Bildungsministerin warnt - aber hat sie auch eine Lösung?

„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine Bildungskrise geraten“

21.01.2021, Brandenburg, Oranienburg: Die Lehrerin Kerstin Alter und eine Schülerin unterhalten sich in der Comenius-Schule während einer Schulstunde der ersten Klassen. Die integrative Grundschule mit Sprachfördergruppen war vor fünf Jahren nach Ora
Coronavirus - Comenius-Grundschule
soe kde, dpa, Soeren Stache

von Arne Draheim

Das Bildungssystem steht zunehmend in der Kritik. Lehrermangel, Chancenungleichheit unter Schülern und akute Lernrückstände durch die Corona-Pandemie. Wird Deutschland seinem Bildungsauftrag überhaupt noch gerecht?

„Wir reden über eine Fülle an Problemen“

Bildungsweltmeister Deutschland? Das ist lange her. Mittlerweile kränkelt das Bildungssystem an vielen Ecken und Kanten. Das bestätigte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in einem RTL-Interview: „Wir reden nicht über ein Problem, wir reden über eine Fülle an Problemen.“

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Überfüllte Klassen, hohe Krankenstände, Lernrückstande durch die Corona-Pandemie und, und, und. Probleme gibt es viele, aber welche Lösungen lassen sich im Jahr 2023 überhaupt umsetzen? Um Lösungsansätze zu finden, müssen allerdings erstmal die Probleme beleuchtet werden.

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Marode Schulen – eine Finanzierungsfrage, obwohl das Geld vorhanden ist

Mittlerweile wirkt das Bildungssystem fast genauso marode wie die Orte, an denen junge Menschen auf das Leben vorbereitet werden sollen. Beispiel gefällig? Verschimmelte Wände, morsche Holzfenster und Sanitäranlagen, die einer schulischen Einrichtung unwürdig sind – das ist seit Jahrzehnten Alltag an vielen Schulen in ganz Deutschland. Ein Beispiel, das all die geschilderten Probleme vereint, befindet sich im Norden Berlins. Das Gymnasium am Europasportpark steht symbolisch für das, was sich in zahlreichen Städten bundesweit abzeichnet – die Jahre des Sparens hinterlassen ihre Spuren.

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Durch das sogenannte „Startchancen-Programm“ des Bildungsministeriums soll sich das ändern. An knapp 4.000 allgemein- und berufsbildende Schulen in ganz Deutschland, die einen hohen Anteil an sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern aufweisen, sollen gezielte Fördermittel eingesetzt werden. Bei einem Gesamtvolumen von circa zwei Milliarden Euro soll das Budget unter anderem auch in den Schulbau fließen. Relativ knapp bemessen, wenn allein die Sanierungsarbeiten des Gymnasiums am Europasportpark knapp 40 Millionen Euro kosten soll.

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Schlechte Bildung und mangelnde Chancenungleichheit

Studien belegen, dass das Bildungssystem vor allem bei jüngeren Schülern kränkelt. Plausible Gründe dafür gibt es viele. Sei es der Lernrückstand durch die Corona-Pandemie oder aber Chancenungleichheit unter sozialschwachen Familien. Die Bundesbildungsministerin plädiert dafür, in Sachen Bildung frühzeitig anzusetzen: „Wir müssen frühkindliche Bildung fördern. Dort werden die Grundlagen gelegt.“ Schließlich scheitern immer mehr Kinder an den Basisanforderungen der Grundschule, weshalb sich Wissenschaftler für verbindliche Sprachtests aussprechen. So auch Stark-Watzinger. Allerdings zögern die Länder noch.

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Ein weiterer wichtiger Punkt auf der Agenda: Chancenungleichheit. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, fordert daher Migrationsquoten an Schulen. Ab einem Anteil von 35 Prozent Kindern mit Migrationshintergrund nehme seiner Ansicht nach die Klassenleistung ab. Das Bundesbildungsministerium will allerdings mit dem „Startchancen-Programm“ entgegensteuern. Mit knapp zwei Milliarden Euro jährlich soll unter anderem die Chancenungleichheit abgebaut werden. Schulen dürften dann individuelle Maßnahmen ergreifen.

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Lehrermangel überall, Fachkräftemangel fängt an Schulen an

„Der Lehrerberuf muss wieder attraktiver werden. Wir brauchen die Menschen. Schulen sind nur so gut wie die Menschen in ihnen.“, erklärt die Bildungsministerin und spricht damit ein Problem an, das eigentlich eher in der Zukunft statt in der Gegenwart verortet wurde. Lehrermangel ist insbesondere in Städten wie Berlin ein großes Problem geworden. Da immer mehr Lehrkräfte in Rente gehen, aber immer weniger Nachfolger gefunden werden, entsteht ein Ungleichgewicht. Das möchte die Bundesregierung auf dem diesjährigen Bildungsgipfel explizit angehen, wie Bettina Stark-Watzinger betont. Der Lehrerjob muss wieder attraktiver werden. Hierfür plant die Bildungsministerin ein besonderes Vergütungsmodell: „Das hat etwas mit Bezahlung zu tun. Das hat aber auch etwas mit der Anerkennung der Leistung zu tun – beispielsweise leistungsorientierte Bezahlung.“

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Fachkräftemangel ist kein reines Problem des Lehrerberufs, merkt Stark-Watzinger an. Vielmehr ist es ein Signal, das auch in anderen Branchen deutlich wird. „Wir sehen, dass knapp 50.000 Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen, und das sind alarmierende Befunde“, sagt die 54-Jährige. „Wir müssen wieder mehr Menschen in Ausbildungen bringen. Auch das ist eine Kraftanstrengung für 2023.“

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Die Corona-Pandemie hat Spuren hinterlassen

Weg vom Fachkräfte- und Lehrermangel, zurück zu den Schülern. Die haben insbesondere während der Corona-Pandemie besonders leiden müssen. „Wir sehen, dass die Schulschließungen gravierende Folgen hatten. In Deutschland waren die Schulen fast 183 Tage teilweise oder komplett geschlossen“, stellt die Ministerin fest. In dieser Zeit habe sich ein enormer Lernrückstand gebildet. Doch auch die psychische Belastung ist nicht zu unterschätzen, wie Stark-Watzinger betont. „Das ist nicht mit einer einmaligen Maßnahme getan, da müssen wir langfristig ran.“ Experten befürchten, dass das „Startchancen-Programm“ diesbezüglich in die Fußstapfen des einstigen „Corona-Aufholprogramms“ treten könnte. Das wäre fatal, da zwar die Mittel bereitgestellt wurden, Schülerinnen und Schüler aber nicht zielgerichtet gefördert wurden. Bis das „Startchancen-Programm“ aufgenommen wird, bleibt aber noch Zeit zur Korrektur alter Missstände. Startschuss ist das Schuljahr 2024/25.

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Die Frage, die sich bei dieser Bestandsanalyse aufdrängt: Wird Deutschland seinem Bildungsauftrag überhaupt noch gerecht? Das kann auch die Bildungsministerin trotz diverser geplanter Maßnahmen nicht zufriedenstellend beantworten: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine Bildungskrise geraten.“

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