Ursachen und HilfeWas hilft gegen Fingernägel-Kauen? Experten geben Tipps
Unbewusst wandert der Finger in den Mund, die Zähne knabbern an den Nägeln - dieses Ritual wiederholen Millionen Menschen tagtäglich und viele leiden darunter. Oft sind nicht nur die Fingernägel selbst betroffen: Manchmal wird auch noch die Nagelhaut mit abgekaut oder der Fingernagel wird fast bis auf die Lunula, die sogenannten Halbmonde, abgebissen. Durch die offenen, sensiblen Stellen kann es zu bakteriellen oder viralen Entzündungen kommen. Wie in dem Fall einer Frau aus Großbritannien, bei der das Nägel-Knabbern so extrem wurde, dass es zu einer Not-OP kam.
Aber warum kauen wir eigentlich Fingernägel und was kann man dagegen tun? Im Video gibt die Psychologin und Psychotherapeutin Julia Grote Betroffenen wichtige Tipps, wie sie dem zwanghaften Kauen endlich widerstehen können.
Warum ist es so schwer, mit dem Nägelkauen aufzuhören?
„Die meisten Leute, die Nägel kauen, die machen das ja seit mehreren Jahren oder Jahrzehnten“, erklärt Psychotherapeutin Julia Grote im RTL-Interview. Bei vielen Betroffenen sei irgendwann ein Punkt erreicht, an dem sie ihr eigenes Kauen nicht mehr wahrnehmen. „Das heißt: Bevor das Ganze nicht irgendwie negative Auswirkungen hat oder ich vom Umfeld darauf aufmerksam gemacht werde, merke ich es oft gar nicht. Und das macht es eben so schwer, das zu unterbrechen“, so die Expertin.
Hinzukomme, dass das Kauen häufig aus Problemsituationen entsteht und für Betroffene eine Funktion erfüllt – zum Beispiel, um Stressgefühle zu mindern. „Und die Funktion muss dann irgendwie ersetzt werden“, sagt Julia Grote.
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Nägelkauen tritt oft bereits in der Kindheit auf
„Nägelkauen tritt vielfach in der Kindheit auf und zieht sich durch bis ins Erwachsenenalter“, weiß auch Prof. Dr. Häßler. Er leitet die Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter in Rostock. Die Spuren des Beißdrangs sieht Häßler bei seinen täglichen Visiten: „Von den stationär Behandelten macht es fast jedes zehnte Kind.“ Nägelkauen sei zwar nie der einzige Therapiegrund, aber ein häufiges Begleitsymptom.
In den meisten Fällen beginnt diese Verhaltens- und emotionale Störung in der Kindheit. Die häufigsten Gründe für Fingernägel-Kauen sind laut Prof. Dr. Häßler:
großer Leistungs- und Entwicklungsdruck
negative Erlebnisse wie Elternstreit, Alkoholismus bei Eltern, Schockmomente oder psychische Traumata
Langeweile oder Nervosität
Grundsätzlich ist Onychophagie für Klein und Groß eine Form der Stressbewältigung. Es geschieht unbewusst, dient zur Spannungsabfuhr und versetzt die Betroffenen in eine Art Trancezustand. Das ist an sich nicht weiter schlimm. Zum Problem wird es erst, wenn sich das Knabbern zum Dauerzustand entwickelt.
Nägelkauen kann man vollständig abgewöhnen
Wann sollte man sich Sorgen machen und professionelle Hilfe gegen das Fingernägel-Kauen in Anspruch nehmen? Prof. Dr. Häßler unterscheidet drei Phasen:
Tritt Nägelkauen nur in geringfügiger Frequenz oder Ausmaß auf, besteht für Sie kein Handlungsbedarf.
Tritt es häufiger auf, aber die Person leidet nicht darunter, sollten Sie das Problem offen ansprechen und immer, wenn der Betroffene die Hände zum Mund führt, daran erinnern: „Das ist nicht schön, schau Dir das mal an!“ oder „Du kaust jetzt wieder!“
Leidet der Betroffene selbst unter seinem Zwang zu knabbern oder treten weitere Symptome auf (z.B.: Essstörungen, Schlafstörungen, Unlust), sollten Sie sofort professionelle Hilfe hinzuziehen. Helfen kann dann eine Verhaltenstherapie und Ursachenforschung.
Belohnungen führen zum größten Erfolg
Generell ist Fingernägel kauen nur eine Angewohnheit, die man nach Ansicht von Häßler vollständig abgewöhnen kann. „Wenn man rechtzeitig interveniert und konsequent eine gute Beziehung zum Kind hat, kann man das recht schnell beheben“, so Prof. Dr. Häßler. Trotzdem sei man auch vor Rückfällen als Erwachsener nicht gefeit.
Von Strafen und Abschreckung bei der Bekämpfung der Marotte rät Häßler ab. Nach seiner Ansicht führen Belohnungen zum größten Erfolg.
Hier ein paar Experten-Tipps:
Arbeiten Sie über das Belohnungs-System: Wenn über einen bestimmten Zeitraum an einem Nagel nicht gekaut wurde, gibt es ein Eis oder einen Kinobesuch. Denn positives Feedback erleichtert laut Prof. Dr. Häßler das Einhalten weiterer Ziele.
Auch eine tägliche Nagelpflege inklusive Maniküre kann dabei helfen, den Knabber-Impuls zu unterdrücken. Denn wer sich Mühe bei der Nagelpflege gibt, will anschließend das hübsche Endergebnis ungern zerstören.
Eine altbewährte Methode ist ein spezieller Nagellack aus bitteren Tinkturen aus der Apotheke, der regelmäßig auf die Nägel gepinselt wird. Die Tinkturen schmecken – wie der Name schon verrät – extrem bitter und ungenießbar. Der Nagelkauer soll so schnell die Lust verlieren, an seinen Nägeln zu knabbern.
Verhaltenstherapeuten raten zum sogenannten Habit Reversal Training. Dabei soll sich Betroffene erst einmal bewusst werden, in welchen Situationen sie kauen. Anschließend sollen sie überlegen, wie sie stattdessen auf Stress oder Nervosität reagieren könnten und sich diese Handlungsalternative antrainieren. Zum Beispiel kann man sich auf die Hände setzen oder die Faust ballen. Diese Handlungsalternative soll dann jedes Mal durchgeführt werden, denn der „Knabber-Impuls“ entsteht. Auf diese Weise ist es möglich, sich die lästige Gewohnheit Schritt für Schritt abzutrainieren.
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