Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenabhängigkeit erkennen
Therapeut verrät: So erkennen Sie die ersten Warnzeichen einer Sucht
Entertainer Willi Herren ist im Alter von nur 45 Jahren völlig überraschend verstorben. Noch sind die Hintergründe seines Todes unklar. Allerdings kämpfte Willi seit vielen Jahren gegen seine Drogen- und Alkoholsucht. Ende 2018 begab er sich deshalb in eine Therapie. Damals berichtete er: „Alkohol macht einen anderen Menschen aus mir“. Dass eine Abhängigkeit einen Menschen komplett verändern kann, bestätigt uns auch der Suchttherapeut Michael Schwind. Wir haben mit dem Experten, der 35 Jahre lang das Therapiedorf Villa Lilly leitete, darüber gesprochen, wieso Menschen einer Sucht verfallen, wie man Warnzeichen an sich und anderen erkennt – und wie man es schafft, von der Sucht loszukommen.
Inwiefern verändert eine Sucht die Persönlichkeit eines Menschen?
Süchtige stünden unter einem permanenten Zwang, sicherzustellen, dass sie ihr Suchtmittel in ausreichender Menge zur Verfügung haben, erklärt uns Michael Schwind. Häufig seien sie unsicher, hätten Angst, dass ihre Sucht von anderen entdeckt wird und wüssten oft nicht, was sie von sich preisgeben können und was nicht. "Ganz oft ist es so, dass Menschen, die eine Suchterkrankung haben, auch ein Problem mit ihrem Selbstwert haben. Ich weiß aus ganz vielen Therapien, dass Menschen, die suchtkrank sind und nicht im Suchtmittelkonsum stehen, kaum in der Lage sind, am Leben teilzunehmen."
Eine Persönlichkeitsveränderung sei aber auch schon bemerkbar, wenn aus dem berühmten Gläschen Wein am Abend drei oder vier werden. „Dann ist eine gewisse Betäubung gegeben und Sie haben es nicht mehr mit dem Menschen zu tun, der er oder sie eigentlich ist." Bei illegalen Drogen sei diese Persönlichkeitsveränderung sogar nochmal um einiges intensiver, so Schwind, weil auch deren Wirkung weitaus stärker sei.

Gibt es Menschen, die anfälliger für Süchte sind?
Es sei tatsächlich so, dass bestimmte Typen von Menschen häufiger Probleme mit Alkohol, Drogen und Co. haben als andere, berichtet uns Suchttherapeut Michael Schwind. Dazu zählten etwa Menschen, deren Eltern bereits mit Süchten zu kämpfen hatten, genau wie solche, die in ihrer Kindheit oder Adoleszenz nicht genug emotionale Unterstützung erfuhren. Bei ihnen sei die Gefahr, sich mit Suchmitteln zufriedenzustellen "ungemein groß", so die Erfahrung des Suchttherapeuten.
Häufig stecke auch mangelndes Selbstwertgefühl hinter einer Anfälligkeit für Süchte. "Wenn ich mich dann in eine Peergroup einfinde, in der konsumiert wird und ich dann auch mit konsumiere und ich feststelle: 'Jetzt gehöre ich dazu, jetzt habe ich eine Ansprechgruppe', dann fühle ich mich aufgewertet und gestärkt", erklärt uns Schwind.
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Sind Abhängigkeiten schwerer zu besiegen, je länger man mit ihnen gelebt hat?
Grundsätzlich hänge der nachhaltige Erfolg eines Entzugs nicht damit zusammen, wie lange ein Mensch vorher abhängig war, sagt Michael Schwind. „Ich habe mit Leuten gearbeitet, die ein Jahr abhängig waren und ich habe Leute gehabt, die 30 Jahr abhängig waren.“ Wichtig sei nicht, wie kurz oder lang man bereits abhängig ist, sondern eher, wie man den Entzug angeht. Man müsse den Absprung wirklich wollen und auch bereit sein, sich die dafür nötige Hilfe zu suchen. Häufig sei es auch unabdingbar, persönliche Probleme, die einer Drogensucht zugrunde liegen, mit therapeutischer Unterstützung aufzuarbeiten.
