privat

„Viele Betroffene haben auch unfassbar große Existenzängste”, die habe sie auch gehabt. „Ich musste wieder mich so ein Stück wieder zurück ins Leben kämpfen. [...] Und er durfte alles behalten. Er durfte seine Wohnung behalten, er durfte seinen Beruf weiterhin ausüben, seine Freunde sind bei ihnen geblieben.” Trotz der Trennung und mehreren Prozessen gegen ihren Ex-Partner kann die 28-Jährige immer noch keinen Schlussstrich ziehen. Per Mail bekommt sie regelmäßig Drohungen, sogenannte Nachtrennungsgewalt.

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Sichtbarkeit für Sogol und andere Betroffene von häuslicher Gewalt schafft der Orange Day. Der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen findet jährlich am 25. November statt. Mit ihrer Erfahrung setzt sich Sogol inzwischen auch politisch ein. „Ich glaube, ich war lange genug leise“, findet die 28-Jährige, „ich habe lange genug diese Geschichte mit mir getragen und habe beschlossen, ich muss damit an die Öffentlichkeit, weil ich kann laut sein für andere Betroffene.”

Verwendete Quellen: eigene RTL-Recherche