Profil des Bösen"Putin ist unberechenbar"

Wir brauchen nicht viel, um das Böse zu erkennen. Denn wir alle haben dafür ein Bauchgefühl, sozusagen ein menschliches Frühwarnsystem - die Angst. Auch drei Wochen nach der russischen Invasion in der Ukraine bleiben die Fronten verhärtet. Schwangere und Kinder werden von Putins Armee bombardiert. Bilder, die auch hierzulande Angst produzieren. Und die ganze Welt fragt sich: Was führt Wladimir Putin noch im Schilde? Ist er der knallhart kalkulierender Machtmensch oder gar pathologisch eingeschränkt? Wir haben mit dem Psychotherapeuten Christian Lüdke sowie dem Militärexperten Carlo Masala gesprochen.
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Lüdke: Putin hat eine antisoziale Persönlichkeitsstörung
Fast drei Wochen nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine hat Präsident Wladimir Putin schwere Vorwürfe erhoben. So führe der Westen eine Zerschlagung Russlands im Schilde. Dieser Versuch werde scheitern, sagte Putin in einer Rede am Mittwoch. Sein Land habe keine andere Wahl als den "militärischen Sondereinsatz" in der Ukraine gehabt. "Alle diplomatischen Möglichkeiten waren ausgeschöpft."
Es sind die Aussagen eines Mannes, der den Verlust unzähliger Menschenleben billigend in Kauf nimmt, um seine persönlichen Ziele zu erreichen. Ist das noch Säbelrasseln wie die Deutschen es aus dem kalten Krieg gewohnt sind oder liegt bei dem russischen Präsidenten etwa ein pathologisches, also krankhaftes Verhalten zugrunde? Weder noch, meint Dr. Christian Lüdke. Der Psychotherapeut hat schon 2020 in seinem Buch „Profile des Bösen: und wie man sie erkennt“ auf die Gefährlichkeit von Putin hingewiesen. „Ich halte das überhaupt nicht für Säbelrasseln. Ich finde es auch nicht pathologisch, sondern Putin ist vielmehr eine sogenannte antisoziale-Persönlichkeit. Der hat eine antisoziale Persönlichkeitsstörung“, so Lüdke im RTL-Interview. Dies sei die schlimmste Tätertypologie, mit der man es überhaupt zu tun haben könne.
Putin "eiskalt und durchtrieben"

Solche Persönlichkeitsprofile kennen wir laut Lüdke in ihrer Reinform aus fiktiven Filmen wie „Das Schweigen der Lämmer“, genauer gesagt in der Kunstfigur des „Hannibal Lecter“. „Diese antisozialen Persönlichkeiten sind wie Putin, die sind eiskalt, die sind durchtrieben, die sind berechnend. Die kennen keine Gefühle. Sie kennen nur Reaktionen auf Gefühle. Sie spielen auf den Gefühlen anderer wie auf einer Klaviatur. Die benutzen Menschen, andere Politiker wie Marionetten.“
Der russische Präsident sei eine eiskalte berechnende Reaktionsmaschine, der die Welt wie einen Supermarkt sehe, in welchem man sich einfach bedienen könne. Das mache ihn auch so gefährlich. Mit solchen Menschen könne man nicht verhandeln, so Lüdke. Es gebe nur eine Möglichkeit. „Das ist, wenn er seinen persönlichen Vorteil für sich sieht. Putin ist sehr intelligent. Der hat nicht nur Bauernschläue, der ist völlig durchtrieben und ist mit allen Wassern gewaschen“, so der Psychotherapeut.
Putins Drohungen: reelle Gefahr oder lautes Säbelrasseln?
Immer wieder droht Putin offen mit dem großen nuklearen Potential Russlands. Eine reelle Gefahr, die wir laut Lüdke sehr erst nehmen sollten. Denn mit dem Einmarsch in die Ukraine habe Putin bereits Fakten geschaffen und gezeigt, wozu er in der Lage sei. „Ich traue Putin zu, dass er tatsächlich die nuklearen Waffen einsetzt. Er hat nichts zu verlieren, gar nichts. Er handelt nach dem Motto: Nicht nach mir die Sintflut, sondern mit mir die Sintflut. Dann geht er lieber mit einem atomaren Knall unter.“ Die Konsequenzen für die Welt seien letztlich völlig nebensächlich, so der Autor.
Auch über die Frage nach Putins Motiven für seinen Angriffskrieg wird heftig spekuliert. In seinen bisherigen Reden spricht Putin voller Bewunderung vom Zarenreich unter der Herrschaft Alexanders III. Viele sind über das Ausmaß von Putins Geschichtsrevisionismus erschrocken. Doch von einem Vorbild Putins historischer Protagonisten könne laut Christian Lüdke keine Rede sein. „Es ist nicht so als würde er ihm nacheifern. Dann hätte er ja wieder so etwas menschliches, wie Bewunderung, wie Leidenschaft – das hat er nicht. Das ist für ihn eher eine Rechtfertigung. Es gibt ihm die Erlaubnis genau so zu handeln“, erklärt Lüdke. Genau das sei Teil einer antisozialen Persönlichkeit. „Putin interessiert nicht, was andere über ihn denken oder was andere vor ihm gemacht haben. Wenn ein Mensch kurz vor dem zerreißen ist, dann fängt Putin erst an Drehzahl aufzunehmen. Dann fängt er an sich zu spüren. Und dann dreht er erst so richtig auf. Das macht ihn auch so brutal und so vernichtend.“
Solch ein Verhalten sei jedoch nicht paranoid oder größenwahnsinnig. Wahn wäre das Hauptkriterium für eine psychische Störung, also eine paranoide Schizophrenie. Putin sei jedoch nicht schizophren, sondern vielmehr in dem was er tut eiskalt und berechnend.
Masala schließt „Demonstrationsschlag“ mit Atomwaffe nicht aus

