„Viele Frauen werden 24/7 von ihren Partnern überwacht"
Wie Miriam (32) mit einem Undercover-Transporter Frauen aus gewalttätigen Beziehungen rettet

Sie kommt, wenn Frauen in Not sind!
Seit zwei Jahren ist Miriam Peters (32) mit ihrem Verein „Die Land Grazien“ aktiv. Ihr Ziel: Frauen und Kindern, die häusliche Gewalt erfahren, zu helfen. Dafür informiert sie im Netz, berät Frauen, hilft ihnen, aus gefährlichen Situationen zu fliehen und ein eigenes Leben aufzubauen. RTL hat sie von ihrer Arbeit erzählt und davon, welches Vorurteil über häusliche Gewalt sie nicht mehr hören kann.
„Wir treffen Frauen dort, wo sie sicher sind"
Es reicht eine kurze Nachricht per SMS oder im Chat: „Hilfe, holt mich hier raus.“ Dann setzt sich Miriam Peters (32) in ihren Transporter und fährt los. Ihr Ziel ist es, die Frau, die sich bei ihr gemeldet hat, in Sicherheit zu bringen. In Gefahr ist sie durch ihren Mann, die gewaltvolle Ehe oder Beziehung, in der sie sich befindet. Miriam ist Gründerin der Beratungsstelle „Land Grazien“, die Frauen, die auf dem Land wohnen, in gewaltvollen Notsituationen weiterhilft.
Außergewöhnlich ist der Transporter, den Miriam Peters fährt. Er ist essenziell für die Arbeit der „Land Grazien“, wie sie RTL erzählt: „Außen ist immer unterschiedliche Handwerker-Werbung zu sehen – aber im Inneren ist der Bus komplett ausgebaut als Beratungsmobil!“ Die Verschleierung ist wichtig, damit die Frauen sich sicher fühlen.
„Viele Frauen werden 24/7 von ihren Partnern überwacht. Wenn sie eine Beratungsstelle aufsuchen, kann das schlimme Folgen haben. Das wollen wir natürlich vermeiden. Wir wollen uns mit Frauen dort treffen, wo sie sicher sind: Auf dem Parkplatz vorm Supermarkt, an der Schule ihrer Kinder oder beim Arzt“, erzählt Peters.
Die Idee wird sehr gut angenommen. Mittlerweile melden sich jede Woche fünf bis sechs neue Frauen bei den „Land Grazien“.
„Wir müssen das selbst in die Hand nehmen!“

Die Idee zu der Beratungsstelle kam Miriam Peters während eines Praktikums in Lübeck. „Wegen zu wenig Geld und Personal und Zeit mussten wir immer wieder Frauen in Not abweisen“, erzählt sie. Peters fragte sich, wo diese Frauen nun hingehen – denn gerade auf dem Land gibt es wenige Angebote.
„Wir müssen das selbst in die Hand nehmen!“, dachte sich die staatlich anerkannte Sozialarbeiterin und entwickelte ein Konzept, das leichter zugänglich ist für Frauen auf dem Land. Es besteht aus der Präventionsarbeit, bei der sie vor allem in Sozialen Netzwerken aufklären und informieren, und der mobilen und digitalen Interventionsarbeit. Zum einen treffen sich die „Land Grazien“ dabei mit Frauen in dem Beratungsmobil, zum anderen sind sie digital erreichbar und Ansprechpartnerinnen für Betroffene.
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Sie helfen, aus Beziehungen zu entkommen, vermitteln Unterkünfte in Frauenhäusern und eigenen Wohnungen und unterstützen dabei, ein eigenes Leben ohne den Ex-Partner aufzubauen. „Oft sind betroffene Frauen in einer starken Abhängigkeit, haben nicht einmal ein eigenes Konto“, berichtet Miriam Peters.
Warum es für Frauen auf dem Land besonders schwer ist, aus gewaltvollen Beziehungen zu flüchten
Wichtig in ihrer Arbeit ist vor allem die Hilfe zur Selbsthilfe. Deshalb werden Anträge nur gemeinschaftlich bearbeitet und Hilfe gemeinsam beantragt. Unterstützung gibt es auch bei Terminen bei der Polizei oder im Gericht, denn „viele Frauen sind durch die oft jahrelangen Gewaltbeziehungen stark verunsichert“.
