50 Millionen EU-Bürger könnten mit ihm geimpft werdenEpidemiologe schätzt ein: Wie sicher ist der russische Corona-Impfstoff Sputnik V?

Russland gab bereits Mitte August 2020 mit Sputnik V den weltweit ersten Corona-Impfstoff für eine breite Anwendung in der Bevölkerung frei.
Russland gab bereits Mitte August 2020 mit Sputnik V den weltweit ersten Corona-Impfstoff für eine breite Anwendung in der Bevölkerung frei.
Majdi Fathi, Majdi Fathi/NurPhoto, Picture Alliance/dpa

Für Russlands Präsidenten Wladimir Putin ist der in seinem Land entwickelte Corona-Impfstoff der beste. Sputnik V ist zurzeit in 56 Ländern zugelassen und wird auch von der EU-Arzneimittelbehörde geprüft. Nach den Diskussionen um AstraZeneca gibt es mit Sputnik V einen weiteren Impfstoff, der spalten könnte. Der Grund: Er wurde in Russland bereits vor wichtigen Studien zugelassen. Fragen und Antworten zum Impfstoff, den die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gerade prüft. Wie gut und wie sicher ist der Impfstoff? Infektionsepidemiologe Prof. Timo Ulrichs ordnet ein.
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Wie funktioniert der Impfstoff?

Epidemiologe Prof. Timo Ulrichs im RTL-Interview
Epidemiologe Prof. Timo Ulrichs
RTL

Das vom staatlichen Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelte Vakzin ist ein sogenannter Vektorimpfstoff und damit dem Impfstoff von Astrazeneca ähnlich. Um die Informationen in den Körper zu schleusen, nutzen beide abgeschwächte, harmlose Viren. Ziel ist es, das Immunsystem dazu zu bringen, Abwehrreaktionen gegen Sars-CoV-2 hervorzurufen. Bei Kontakt mit dem Coronavirus ist der Körper dann vorbereitet und kann die Infektion besser eindämmen.

Verabreicht wird der russische Impfstoff in zwei Dosen im Abstand von 21 Tagen. Zu den Nebenwirkungen zählen Schmerzen an der Einstichstelle, Kopf- und Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit und teils grippeähnlichen Symptome. Zudem gibt es Berichte über Fieber und Schüttelfrost.

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Wie sicher ist aus heutiger Sicht der Impfstoff Sputnik V?

Keinerlei Bedenken hat Infektionsepidemiologe Prof. Timo Ulrichs beim russischen Impfstoff Sputnik V. „Der ist einfach gut, in der Qualität und Wirkung vergleichbar mit den anderen Vektor-basierten Impfstoffen“, sagt Ulrich im RTL-Interview. „Er hat in der Zweitimpfung sogar ein anderes Adeno-Virus verwendet, was dann die Impfreaktion gegen das Trägervirus noch einmal reduziert“, hebt er hervor. Es seien zwar nicht alle Daten zu Sputnik V bekannt, aber was veröffentlicht wurde, sei im Peer-Review-Verfahren geprüft. Eine Peer-Review ist ein Verfahren zur Qualitätssicherung einer wissenschaftlichen Arbeit oder eines Projektes durch unabhängige Gutachter aus dem gleichen Fachgebiet.

Die Phase III der Impfstoff-Testung sei zwar „behelfsmäßig im Feld durchgeführt“ worden, dadurch könne man jetzt auf einige Erfahrungswerte zurückgreifen – „allerdings nicht so ausführlich, wie das zum Beispiel für AstraZeneca vorliegt“, räumt der Ulrichs ein. „Das heißt, solche sehr seltenen Nebenwirkungen, wie zum Beispiel mit den Thrombosen bei Astrazeneca, das sieht man jetzt bei dem russischen Impfstoff noch nicht so. Das heißt, da fehlen uns noch Einblicke, Erfahrungswerte.“

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Welche Nebenwirkungen hat Sputnik V bislang?

Bisher ist nur bekannt, dass es die klassischen Nebenwirkungen gibt, so der Epidemiologe. Die gebe es „unmittelbar nach der Verimpfung, das Immunsystem springt auf den Impfstoff an, das ist aber auch erwartbar.“ Bisher seien noch keine weiteren Nebenwirkungen von Sputnik V bekannt, so Ulrichs.

Typische Beschwerden nach einer Impfung sind laut Robert-Koch-Institut Rötung, Schwellungen und Schmerzen an der Impfstelle, auch Allgemeinreaktionen wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und Unwohlsein sind möglich. Diese Reaktionen sind Ausdruck der erwünschten Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Impfstoff und klingen in der Regel nach wenigen Tagen komplett ab.

Wie kann die Qualität von Sputnik V für das Impfen in Deutschland gewährleistet werden?

Ulrichs verweist hier auf drei Mechanismen und Institutionen: Es gebe für die Produktion ganz strenge Regeln, die in der sogenannten Good Manufacturing Practice, abgekürzt GMP, hinterlegt seien. Nach diesen Standards werde produziert und regelmäßig kontrolliert. „Deswegen gibt es bei den Impfstoffdosen auch Chargennummern, damit man rückverfolgen kann, wo die hergestellt worden sind – und ob man da eventuell Fehler gemacht hat“, so Ulrichs.

Und dann gilt natürlich, dass alle Impfkommissionen, in Deutschland also die Stiko, „sehr genau überwacht, ob da irgendetwas auftritt“ - so sei es ja auch bei dem Astrazenaca-Impfstoff gewesen. „Da wird alles überprüft, was auch sehr wichtig ist, da man erst über die Langfristigkeit die ganzen Werte sammeln muss.“

Außerdem überprüfe die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA alles, was vorliegt, also sowohl die klassischen Daten, die innerhalb der klinischen Testung erhoben worden sind, als auch das, was an Nebenwirkungen bei den ersten Runden der Verimpfung gemeldet worden ist. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass der Impfstoff auch für die EU zugelassen werden wird“, so Ulrichs.

