Wir müssen darüber reden!
Ich habe mich sterilisieren lassen – so fühle ich mich ein Jahr später

Es war die beste Entscheidung meines Lebens.
Ich liege in einem Bett einer ambulanten Klinik im Rheinland. Es ist recht früh, gegen acht Uhr. Ein Arzt kommt ins Zimmer, fragt mich, wie es mir geht. Ich bin aufgeregt, aber im positiven Sinne. Denn dieser Tag im Frühjahr 2024 soll für mich ein Tag der Befreiung werden. Ich will keine Kinder bekommen – und an diesem Tag mache ich dafür den letzten Schritt. Ich lasse mich sterilisieren. Wie geht es mir ein Jahr später damit?
Sterilisation ist ein gesellschatliches Tabu
Verhütung war für mich immer ein großes Thema. Richtig sicher habe ich mich beim Sex nie gefühlt. Das hatte durchaus Auswirkung auf meine Partnerschaften. Frauen werden es kennen: Die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft ist immer da. Und bei mir war sie besonders ausgeprägt. 18 Jahre nahm ich die Pille, Verkehr gab’s trotzdem nicht ohne Kondom. Auch nicht mit langjährigen Partnern. Die Idee, mich sterilisieren zu lassen, hatte ich das erste Mal mit Mitte 20, doch Unterstützung bekam ich von ärztlicher Seite wenig.
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Es ist immer noch ein gesellschaftliches Tabu, wenn Frauen sagen, dass sie sich sterilisieren lassen. Wegen des Rollenbildes, dem Frauen auch heute noch unterliegen, wird Frauen die Entscheidung für eine Sterilisation in Deutschland nach wie vor schwerer gemacht als Männern. Die müssen oft nicht lange suchen, bis sie einen Arzt finden, der eine Vasektomie macht. Wenn Frauen überhaupt einen Arzt finden, müssen sie sich oft sehr persönliche Fragen gefallen lassen, sich rechtfertigen oder sogar psychiatrische Gutachten vorlegen. Als könnten wir Frauen das nicht selbst entscheiden oder seien zu emotional oder uns der Tragweite nicht bewusst.
Über meine Entscheidung habe ich nur mit wenigen Menschen vorher gesprochen. Mit sehr engen Freunden, die mich wirklich gut kennen. Die in einer ähnlichen Blase leben wie ich, sie haben ähnliche Lebensentwürfe. Ich wollte mir nicht anhören, dass ich – mit 34 – doch noch warten solle, bis „der richtige Mann“ käme. Oder dass Babys doch das größte Glück dieser Erde wären. Die Argumente kenne ich alle.
Wie viele Frauen bereuen eine Sterilisation?
Um es einzuordnen: Ja, es gibt Frauen, die den Eingriff bereuen. Eine Studie aus den USA hat das 1999 untersucht. Die Befragung zeigte, dass im Durchschnitt 13 Prozent der Frauen ihre Sterilisation bereuen. Dabei kommt es allerdings auf die Lebenssituation und das Alter an: 20,3 Prozent der Frauen unter 30 bereuen den Eingriff, aber nur 5,9 Prozent der Frauen über 30. Dabei kommt es auch darauf an, ob die Frauen schon Kinder haben. Vergleicht man nur die kinderlosen Frauen, ist der Unterschied marginal. Dann bereuen 6,3 Prozent der Frauen unter 30 den Eingriff und 5,4 Prozent der Frauen über 30. Festhalten kann man also: Die absolute Mehrheit der Frauen bereut den Eingriff nicht. Paradox übrigens: Frauen werden eher selten gefragt, ob sie es bereuen, Kinder bekommen zu haben oder nicht…
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2023 war ich seit einiger Zeit wieder Single. Und während ich mich durch die Tiefen der Dating-Apps wühlte, realisierte ich, dass es mir wichtig war, einen Partner zu finden, der keine Kinder wollte. Und so keimte der Gedanke auf, mich doch noch einmal schlau zu machen, wie es mit einer Sterilisation aussähe. Ich kannte den Verein „Selbstbestimmt steril“ schon. Der bietet im Internet eine Übersicht über Ärzte, die Frauen ohne medizinische Notwendigkeit sterilisieren. Die meisten führen den Eingriff erst ab einem gewissen Alter durch, die Grenze variiert allerdings zwischen 18 und 30 Jahren, Kinder sind bei den allermeisten kein Kriterium. Ich habe mich für eine Klinik entschieden, die den Eingriff ohne weitere Einschränkungen ab dem 25. Lebensjahr vornimmt. Online vereinbarte ich einen Termin für ein Vorgespräch.
