Ukraine-Präsident rechnet im Bundestag mit Deutschland ab
Selenskyj: Herr Scholz machen Sie Ihre Nachfahren stolz - reißen Sie diese Mauer in Europa nieder
Mitten im Krieg wendet sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an diesem Donnerstag mit einem direkten Appell an Deutschland. Der 44-jährige hat am Morgen in einer historischen Videoschalte vor dem versammelten Bundestag gesprochen. Es gibt dankende Worte für die Unterstützung Deutschlands, aber vor allem Kritik und eine Forderung. Selenskyjs Rede sehen Sie im Video.
Hier können Sie Selenskys historische Rede in voller Länge sehen:
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Ansprache verzögert sich durch Angriffe in Kiew
Der Ansprache des ukrainischen Präsidenten im Bundestag verzögert sich zunächst, wie die Vizepräsidentin des deutschen Bundestages Katrin Göring-Eckardt um kurz nach 9 Uhr ankündigt. Es habe einen Angriff in Kiew gegeben, in unmittelbarer Nähe des Präsidenten.
Als Selenkskyj schließlich auf dem großen Videoscreen vor den Mitgliedern des Bundestags erscheint, gibt es langen Applaus und Standing Ovations im gesamtem Saal.
„Ich spreche Sie an nach drei Wochen des allumfänglichen Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt. Nach acht Jahren Krieg im Osten meines Landes im Donbass.“ Selenskyj zählt die Opfer des Krieges auf aus den bombardierten Städten, in denen alles zerstört wurde: „Die Besatzer haben schon 108 Kinder getötet – inmitten Europas im Jahr 2022.“
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Scharfe Kritik an Deutschland: Wirtschaft wichtiger als die Ukraine
Was in Selenskyjs Rede aber vor allem vorkommt, ist Kritik. Die Kritik an Deutschland, Europa und der Welt, dass man es nach „zahlreichen Verhandlungen“ nicht geschafft hätte, diesen Krieg zu stoppen. Vor allem Deutschlands wirtschaftliche Verbindungen zu Russland kritisiert der Präsident scharf: Man habe gesehen „wie viele Verbindungen Ihre Konzerne noch mit Russland haben, mit einem Land, dass auch Sie und andere Länder dazu nutzt, um den Krieg zu finanzieren.“
Er vergleicht die Trennung zwischen der Ukraine und dem Rest des Westens mit einer Mauer. Einem Bild, was vor allen den Deutschen durch die Teilung des Landes bis 1989 noch gut im Gedächtnis sein sollte: „Wir sind durch eine Art Mauer von uns getrennt. Es ist keine Berliner Mauer, es ist eine Mauer in Mitten Europas zwischen Freiheit und Unfreiheit. Und diese Mauer wird größer mit jeder Bombe, die auf die Ukraine fällt, mit jeder nicht getroffenen Entscheidung für den Frieden, die uns helfen könnte.“
Geschäfte mit Russland und Projekte wie der Ostseepipeline „Nordstream 2“ seien ein „Mörser für die neue Mauer“ gewesen. Laut Selenskyj sei die Vorbereitung des Krieges seitens Russland absehbar gewesen und Deutschland habe trotzdem weggeschaut und wirtschaftlich weiter mit Russland zusammen gearbeitet.
Kritik von Selenskyj: USA näher dran als Europa
Auch die Weigerung des Westens, der Ukraine eine Mitgliedschaft in der Nato und der EU zu ermöglichen, habe weiter zur Isolation der Ukraine beigetragen. All das seien „Steine für die neue Mauer“. Zwar habe Deutschland wirtschaftlich nun seine Verbindungen zu Russland teilweise gekappt, aber laut Selenskyj wolle Deutschland immer noch nicht über „die Mauer gucken“.
Selenskyj beschreibt den Kriegsalltag der Menschen in der Ukraine, beispielsweise der Menschen in Mariupol, die ständig unter Beschuss sind und 24 Stunden am Tag ohne Trinkwasser und Strom leben müssen. Es werde alles zerstört, rund um die Uhr, erklärt Selenskyj. „Sie können das alles sehen, wenn Sie über diese Mauer schauen wollen.“
Er bekräftigte seine Forderung nach einer Flugverbotszone, auch um eine Luftbrücke – analog zur Luftbrücke in Berlin im zweiten Weltkrieg – zur Evakuierung von Zivilisten aus umkämpften Städten wie Mariupol einzurichten.
„In Europa wird ein Volk vernichtet,“ so drückt es Selenskyj klar aus. Er könne nicht verstehen, wie „ein Land, das über den Ozean liegt“, näher an der Ukraine sei als europäische Länder. Damit spielt er auf die Unterstützung der USA an.
Im Video: Langer Beifall für Selenskyj
Appell an Scholz: "Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die sie verdient"
Selenskyj bedankt sich aber auch für die Unterstützung Deutschlands. „Ich bin denjenigen dankbar, die über Mauern schauen können“. Er sei sehr dankbar für alle Unterstützerinnen und Unterstützer, „einfache Deutsche“, Journalistinnen und Journalisten, die über den Krieg berichten und „die deutschen Firmen, die Moral über den Profit gestellt haben“.
Ohne Hilfe sei es schwierig für die Ukraine. Deutschland habe laut Selenskyj eine historische Verantwortung. Und damit wendet er sich auch an den Bundeskanzler direkt. Scholz müsse seine Nachfahren stolz machen: „Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, zerstören Sie diese Mauer. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die sie verdient.“ (khe)
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