"Mir wurde gesagt, ich solle besser zuhören"
Zug-Horror mit Bahn-Mitarbeitern: MS-Patientin (28) kämpft für Respekt vor unsichtbaren Behinderungen
von Vera Dünnwald
„Du siehst ja gar nicht krank aus!“ Diesen Satz kennt Laura Pötschke aus Velgast an der Ostsee nur zu gut. Denn die 28-jährige Erzieherin hat Multiple Sklerose, eine chronisch entzündliche Krankheit des zentralen Nervensystems. Sie lebt mit einer für andere nicht sichtbaren Krankheit, hat mit Symptomen – und Vorurteilen – zu kämpfen. Warum ein Horror-Ereignis in der Bahn sie nun noch mehr dazu motiviert, für andere Menschen einzustehen.
Laura Pötschke (28) hat Multiple Sklerose
Ihren Alltag könne sie soweit ohne Probleme bewältigen, erzählt die junge Frau sie im RTL-Interview. Aber ganz ohne Symptome lebt sie nie. Schließlich ist genau das das Tückische an der Erkrankung: Die Autoimmunkrankheit und ihr Beschwerdebild sowie ihr Verlauf variieren von Patient zu Patient: „Ein Leben mit einer unsichtbaren Behinderung bringt einiges an Hürden mit. Und man muss sich eigentlich immer mit Vorurteilen herumschlagen“, sagt Pötschke.
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So auch am 23. Mai 2023, als die 28-Jährige eine Reise mit der Deutschen Bahn antritt. „Fehlende Inklusion und fehlendes Einfühungsvermögen! Mir ist etwas passiert, das so eigentlich nicht mehr passieren darf“, erzählt sie.
Stress statt Hilfe im Zug
Pötschke erinnert sich an den Horror-Trip: „Ich habe mitsamt meinem Hund und natürlich etwas Gepäck meine Freundin in Hamm besucht. Von dort aus wollte ich zurück in meine Heimat Velgast fahren. Ich habe meine Verbindung extra so gebucht, dass ich nur einmal umsteigen muss. Denn mehr als das schaffe ich nicht. Das wird mir aufgrund meiner Erkrankung sonst zu anstrengend.“
Zwei Plätze habe sie im Voraus reserviert, in der Voraussicht, für ihren Hund und sich genug Platz zu haben. „Im Zug habe ich dann festgestellt, dass beide Plätze aufgrund einer Doppelbuchung schon belegt waren.“ So weit, so gut.
Die junge Frau begibt sich auf die Suche nach einem neuen Platz – als sich plötzlich die MS-Symptome verschlimmern. „Es war stressig, weil ich nicht wusste, wo ich hin soll. Mir ging es immer schlechter, weil ich mit stickiger Luft und Hitze nicht so gut zurecht komme“, erzählt die Erzieherin.
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Doch es kommt noch schlimmer: „Während der Platzsuche machte sich die Bahn-App bemerkbar, dass mein Halt in Velgast ausfällt. Ich wurde immer nervöser, weil ich mich gefragt habe, wie ich jetzt überhaupt nach Hause kommen soll.“
Sie geht zum Zugpersonal und erfragt, wieso der Halt in Velgast entfalle und was sie nun solle.
Mit der Antwort hatte Pötschke jedoch nicht gerechnet: Die Oberleitungen seien defekt. „Und wenn Sie doch mal zugehört hätten, wüssten Sie das auch“, heißt es.
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Sie solle besser zuhören und sich konzentrieren
„Ich habe die beiden Mitarbeiter, den Zugchef und seine Kollegin dann freundlich darüber aufgeklärt, dass ich eine Behinderung habe, die mir manche Dinge erschwert, die anderen Menschen keine Mühe machen.Ich kann nicht mehr so gut hören aufgrund der Multiplen Sklerose, und ich kann mich nicht mehr so gut auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren“, sagt sie.
Die Stimmung im Zug wird daraufhin immer schlechter: Laut Pötschke zeigt sich das Bahn-Personal wenig hilfsbereit, ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich zunehmend. Ihre Beine schmerzen und das Gefühl, dass die Unterhaltung sowieso zu nichts führt, bestärkt sich ihrerseits.
Es kommt zu einem weiteren Missverständnis, sodass die 28-Jährige erneut darauf hinweist, dass sie eine Einschränkung habe. „Dann meinte einer der beiden Bahn-Mitarbeiter, dass man sich, wenn man unterwegs ist, ja trotzdem fokussieren und konzentrieren müsse. Weil ich zu dem Zeitpunkt aber schon nicht mehr konnte und mich dringend hinsetzen wollte, habe ich dann nur noch nach meinen doppelt belegten Sitzen gefragt. Plötzlich hieß es, ich solle gehen, weil die Stimmung zu aggressiv werde und ich zu aufgebracht sei, um die Unterhaltung fortzuführen. Dann kam der Oberhammer: Sie drohten mir damit, dass sie ja schließlich auch die Sicherheitsleute rufen und mich aus dem Zug entfernen lassen könnten. Ab dann war ich völlig fertig mit den Nerven und habe mich gefragt, wie man so sein kann“, so die 28-Jährige.
Von der „fehlenden Menschlichkeit“ sei sie bis heute erschrocken. „Am Ende habe ich dann im Fahrradabteil im Gang gesessen und Hilfe von einem älteren Herrn bekommen. Zusammen haben wir eine Verbindung gefunden, sodass ich endlich wusste, wie meine Reise weitergeht. Ich musste vier Mal umsteigen.“
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Das sagt die Deutsche Bahn zu dem Vorfall
Noch am selben Abend verfasst Laura Pötschke eine Mail an die Deutsche Bahn, auf die – so erzählt sie uns – bisher noch niemand reagiert hat: „Ich möchte hervorheben, dass ich schon oft auch positive Erfahrungen mit der Deutschen Bahn gemacht habe. Aber ich würde mir trotzdem eine Entschuldigung wünschen und hoffe, dass die Mitarbeiter durch den Vorfall vielleicht nochmal entsprechend geschult werden. Denn so herablassend behandelt zu werden, das geht einfach gar nicht.“
Für sie selbst sei es vielleicht leichter, in die Diskussion zu gehen. Doch sie sagt: „Ich möchte für all diejenigen einstehen, die in ähnlichen Situationen vielleicht nicht so schlagfertig reagieren. Man sollte einfach nett zueinander sein und muss sich das Leben doch gegenseitig nicht so schwer machen, oder?“
Auf RTL-Nachfrage heißt es in einer Stellungnahme der Deutschen Bahn: „So etwas sollte kein Reisender auf der Fahrt mit der DB erleben müssen. Das beschriebene Verhalten unseres Zugpersonals klingt inakzeptabel und absolut nicht so, wie es sein soll. Wir nehmen die Vorwürfe sehr ernst und werden selbstverständlich Ihren Hinweisen nachgehen. Die Haltung der Deutschen Bahn in solchen Fällen ist klar, wir dulden ein solches Verhalten und entsprechende Äußerungen nicht.“
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Zudem erklärt ein Bahnsprecher, dass Servicemitarbeiter „natürlich“ mit speziellen Schulungen auf den Umgang mit Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen vorbereitet werden würden.
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