Hat man eine Drogensucht jemals wirklich "besiegt"?
„Wenn Sie nur einen Entzug machen, können Sie mit 70- bis 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es erneut zu einem Konsum kommen wird.“ Um die Chancen zu erhöhen, nach dem Entzug von Drogen, Alkohol oder Medikamenten langfristig clean zu bleiben, sei eine Psychotherapie unbedingt erforderlich, erklärt uns Michael Schwind. „Ohne die Erkenntnis, warum man eigentlich suchtkrank geworden ist, wird man es nicht schaffen.“
Auch nach 30 Jahren Abstinenz könne es passieren, dass Ereignisse im Leben ehemalige Suchterkrankte ins Wanken bringen – etwa Schicksalsschläge wie eine Scheidung. Auch dann sei es wichtig, sich Hilfe zu suchen, um die Krise zu überwinden, ohne rückfällig zu werden.
Was sind die ersten Warnsignale einer Abhängigkeit Alkohol-, Medikamenten- oder Drogensucht?
Warnsignale für ein sich anbahnendes Suchtproblem fangen schon bei scheinbar harmlosen Verhaltensweisen im Alltag an, erklärt uns Michael Schwind: "Wenn Sie morgens wach werden und schnell darüber nachdenken, ob abends, wenn Sie nach Hause kommen, noch genug Wein im Kühlschrank steht. Oder wenn Sie morgens zum Zähneputzen ins Bad kommen und nachschauen, ob noch genügend Tabletten da sind." Kommen körperliche Symptome wie Wahrnehmungsstörungen oder Schweißausbrüche während Konsumpausen hinzu, deute das bereits auf eine ausgeprägte Sucht hin, so der Experte.
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Ich vermute, dass jemand, der mir nahesteht, ein Suchtproblem hat: Wie verhalte ich mich?
Wichtig sei, die Person mit der Vermutung zu konfrontieren, sagt Suchttherapeut Schwind. „Berichten Sie der Person, was Sie wahrnehmen. Sagen Sie zum Beispiel: ‘Mir fällt auf, du trinkst nicht mehr nur ein Glas am Abend, sondern du MUSST jeden Abend etwas trinken.’“ Fragen Sie die Person, ob sie glaubt, dass an Ihrem Verhalten etwas nicht stimmt und ob sie glaubt, damit aufhören zu können. „Wenn Sie dann gemeinsam feststellen, dass Sie das nicht alleine lösen können, holen Sie sich professionelle Hilfe“, appelliert Michael Schwind.
Häufig reagierten Betroffene jedoch erst einmal abwehrend, so Schwind. „Dahinter steckt die große Angst, entdeckt zu werden und sich Gedanken machen zu müssen, was da eigentlich schief gelaufen ist.“ Was aber tun, wenn sich jemand absolut nicht eingestehen will, ein Suchtproblem zu haben? „Wenn Ihnen was an dem Menschen liegt, bleiben Sie ehrlich und bleiben Sie dran“, rät Schwind. „Denn wenn Sie nicht dranbleiben, können Sie ihn verlieren.“
Ich vermute, dass ich ein Suchtproblem habe: Was nun?
Wer sich Sorgen über seinen Umgang mit Alkohol, Drogen, Tabletten oder sonstigen Suchtmitteln macht, sollte sich in jedem Fall Hilfe suchen, rät Suchttherapeut Michael Schwind. Das könnten zunächst der Partner, ein Familienmitglied oder Freunde sein. Wichtig sei im zweiten Schritt jedoch zusätzlich eine neutrale Gesprächsperson, wie ein Psychotherapeut oder eine Suchtberatungsstelle.