Hilfe wird oft auch wegen der besonderen Strukturen auf dem Land benötigt. So ist die Infrastruktur in der Regel eher schlecht. „Man ist gefangen“, sagt Peters.
Auch das Sozialgefüge ist häufig problematisch. „In der Stadt hat man eine gewissen Anonymität. Da merkt der Nachbar in der Regel nicht, wenn man zu einer Beratungsstelle für häusliche Gewalt geht. Auf dem Land hingegen ist die Gefahr sehr groß, dass die Gemeinschaft das schnell erfährt. Da kann es schon passieren, dass man gesehen wird und der Ehemann dann konfrontiert wird mit ‚Was macht denn deine Frau da‘“, so Peters
Sie betont, dass Dorfgemeinschaften zwar viel Positives haben, etwa Nachbarschaftshilfe und ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Doch dadurch, dass auf dem Dorf oft jeder jeden kennt, entstehen weitere Probleme: „Man geht nicht zur Polizei und klagt den Ehemann an, wenn der Polizeichef dessen Fußballkumpel oder im gleichen Skat-Verein ist.“
Im Video: RTL begleitet Miriam und die "Land Grazien"
Wie kann man Betroffenen helfen?
Die „Land Grazien“ sind vor Ort nur im Landkreis Herzogtum Lauenburg und benachbarten Kreisen unterwegs – auch wenn sie digital natürlich Frauen aus ganz Deutschland helfen. Doch auch wer selbst mitbekommt, dass Frauen Hilfe brauchen, kann helfen.
Miriam Peters rät: „Wenn man alleine mit der Frau ist, sollte man fragen, was sie braucht. Man kann das Angebot machen, zusammen bei Beratungsstellen anzurufen oder hinzugehen. Und vielfach hilft es auch, wenn man Betroffenen anbietet, Anrufe vom eigenen Handy zu tätigen.“
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Wichtig ist es, dass man sich nicht selbst in Gefahr bringt. Denn es kann auch brenzlig werden. Peters schildert einen Fall: „Eine Frau ist mit ihren zwei Kindern geflohen und wir hatten sie erstmal in eine Ferienwohnung gebracht. Dann haben wir eine Wohnungszuweisung erwirkt, die Frau durfte also wieder in ihre Wohnung und ihr Mann musste ausziehen.“
Doch der Mann weigert sich, wie sich zeigt, als Miriam Peters und ihr Team die Wohnung für die Familie vorbereiten wollen. Sie informiert die Polizei, die den Mann schließlich wegbringt. Erst danach folgt der wahre Schock: Im Schlafzimmer finden sich zahlreiche Schusswaffen. „Das hat ein sehr mulmiges Gefühl in uns ausgelöst.“
Im Video: Zwei Täter sprechen über häusliche Gewalt
Das sollte man bei häuslicher Gewalt nie sagen
Auch im Alltag hat Peters häufiger ein schlechtes Bauchgefühl. Immer dann, wenn bei einem Fall von partnerschaftlicher Gewalt Sätze wie „bei DEM kann ich mir das gar nicht vorstellen“ oder „der war doch immer so nett“ fallen.
„Das richtet bei den Frauen so viel Schaden an, denn es stellt ihre Erlebnisse infrage und stellt sie indirekt als Lügnerinnen dar“, betont Peters. Dabei ist häusliche Gewalt für Außenstehende oft kaum zu erkennen. Umso wichtiger, dass es Hilfe, wie die von den „Land Grazien“ gibt.
Eine Frau, die diese Hilfe akut in Anspruch nimmt, ist „Susanne“*. Sie flieht vor ihrem Partner mit Miriams Hilfe. RTL ist bei der Abholung dabei. Wie es mit „Susanne“ weiterging und weitere mutige Frauen, die über ihre Erfahrungen sprechen, kommen heute beim Schwerpunktabend: Häusliche Gewalt von SternTV zu Wort – ab 20:15 bei RTL.
*Name zum Schutz geändert