Wie Lena Jensen sexualisierte Gewalt überlebt hat

„Früher dachte ich, ich wäre die Einzige, der sowas passiert ist”

Lena Jensen ist Influencerin, Mutter – und Überlebende.
Lena Jensen ist Influencerin, Mutter – und Überlebende sexualisierter Gewalt.
Privat
von Konrad Rampelt

Warum fällt es uns so schwer, hinzusehen?
Fast jede fünfte Frau in Deutschland sagt, sie habe als Kind oder Jugendliche sexualisierte Gewalt erlebt. Lena Jensen (32) ist eine von ihnen. Heute spricht sie offen über Täter, Trauma und Tabus – und stellt eine unbequeme Frage an die Gesellschaft.

Fast jede fünfte Frau ist betroffen – doch viele schweigen

Wenn Lena Jensen alte Kinderfotos anschaut, passiert etwas in ihr, das schwer zu beschreiben ist. Ihr wird schlecht. Nicht im übertragenen Sinn. Auf den Bildern sieht sie ein Kind mit einem Lächeln, das zu groß wirkt für das, was es damals erlebt hat. Heute ist Lena Jensen Influencerin, Miss-Germany-Finalistin, Mutter – und eine der sichtbarsten Stimmen im Kampf gegen sexualisierte Gewalt.

Über vier Jahre wurde Lena Jensen mehrfach sexuell misshandelt.
Über vier Jahre wurde Lena Jensen mehrfach sexuell misshandelt.
RTL Nord

„Früher dachte ich, ich wäre die einzige, der sowas passiert ist”, sagt Lena Jensen. Dass es immer nur Einzelfälle seien. Geschichten am Rand. Abgründe, die nur andere betreffen. „Aber in dem Moment, als ich damit an die Öffentlichkeit gegangen bin, kamen 50 Prozent meines Freundeskreises Stück für Stück auf mich zu und erzählten, dass ihnen Ähnliches passiert ist.” Eine Zahl, die sich wie ein Faustschlag anfühlt und für Lena Jensen alles verändert.

37,4 Prozent der Überlebenden sexualisierter Gewalt haben nie über das Erlebte gesprochen

Die Nationale Dunkelfeldstudie zeigt: 12,7 Prozent der Befragten gaben an, im Kindes- oder Jugendalter sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Bei Frauen sind es über 20 Prozent, bei den 18- bis 29-Jährigen sogar 27,4 Prozent. Zahlen, die schockieren sollten. Und doch sagt Lena: „Für mich waren die Zahlen wenig überraschend.”

Was sie mehr bewegt, ist eine andere Zahl. 37,4 Prozent der Betroffenen haben nie mit jemandem darüber gesprochen. Kein Wort. Kein Raum für Wahrheit. Sie bleiben für immer stumm. Lena sieht darin keinen Zufall, sondern ein strukturelles Versagen. „Diese Zahl ist für die gesamte Gesellschaft alarmierend”, sagt sie. Denn Schweigen sei keine Schwäche – sondern oft ist es der einzige Weg, zu überleben. Weil selbst Menschen, die Kinder lieben, sich vor der Erkenntnis fürchten, dass Täter unter uns sind. Auch da draußen – aber vor allem innerhalb des eigenen persönlichen Umfelds.

„Es bedeutet, wir als Gesellschaft müssen Betroffenen zuhören und den Raum geben, sich zu öffnen. Das bedeutet aber auch Schutz bereitzustellen von rechtlicher Seite und Vertrauen zu schenken.”

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Der Täter ist nicht das Monster im Wald

Denn die Täter? Die sehen oft nicht aus wie Täter. „Es ist eben nicht der gruselige Mann aus dem Busch, sondern der vielleicht charismatische Mann, dem wir vertrauen und den wir zu uns reinlassen”, sagt Lena Jensen. „Es zeigt, dass wir unser Bild von einem Täter dringend ändern müssen.”

Auch das bestätigt die Studie: In der überwiegenden Zahl der Fälle kommen die Täter nicht von außen. Sie sind Teil des sozialen Nahfelds. Familie, Schule, Kirche, Sportverein. In 95,5 Prozent der Fälle sind sie männlich. „Und trotzdem ist das Bild eines Opfers immer noch negativ behaftet und wird eher angezweifelt. Dabei haben wir etwas Wahnsinniges überlebt und können so stolz darauf sein!”

Lena Jensen will nicht, dass das so bleibt. „Es liegt an uns, Betroffene zu fragen, wie wir helfen können, sich zu öffnen, denn nur so kann Aufklärung stattfinden und Täter ins Gefängnis gebracht werden.”

Lese-Tipp: Jeder Achte wird als Kind Opfer sexueller Gewalt

Aber wie oft passiert das wirklich? Die Realität sieht anders aus. Die Verjährung greift oft, bevor Betroffene überhaupt sprechen können. „Die Verjährung sollte abgeschafft und die Strafen sollten verlängert werden”, schlägt sie vor. „Viele Täter fühlen sich vermutlich, als hätten sie einen Freifahrtschein. Das sollten wir ändern!”

Sichtbarkeit tut manchmal weh – aber sie wirkt

Lena nutzt Social Media. Nicht als Bühne. Sondern als Werkzeug. Sie klärt auf über Täterstrategien, Schutzmechanismen, Warnzeichen. Die meisten reagieren dankbar, aber nicht alle. „Es gibt auch Stimmen, die sich schwertun, mit dem Thema sich zu befassen. Verständlicherweise. Und hier und da gibt’s mal negative Kommentare wie ‘Du hast es doch genossen!’ oder ‘Heul leise.’”

Sie hat gelernt, das auszuhalten. Weil es mehr bringt, als zu schweigen.

Kinderrechte ins Grundgesetzt – sofort

Und die Politik? Heute hat Lena Jensen keine Illusionen mehr. Aber Wünsche schon: „Kinderrechte müssen im Grundgesetz verankert werden. Das Kinderrecht muss besser durchgesetzt werden, was bedeutet, dass alle besser auf Kinder geschult werden müssen. Von Polizisten bis Richter. Kinder sind auch Teil dieser Gesellschaft und dürfen nicht wie Erwachsene behandelt werden vor Gericht.”

Lese-Tipp: „Kinderrechte ins Grundgesetzt” – das fordert DIESE Petition

Die Mutter eines Sohnes weiß: Ihr eigenes Kind kann sie nicht vor allem schützen. Aber sie kann es vorbereiten: „Ich glaube, betroffene Menschen, die ihre Vergangenheit verarbeitet haben, sind die beste Prävention für die eigenen Familie.”

Lena Jensen hat überlebt und redet. Die Frage ist: Was machen wir mit dem, was sie sagt?

Lese-Hinweis: Sexualisierte Gewalt oder psychische Probleme – Hier finden Betroffene schnelle Hilfe

Hier finden Betroffene Hilfe

Wenn es in eurem Umfeld sexuellen Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen gibt oder ihr selbst betroffen seid, findet ihr unter der Nummer 0800 – 22 55 530 oder unter www.hilfe-portal-missbrauch.de Menschen, mit denen ihr darüber sprechen könnt.

Auch Stalking und sexualisierte Übergriffe in Chats und Apps sind ernst zu nehmende Themen. Solltet ihr davon betroffen sein oder jemanden kennen, der oder die betroffen ist, findet ihr Hilfe unter der kostenlosen Hotline 08000 – 116 016 oder unter www.hilfetelefon.de.