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Die Ärztin, mit der ich dieses führte, überraschte mich positiv: Keine komischen Fragen zu meiner geistigen Gesundheit, kein „aber wenn der richtige Mann kommt“. Stattdessen traf ich auf eine verständnisvolle, freundliche Ärztin, die mich gut aufgeklärt hat, mich fragte, ob die Eileiter nur durchtrennt werden sollten (Tubenligatur) oder direkt komplett entnommen werden sollten (Salpingektomie). Ich konnte direkt nach dem Gespräch einen OP-Termin vereinbaren. Keine weiteren Unterlagen nötig, nur ein paar Unterschriften. Und wenige Wochen später war meine natürliche Fruchtbarkeit dann Geschichte.
Wie fühle ich mich ein Jahr später?
Seitdem hat sich mein Leben stark verändert – zum Positiven. Nach 18 Jahren habe ich aufgehört, die Pille zu nehmen, weil ich mich endlich ohne sicher fühle und ich stehe zu meiner Entscheidung. Es war die richtige. Ich habe ein besseres, angstfreieres, sorgenloseres Leben als zuvor. Ich kann Zweisamkeit besser genießen, bin nicht regelmäßig panisch, weil ich glaube, schwanger zu sein. Ich habe einen neuen Partner, der natürlich über die OP Bescheid weiß. Ich habe meiner Familie davon erzählt und nach einem sehr kurzen Moment der Überraschung vor allem Verständnis bekommen. Merkwürdige Kommentare gab es keine. Nicht von Kollegen, Freunden, Bekannten. Viele Frauen in meinem Umfeld haben sich sehr interessiert gezeigt, gefragt, ob es schwer war, einen Termin zu bekommen oder was für Fragen die Ärztin gestellt hat.
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Mir wurde noch einmal deutlich bewusster als vorher, dass der Wunsch nach einer dauerhaften, hormonfreien, sicheren Verhütungsmethode unter Frauen groß ist und es viele Frauen gibt, mit und ohne Kinder, die zumindest schon einmal über eine Sterilisation nachgedacht haben. Vielen fehlte der Mut. Anderen das Wissen. Oder ein Gesprächspartner, der in einer ähnlichen Situation war.
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Sterilisation aus der Tabu-Zone holen
Ich habe gelernt, dass es anderen Frauen hilft, offen darüber zu sprechen, wenn man so eine OP hat machen lassen. Denn die Nachfrage – ob mit oder ohne Kinder – ist da. Ich habe Aufklärungsarbeit geleistet, da falsche Vorstellungen kursieren. So kann auch eine sterilisierte Frau Kinder bekommen. Eben nur nicht mehr auf natürlichem Wege. Es gibt sogar zwei Möglichkeiten: Wer sich dafür entscheidet, die Eileiter nicht entfernen zu lassen, sondern sie „nur“ veröden lässt, kann versuchen, sie wieder verbinden zu lassen. Die Chancen, dass das klappt, sind allerdings relativ gering, je nach Quelle liegen sie bei etwa 30 Prozent. Eine künstliche Befruchtung ist eine weitere Option.
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Daher sollten wir das Thema aus dem Tabu-Bereich herausholen. Deshalb spreche ich sehr offen, unter meinem Klarnamen, darüber. Eine Frau wird nicht unglücklich, fällt nicht in Depressionen, weil sie sich bewusst dafür entscheidet, nie Kinder bekommen zu können. Und die Entscheidung sollte erst recht nicht davon abhängig gemacht werden, ob irgendwann „der Richtige“ kommt. Es kommt auf das an, was wir Frauen wollen – die Gesellschaft hat das zu akzeptieren. In Vorgesprächen sollte es nicht um Männer gehen, die in der Zukunft eventuell Kinder wollen, sondern einzig und allein um die Frau. Es ist ihr Körper, es ist ihre Entscheidung. Wir Frauen sind mündig, wir können das für uns selbst entscheiden. Wir brauchen keine Gesellschaft, keine Männer, keine Frauen, niemanden, der uns da etwas vorschreibt. Und am Schluss gilt: Ja, es gibt Frauen, die eine Sterilisation bereuen. Aber besser, man bereut eine Sterilisation als die Geburt der eigenen Kinder.