Deutschland-Barometer Depression: 20 Monate dauert es, bis sich Menschen mit Depression Hilfe suchen
Depression machte aus Julian einen anderen Menschen: Er fühlte sich „wie ein Parasit der Gesellschaft“
Ein heftiger Schweißausbruch, Zittern am gesamten Körper und eine verschwommene Sicht: Julian Laschewski ist gerade einmal 26 Jahre alt, als er plötzlich beim Fernsehen eine Panikattacke bekommt. Woher sie kommt, weiß er nicht. Er schafft es zwar, sich zu beruhigen, aber fortan begleitet ihn nun die Angst, dass das noch einmal passieren kann. Ein Teufelskreis beginnt: Negative Gedanken bestimmen seinen Alltag und verstärken seine körperlichen Beschwerden, bis er nur noch auf der Couch liegen kann. „Ich war kein fähiges Mitglied der Gesellschaft mehr.“ Sein Hausarzt vermutet eine Depression, rät ihm irgendwann zum Therapeuten zu gehen. Doch die Suche nach einem Therapieplatz zieht Julian weiter runter: „Alle Plätze belegt“, heißt es, „kommen Sie in ein bis zwei Jahren wieder.“
Julians Geschichte ist kein Einzelfall. Das zeigt das 6. Deutschland-Barometer Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. So müssen Betroffene von Depression im Schnitt 10 Wochen auf ein Erstgespräch beim Psychotherapeuten warten, 8 Wochen im Schnitt bei Fachärzten. Durchschnittlich fünf Therapeuten mussten die Studienteilnehmer kontaktieren ehe sie einen Termin bekamen. „Bei einer so leidvollen Erkrankung wie der Depression, die zudem mit hoher Suizidgefährdung einhergeht, sind so lange Wartezeiten nicht akzeptabel“, sagt Prof. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention / Senckenberg-Professur an der Universität Frankfurt/Main.
Die Suche nach einem Therapieplatz bringt Julian an das Ende seiner Kräfte
Julian Laschewski findet am Ende nur mit Hilfe seiner heutigen Frau einen Therapeuten. Sie war es, die nach unzähligen Absagen weiter telefonierte, um ihren Partner zu unterstützen. „Sie war dann diejenige, die für mich da dran geblieben ist, die gemerkt hat, mir geht's so beschissen, ich schaff das nicht, jetzt immer noch weitere Anrufe zu tätigen, E-Mails zu schreiben und immer wieder diese negative Resonanz zu bekommen.“, schildert Laschewski rückblickend im Interview mit RTL. Mit viel Geduld findet seine Frau dann einen verständnisvollen Therapeuten- ein halbes Jahr nach seiner ersten Panikattacke kann er endlich in Behandlung gehen.
„Dass ein großer Teil der Betroffenen Monate oder sogar Jahre braucht, um sich Hilfe zu suchen, ist besorgniserregend“, sagt auch Hegerl. Die Zahlen seiner Studie zeigen ein erschreckendes Ausmaß: Nur ein Drittel aller Betroffenen kann sich aufraffen sofort Hilfe zu suchen. Bei 65% dauert es hingegen länger, bis sie professionelle Unterstützung in Anspruch genommen haben – im Schnitt nach 30 Monaten.
Therapie hilft Julian wieder zu funktionieren
Für die Therapie ist Julian Laschewski bis heute „unfassbar dankbar“. Sie half ihm, aus seiner Abwärtsspirale raus zu kommen. Vor der Therapie, so sagt er, war er nicht mehr fähig zu funktionieren. „Ich konnte meinen freundschaftlichen Verpflichtungen nicht nachkommen, meinen partnerschaftlichen Verpflichtungen nicht nachgehen. Ich konnte auch nicht mehr arbeiten“, erinnert er sich und schildert weiter: „Dadurch habe ich dann auch einen Selbsthass entwickelt und war dann sauer auf mich selbst und wusste nichts mit mir anzufangen. Und dann habe ich wirklich sehr schlimme negative Gedanken bekommen.“ Der junge Mann fühlt sich wie ein „Parasit der Gesellschaft“.

Erst die Therapie hilft ihm, sich selbst neu kennenzulernen. „Also ich glaube tatsächlich, dass ich eine 180 Grad Drehung machen konnte.“, so Laschewski. Der heute 34-jährige hat mit Hilfe der Therapie nicht nur gelernt, mit seinen schlechten Gedanken umzugehen, sondern auch positiv in die Zukunft zu schauen. Laut Barometer-Depression empfinden 85 Prozent der befragten Depressionspatienten eine Psychotherapie als wirksam, 80 Prozent erleben Medikamente als hilfreich.
Lesetipp: Depression erkennen mit WHO-5-Wohlfühltest
Julians Appell an die Gesellschaft: Passt besser aufeinander auf!
Für die Zukunft wünscht sich Julian Laschewski, dass die Hürde zwischen Therapiesuchenden und Therapieplatz sinkt. „Ich fände es schöner[…], wenn die (Zusammenführung) genau das Selbe wäre wie einfach zum Hausarzt zu gehen“, sagt er. „Das Wichtigste ist in jedem Fall, dass mentale Erkrankungen normalisiert werden und ein Platz in der Gesellschaft haben, dass sie eben nicht als etwas ganz Stigmatisiertes behandelt werden.“
Und auch an jeden einzelnen hat er eine Bitte: „Wir können den Menschen nicht in den Kopf gucken, aber wir können sie fragen, wie es ihnen geht. Wir können aufeinander- gerade auf gute Freunde- aufpassen und einfach mal anrufen.“, so Laschewski.
Informations- und Hilfsangebote für Menschen mit Depression
Wenn Sie Hilfe benötigen oder anderen helfen wollen, finden Sie Wissenswertes, Selbsttests und Adressen zu Depression unter www.deutsche-depressionshilfe.de. Telefonisch können Sie deutschlandweit das Info-Telefon Depression kostenfrei unter 0800 33 44 5 33 erreichen.
Außerdem:
• kostenfreies Online-Programm für Menschen mit leichteren Depressionsformen in 15
Sprachen (u.a. Ukrainisch und Arabisch): https://tool.ifightdepression.com
• fachlich moderierte Online-Foren zum Erfahrungsaustausch für Erwachsene
www.diskussionsforum-depression.de und junge Menschen ab 14 Jahren www.fideo.de
Lesetipp: Kinder und Depressionen - Wie Eltern helfen können