Scharfe Kritik an Staatsanwaltschaft
Gericht hebt Urteil auf: Erzieherin vom Missbrauchsvorwurf freigesprochen

Zu zwei Jahren auf Bewährung wird Inga K. im Januar vom Zwickauer Amtsgericht verurteilt. Wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, Misshandlung von Schutzbefohlenen und vorsätzlicher Körperverletzung. Die Taten sollen in einer Kneipp-Kita in Zwickau geschehen sein. Im Berufungsprozess am Donnerstag die überraschende Wende: Die Angeklagte wird von sämtlichen Tatvorwürfen freigesprochen. Das Urteil des Amtsgerichts sei damit aufgehoben, erklärt Altfrid Luthe vom Landgericht Zwickau im Interview mit RTL-Reporter Frank Vacik. Die Arbeit des Amtsgerichts und der Staatsanwaltschaft kritisiert er scharf.
Inga K. bestritt, Kita-Kinder sexuell missbraucht zu haben
Das Amtsgericht kam im Januar zu dem Schluss, dass Inga K. zwischen Juli und Oktober 2020 vier Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren missbraucht, ihnen unter anderem den Finger in den After eingeführt hatte. Zudem soll sie die Kinder immer wieder kalt abgeduscht, grob angefasst und angeschrien haben. Im Prozess bestritt sie die Vorwürfe vehement.
Am Dienstag sprang der Erzieherin ihre Bekannte Sandra S., die als Beobachterin am Berufungsprozess teilnahm, zur Seite. "Ich finde an den Vorwürfen gar nichts", sagte sie zu Frank Vacik. Man solle bedenken, dass die Kinder eine Kneipp-Einrichtung besuchen – da sei das kalte Abduschen normal. Sie habe Inga K., die seit 1993 in der Kneipp-Kita arbeitete, als freundlich und umgänglich erlebt.
Landgericht Zwickau: Mütter kannten vermeintliche Taten nur vom Hörensagen
Und tatsächlich: Das Berufungsgericht sieht keine Beweise für die Schuld der Kita-Erzieherin. Nach einer neuen Beweisaufnahme und der erneuten Vernehmung aller Zeugen sei das Landgericht zu einer anderen Beurteilung gelangt als das Amtsgericht, sagt Altfrid Luthe. Weil die Kinder "zu den einzelnen Tatvorwürfen keine belastbaren Angaben mehr machen konnten, weil sie sich nicht erinnern konnten oder die Aussage in einem anderen Licht erschien". Die Kinder seien teilweise lernverzögert und entwicklungsverzögert gewesen – "zum damaligen Zeitpunkt und heute immer noch". Das habe sich auch auf ihr sprachliches Ausdrucksvermögen ausgewirkt.
Die Aussagen der Mütter, deren Kita-Kinder vermeintlich missbraucht worden waren, bewerte das Gericht dem Sprecher zufolge als "nicht belastbar". Sie seien nur "Zeugen vom Hörensagen" und bei den vermeintlichen Taten nicht dabei gewesen. "Nur aus dem Verhalten der Kinder" hätten die Mütter geschlossen, "dass da etwas geschehen sein musste im Kindergarten". Letztlich habe das Gericht gesagt: "Nur die Mütter als Zeugen vom Hörensagen – das genügt uns nicht, um die Taten als bewiesen zu erachten." Hinzugekommen sei, dass ein Kind in einer polizeilichen Vernehmung "definitiv gesagt hatte: 'Da war nichts.'" Das Kind habe dies auf mehrfache Nachfrage wiederholt.
Eltern waren mit kalten Duschen in Kneipp-Kita "ausdrücklich einverstanden"
"Trotzdem hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben", beklagt Altfrid Luthe. "Auch dieser Umstand hat beim Berufungsgericht zu einer gewissen Verwunderung geführt." Der Vorsitzende Richter habe deshalb erklärt: "Es hätte eigentlich in dieser Sache gar keine Anklage erhoben werden dürfen."
Ob die Kinder tatsächlich kalt abgeduscht worden waren, konnte das Gericht dem Sprecher zufolge nicht feststellen. Selbst wenn es so stattgefunden hätte, sei der Kindergarten "in der besonderen Form einer Kneipp-Einrichtung" betrieben worden. Bekanntlich bestehe die Behandlungsmethode dort aus kalten Duschen und kalten Güssen. Dies sei auch Gegenstand des Aufnahmevertrages in der Kita gewesen. "Die Eltern waren damit ausdrücklich einverstanden", sagt Luthe. Daher habe das Gericht darin nichts Strafbares gesehen.
Sprecher: Amtsgericht widersprach sich mit Verurteilung der Kita-Erzieherin
Dass ein Kind einmalig nach dem Stuhlgang über Schmerzen klagte, könne auch darauf zurückzuführen sein, dass das Kind seinerzeit unter Verstopfung litt. Und die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs sei schon "aus Rechtsgründen" falsch gewesen. "Weil das Gericht widersprüchlich zu seiner eigenen rechtlichen Beurteilung festgestellt hatte, dass die Angeklagte auf gar keinen Fall die Kinder wegen irgendeiner sexuellen Erregung angefasst hatte." Soll heißen: Das Gericht verurteilte Inga K. wegen sexuellen Missbrauchs, obwohl es ein sexuelles Motiv zuvor ausgeschlossen hatte.
Inga K. ist freigesprochen worden. Die Folgen der Verurteilung durch das Amtsgericht dürften für sie aber noch lange Zeit spürbar sein.