Dass das Potential einer großflächigen Eskalation gegeben ist, sieht auch Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München.Wenn die russischen Truppen in den kommenden Wochen militärisch scheitern, könnte Präsident Wladimir Putin nach Einschätzung des Militärexperten seine Entschlossenheit auch mit Hilfe einer taktischen Atomwaffe demonstrieren.
„Sollte Putin militärisch mit dem Rücken immer mehr an der Wand stehen, dann ist es nicht auszuschließen, dass er noch zu anderen Mitteln greift“, erklärt Masala im stern-Podcast „Ukraine – die Lage“. Noch sei dieses Szenario weit entfernt, betonte er. Aber sollte es den Ukrainern gelingen, Territorien zurückzugewinnen und die Oberhand zu gewinnen, könne sich die Lage ändern.
„Dann reden wir möglicherweise auch von einem sogenannten Demonstrationsschlag, das heißt dem Einsatz einer taktischen Atomwaffe – nicht als Gefechtsfeldwaffe, sondern in großer Höhe – Experten sagen: über der Ostsee oder über dem Schwarzen Meer –, um letzten Endes die westlichen Gesellschaften davon abzuschrecken, die Unterstützung der Ukraine weiterhin aufrechtzuerhalten.“
Militärexperte: Putin braucht ein Ergebnis, das sich innenpolitisch als Erfolg verkaufen lässt
Masala sagte, die Signale der russischen Führung seien widersprüchlich, wobei nicht klar sei, ob dies beabsichtigt sei oder ein Hinweis auf interne Risse. Während Außenminister Sergei Lawrow sich zuversichtlich über den Abschluss einer Vereinbarung mit der Ukraine äußere, habe Putin eine Rede gehalten, die an Schärfe kaum zu übertreffen sei. Man habe den Eindruck, „dass er seine militärischen und politischen Ziele weiter mit aller Macht durchsetzen will“. Putin brauche dringend ein Ergebnis, das sich innenpolitisch als Erfolg verkaufen lasse. „Ob das real so richtig ist oder nicht, ist egal, es geht um Propaganda“, so der Politikprofessor.
„Diese Woche und die nächste Woche werden sehr zentral werden für die militärischen Entwicklungen“, sagte Masala. „Es gibt durchaus ernstzunehmende Stimmen, die seit ein paar Tagen der ukrainischen Seite den Sieg zutrauen.“ Entscheidend werde sein, ob es den russischen Truppen gelinge, sich neu aufzustellen. Masala erwartet, dass der militärische Konflikt sich auf die Hauptstadt konzentriert. „Wir warten ja alle darauf, was in Kiew passiert.“ Dort gehe es auch um die Stellung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: „Wenn Selenskij ein Präsident ist, der auf einem Haufen Schutt und Asche sitzt, dann ist das aus Putins Sicht eine maximale Demütigung dieses Mannes.“
Im Video: Das verrät Putins Körpersprache über ihn
Doch der Kreml-Herrscher scheint sich offenbar verkalkuliert zu haben. Denn der Vormarsch Putins Armee in der Ukraine ist ins Stocken geraten. Man geht inzwischen davon aus, dass sich Putin verschätzt und nicht mit dem massiven Widerstand der Ukrainer gerechnet hat. Die europäischen Länder scheinen darüber hinaus enger zusammenzustehen als überhaupt jemals zuvor. Millionen von Geflüchteten werden unbürokratisch aufgenommen und versorgt. Es sind positive Signale, die zarte Hoffnung auslösen, dass Putin verlieren wird. Denn das Böse hat noch nie gesiegt. Und das Gute wird gewinnen. So ist es und so bleibt es. (kra)
Im Video: Putin erkennt "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk an
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