Einmal im Monat kommt Leonie zur Untersuchung in die Fachklinik nach Bad Bentheim. Mittlerweile kennen sie hier alle.
Er ist auf jeden Fall schon zur Routine geworden. Ich bin schon ziemlich oft hier. Und Blut abnehmen ist auch kein Problem mehr, solange ich nicht hingucken muss. Aber das gehört schon dazu und man gewöhnt sich dran. Und ich bin eigentlich auch gerne hier.
Leonie nimmt hier seit fast einem Jahr an einer medizinischen Studie teil, denn sie hat Alopecia areata, auch kreisrunder Haarausfall genannt.
Wir wissen, dass bei der Alopecia areata, dem kreisrunden Haarausfall, das Immunsystem zu aktiv ist. Die sogenannten T-Immunzellen stoßen die eigenen Haare ab. Es beginnt meist im Kopfhautbereich und dadurch in der Folge das Immunsystem weiter angetrieben. Es gibt Haarausfall im Bereich der Augenbrauen, der Wimpern, auch die Körperbehaarung kann ausfallen.
Rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind von Alopecia areata betroffen. Leonie hat die stärkste Form der Autoimmunerkrankung, bei der alle Körperhaare restlos ausfallen. Vor zwei Jahren sehen ihre Haare noch so aus. In einem Sommerurlaub dann der Schock. Leonie lässt sich noch kurz vorher die Haare färben und merkt irgendwie fühlen sich ihre Haare komisch an. Im Urlaub fallen sie der damals 22-Jährigen dann nach und nach aus.
Der Nacken wird immer leerer, von Tag zu Tag und im Hotel lag alles voller Haare, generell das ganze Hotelzimmer voller Haare. Ja und dann bin ich praktisch fast ohne Haare wieder nach Hause geflogen. Also innerhalb von circa einer Woche ist der größte Teil ausgefallen.
Leonie geht zum Hausarzt und bekommt eine Cortisonsalbe verschrieben. Die hilft aber nicht. Nach und nach fallen ihr auch noch Wimpern und Augenbrauen aus, bis keine Haare mehr übrig sind. Leonie geht nur noch mit Perücke aus dem Haus.
Es wurden in der Zeit viele Tränen vergossen.
Aber eine Sache hilft ihr in dieser schweren Zeit. Die 24-Jährige eröffnet einen Tiktok Kanal und tauscht sich mit anderen Betroffenen aus, postet immer wieder Updates, unter anderem als sie das erste Mal eine Perücke trägt.
Sie gibt nicht auf, bis ein Arzt sie dann auf die Studie der Fachklinik in Bad Bentheim aufmerksam macht. Hier wird nicht auf die Standardbehandlung mit Cortison gesetzt, sondern auf ein Medikament, das eigentlich für eine ganz andere Krankheit bestimmt ist.
Das sind Tabletten, die ursprünglich für rheumatologische Erkrankungen wie das klassische Gelenks-Rheuma entwickelt worden sind. Diese wirken aber auch sehr gut bei verschiedenen Entzündungs-Hauterkrankungen und können das Immunsystem wieder beruhigen. Und das passiert in sehr gutem Maße auch bei der Alopecia areata. Das heißt, wir können das Immunsystem beruhigen, herunterfahren, sodass die Überreaktion, die zum Haarausfall geführt hat, wieder rückgängig gemacht wird und die Haare, die Haarwurzeln wieder anfangen können zu wachsen.
Und die Tabletten schlagen an, ihre Haare wachsen wieder nach.
Es ging recht schnell, dass man gesehen hat okay, die haben jetzt eine richtige Farbe, die haben eine richtige Struktur und die sind sehr schnell sehr lang geworden. Wimpern, Augenbrauen, alles hat sich irgendwie sozusagen wieder eingekugelt und es hat nicht lange gedauert.
Seit knapp einem Jahr nimmt sie jeden Tag Tabletten und muss einmal im Monat zur Visite, bekommt Blut abgenommen und ihre Haarwurzeln werden kontrolliert. Wenn Leonie zu viel Stress hat, fallen ihre Haare wieder aus. Dabei ist es bei dieser Studie besonders wichtig, dass die Wirkung bestehen bleibt.
Das Risiko dieser Medikation ist nicht klein und wenn die Patienten keinen Effekt davon haben, ist es studienbedingt möglich, dass sie vorzeitig die Studie beenden müssen und keine Medikation mehr bekommen. Zum Teil muss man das dann ausrechnen. Im System wird dann erst kundgegeben manchmal, ob der Patient die Studie weitermachen darf oder nicht.
Leonie hat Glück, denn die Tabletten wirken. Durch die neue Behandlung hat sich auch ihr Umgang mit der Immunerkrankung verändert und sie trägt immer seltener eine Perücke.
Man schaut in den Spiegel und für den Anfang, also am Anfang, war es super schwierig, sich selber zu erkennen. Da hat man sich wirklich erschrocken, wenn man beim Spiegel vorbeigelaufen ist. Aber man lernt, sich viel bewusster wahrzunehmen. Man lernt, viel offener mit sich selber umzugehen, nicht so gemein zu sich selber zu sein.
Wenn es weiterhin so gut läuft, nimmt Leonie noch etwa ein Jahr an der Studie teil. Danach muss sie die Tabletten absetzen und darauf hoffen, dass ihr Immunsystem dann wieder von alleine funktioniert.