Können Autoimmunkrankheiten bald besiegt werden?

„Sensationell gut“: Impfstoff-Studie gegen Multiple Sklerose & Co. begeistert Experten

Arzt mit Patient
Ein Arzt spricht mit einem Patienten im Rollstuhl. US-Forscher testen gerade einen inversen Impfstoff gegen Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose & Co., der in Labortests gut abgeschnitten hat.
iStockphoto

von Madeline Jäger

Sensationelle Forschung – endlich ist ein Impfstoff gegen Autoimmunerkrankungen in der Mache! Eine aktuelle Studie aus Chicago macht Patienten mit Multipler Sklerose, Typ-1-Diabetes und zum Beispiel Morbus Crohn Hoffnung auf eine Heilung. Wie optimistisch Betroffene jetzt sein dürfen, erklärt Medizinjournalist und Allgemeinmediziner Dr. Christoph Specht im RTL-Interview.

„Inverser Impfstoff“: Neue Studie macht Patienten mit Autoimmunerkrankungen Hoffnung

Kommt jetzt endlich ein Impfstoff gegen Multiple Sklerose & Co.? Aktuell haben Forscher der Pritzker School of Molecular Engineering (PME) von der University of Chicago einen neuartigen Impfstoff entwickelt, der in Labortests zu den Autoimmunerkrankungen MS, Typ-1-Diabetes und Morbus Crohn hervorragend abgeschnitten hat.

Und so funktioniert die Impfstoff-Technik: Die meisten Impfstoffe lehren das menschliche Immunsystem, einen Virus oder ein Bakterium als Feind zu erkennen, der angegriffen werden muss. Doch der neue „inverse Impfstoff“ bewirkt genau das Gegenteil: Er entfernt die Erinnerung des Immunsystems.

Während dieser Effekt des Immungedächtnisses bei herkömmlichen Infektionskrankheiten komplett unerwünscht wäre, kann genau diese Löschung die unerwünschte Autoimmunreaktionen der genannten Patientengruppen stoppen.

Bei Autoimmunerkrankungen, wie Multipler Sklerose, Typ-I-Diabetes, rheumatoider Arthritis oder Morbus Crohn, greift das eigene Immunsystem das gesunde Gewebe einer Person an.

Lese-Tipp: Medizinisches Wunder! Junger Mann von schwerer Autoimmunerkrankung geheilt

„Können Krankheiten wie MS behandeln, nachdem bereits eine Entzündung besteht“

„Das Spannende an dieser Arbeit ist, dass wir gezeigt haben, dass wir Krankheiten wie Multiple Sklerose behandeln können, nachdem bereits eine Entzündung besteht“, erklärt Jeffrey Hubbell Eugene Bell, Professor für Gewebetechnik und Hauptautor der neuen Arbeit.

In den vergangenen zehn Jahren hat das Forschungsteam aus den USA daran gearbeitet, die übliche Wirkweise von Impfstoffen einfach umzudrehen und damit Autoimmunkrankheiten den Kampf anzusagen.

„Anstatt die Immunität wie bei einem Impfstoff zu stärken, können wir sie mit einem inversen Impfstoff auf ganz spezifische Weise eindämmen“, erklärt der Studienleiter weiter.

Lese-Tipp: Schauspielerin Christina Applegate ist betroffen: Das steckt hinter der Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose

Anzeige:

Empfehlungen unserer Partner

Multiple-Sklerose-ähnliche Erkrankung im Fokus der Studie: Tests bei Tieren erfolgreich

Wie das Online-Wissenschaftsportal Sci Tech Daily aktuell berichtet, haben sich die Forscher in der neuen Studie auf eine multiple-Sklerose-ähnliche Erkrankung konzentriert, bei der das eigene Immunsystem angegriffen wird. Die Erkrankung führt zu Schwäche und Taubheitsgefühl, Sehverlust und schließlich zu Mobilitätsproblemen und Lähmungen. Das Team testete die Wirkung des neuen inversen Impfstoffs zunächst an Tieren und fand heraus, dass das Immunsystem aufhörte, die eigenen Nervenzellfortsätze anzugreifen.