Wie gut ist Sputnik V?

In einer "Zwischen-Analyse" der wichtigen Testphase III mit rund 20000 Freiwilligen kamen russische Forscher auf eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent. Die Ergebnisse wurden Anfang Februar 2021 ebenfalls im medizinischen Fachblatt "The Lancet" publiziert. Sie decken sich mit früheren Angaben.

Eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent bedeutet, dass in der geimpften Gruppe 91,6 Prozent weniger Erkrankungen auftraten als in der Kontrollgruppe. Damit hat Sputnik V demnach eine in etwa gleiche Wirksamkeit wie die Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer und eine deutlich höhere als das Mittel von Astrazeneca. Nach Darstellung der Moskauer Behörden funktioniert Sputnik V auch bei der ansteckenderen Variante B.1.1.7. Der Impfschutz war 21 Tage nach der zweiten Impfung aufgebaut.

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Wie viel verkauft Russland davon und an wen?

Weltweit 56 Länder hätten Sputnik V zugelassen, wie der staatliche Direktinvestmentfonds RDIF mitteilt (Stand 24.3.). Dieser ist an der Finanzierung von Sputnik V beteiligt und kümmert sich um die Vermarktung des Impfstoffs.

In der EU ist das Präparat auch ohne Zulassung schon in Ungarn im Einsatz, die Slowakei, Tschechien und Österreich haben schon früh Interesse signalisiert - zur Sorge der EMA: Eine Vertreterin der EU-Arzneimittelbehörde warnte EU-Staaten, noch vor der EMA-Prüfung den russischen Impfstoff einzusetzen. Entscheidende Daten von Geimpften lägen nicht vor, sagte Christa Wirthumer-Hoche im ORF.

Das staatliche Arznei-Institut der Slowakei gab unterdessen kein grünes Licht für Sputnik, weil Russland angeblich zu wenig Daten geschickt hat. Doch Österreichs Regierung will das Vakzin demnächst trotzdem kaufen - und notfalls auch ohne EU-Zulassung einsetzen. In Tschechien hat die Sputnik-Frage schon für politischen Wirbel gesorgt: Der bisherige tschechische Gesundheitsminister wurde ersetzt. Er hatte sich gegen die klinische Erprobung und Einführung von Sputnik V gesperrt.

LESE-TIPP: EU-Arzneibehörde prüft russischen Impfstoff Sputnik V

Impfstoff soll für die EU auch in der EU produziert werden

Etwa ab Mitte des Jahres könnten in der EU 50 Millionen Menschen mit Sputnik V versorgt werden, wenn die EMA ihre Zustimmung gebe, erklärte RDIF-Chef Kirill Dmitrijew in Moskau. Dabei soll der russische Impfstoff für die EU auch gleich hier produziert werden. Dazu wurden laut Dmitrijew Produktionsvereinbarungen mit Firmen in Deutschland und anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien geschlossen. Der RDIF nennt weder die Namen dieser Unternehmen noch macht er klare Angaben zu den verkauften Mengen und den Vertragsbedingungen in den einzelnen Ländern.

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Wie ist in Russland der Stand beim Impfen?

Der Regierung in Moskau zufolge sind bislang erst fünf Millionen Russen geimpft, gerade einmal 5,58 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das ist im Vergleich zu vielen anderen Staaten wenig - vor allem angesichts dessen, dass Russland neben Sputnik V noch zwei weitere Corona-Impfstoffe entwickelt hat. Zuletzt hatte Russlands Gesundheitsminister Michail Muraschko eine Herdenimmunität in der russischen Bevölkerung bis Ende Juli angekündigt. Wie das gelingen soll, ist unklar. In der russischen Hauptstadt, wo sogar in der Oper oder im Einkaufszentrum geimpft wird, gibt es an jeder Ecke Appelle, sich doch endlich den Piks zu holen.

Wieso impft Russland nicht zuerst die eigenen Leute?

Das russische Gesundheitsministerium hat stets deutlich gemacht, dass zuerst die eigene Bevölkerung versorgt werden solle, bevor Sputnik V in den Export geht. Trotzdem berichten Staatsmedien in Moskau fast täglich über neue Länder als Abnehmer. Russland will damit sein Image in anderen Staaten verbessern. Viele Menschen im flächenmäßig größten Land der Erde ärgern sich, weil Sputnik V zwar ins Ausland, aber nicht zu ihnen in entlegene Regionen gelangt.

Hat Deutschland Erfahrungen mit russischen Impfstoffen?

Russland habe eine „ausgezeichnete Tradition“ bei der Herstellung und Anwendung von Impfstoffen, lobt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Zur Anwendung kamen diese auch in der DDR. Die Bürger mussten bis zur Volljährigkeit insgesamt 17 Pflichtimpfungen absolvieren, erklärt Historiker Malte Thießen. Ab den 1950er-Jahren seien die Impfstoffe zunächst von der Sowjetunion gekauft worden, später habe die DDR selber produziert - „allerdings nach sowjetischer Vorlage“.

Quelle: RTL/dpa

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Nachdem zunächst die Vakzine von Biontech und Moderna zugelassen wurden, hat die Europäische Kommission Ende Januar auch grünes Licht für den schwedisch-britischen Wirkstoff von AstraZeneca gegeben. Seit Mitte März ist noch ein vierter Impfstoff dazu gekommen – mit einer Besonderheit: denn der Wirkstoff von Johnson & Johnson braucht als einziger nur eine Dosis. Was die Impfstoffe können und wo die Unterschiede sind –eine Übersicht.