Nach der Impfung funktionierten die Nerven wieder richtig und die Krankheitssymptome konnten bei Tieren komplett rückgängig gemacht werden. In einer Reihe weiterer Experimente zeigten die Wissenschaftler, dass der gleiche Ansatz dazu beitrug, andere laufende Immunreaktionen zu verringern.

Lese-Tipp: RTL-Moderatorin Anna Kraft (35): Wie ich mit Multipler Sklerose lebe

Jetzt bedarf es zunächst erst einmal weiterer Studien, um Hubbells Forschungen beim Menschen zu untersuchen. Gerade befindet sich der neue Impfstoff in der ersten Phase-I-Sicherheitsstudie. „Es gibt noch keine klinisch zugelassenen inversen Impfstoffe, aber wir freuen uns unglaublich darauf, diese Technologie voranzutreiben“, sagt Hubbell.

Doch wie aussichtsreich ist die neue Forschung zum inversen Impfstoff aus Sicht eines weiteren Experten?

Dr. Christoph Specht schaut in die Kamera.
Dr. Christoph Specht gibt eine aktuelle Einschätzung ab.
Moritz Jansen, photoMo

„Sensationell gut“ – Arzt von bisheriger Impfstoff-Forschung begeistert

Allgemeinmediziner Dr. Christoph Specht zeigt sich von den Studienergebnissen begeistert.

„Ich halte die bisherige Forschungsarbeit für sensationell gut! Zum ersten Mal gibt es einen kausalen Ansatz, wie die Symptome von Autoimmunerkrankungen bekämpft werden könnten. Wenn man mit einem Impfstoff die Symptome eindämmen, oder sogar komplett beseitigen könnte, wäre das absolut bahnbrechend. Nach dem bisherigen Stand könnte eine einmalige Impfung vermutlich ausreichen und das ist beeindruckend“, freut sich der Mediziner im RTL-Gespräch.

Jetzt würde allerdings alles von den weiteren Teststudien abhängen. „Gerade befindet sich der Impfstoff in Studienphase 1 und wird an wenigen gesunden Menschen getestet. Erst, wenn sich hieraus ergibt, dass keine größeren Nebenwirkungen nach der ersten Impfdosis auftauchen, durchläuft er Studienphase 2, was absolut wünschenswert wäre“, schätzt der Arzt ein.

Lese-Tipp: Zug-Horror mit Bahn-Mitarbeitern: MS-Patientin (28) kämpft für Respekt vor unsichtbaren Behinderungen

Im Video: Multiple Sklerose! Betroffene schildert Umgang mit der Krankheit

Multiple Sklerose! Betroffene schildert Umgang mit der Krankheit
02:10 min
Betroffene schildert Umgang mit der Krankheit
Multiple Sklerose!

30 weitere Videos

„Wird noch Jahre dauern, doch alles hat einmal so angefangen“

Erst in Studienphase 2 werden Impfstoffe an Erkrankten, wie beispielsweise in diesem Fall MS-Patienten getestet, jedoch erst einmal nur an wenigen Probanden.

In Phase 3 kommen mehr Probanden ins Spiel und es gibt sowohl eine Placebo-Gruppe als auch eine Gruppe mit Patienten, die tatsächlich den Impfstoff erhalten.

„Es wird noch Jahre dauern, bis diese Sicherheitsstudien alle durchlaufen sind. Doch alles hat einmal so angefangen“, so Specht optimistisch. Und: „Ich habe den Eindruck, dass hier die Chancen besser stehen als bei Alzheimer-Forschung, die in den letzten Jahren viele Bauchlandungen hingelegt hat. Doch die tatsächlichen Ergebnisse bleiben abzuwarten.“