Jede vierte Frau wird Opfer - Tendenz steigend

Lars und Dirk haben ihre Frauen misshandelt - jetzt wollen sie raus aus der Gewaltspirale

Häusliche Gewalt hat viele Gesichter und kommt in allen sozialen Schichten vor – und das meist im Verborgenen, hinter verschlossenen Türen. Auch Dirk* und Lars* haben in der Vergangenheit die Kontrolle über ihr Handeln verloren – sind ihren Frauen gegenüber gewalttätig geworden. Durch ein besonderes Training wollen sie der Gewaltspirale entkommen. Reporterin Lena Wendt hat mit ihnen und ihrer Antigewalt-Trainerin gesprochen – welche Fortschritte die beiden Männer bereits gemacht haben, sehen Sie im Video.

Körperliche Gewalt ist nur eine Facette

Jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder ihren früheren Partner, sagt eine Statistik des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Als häusliche Gewalt werden Gewalttaten zwischen Menschen, die in einer häuslichen Gemeinschaft leben oder lebten, beispielsweise in einer Ehe, Lebenspartnerschaft oder intimen Beziehung, definiert. Und dazu zählen nicht nur Schläge, denn körperliche Gewalt ist nur eine Facette. Betroffene sind häufig auch psychischer Gewalt wie Demütigungen, Drohungen, Einschüchterungen, sozialer Isolation oder wirtschaftlichem Druck durch den Täter oder die Täterin ausgesetzt, informiert das Ministerium.

Lese-Tipp: Neues Gesetz soll Frauen besser vor häuslicher Gewalt schützen

Und die Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt steigt: allein seit 2019 um 4,4 Prozent auf mehr als 148.000 Fälle. Doch nicht alle Taten werden angezeigt, es gibt eine hohe Dunkelziffer, befürchten Experten. Der Corona-Lockdown hat die Situation zusätzlich verschärft.

Teilnehmer aus allen sozialen Schichten

Und diese Formen der Gewalt haben nichts mit Herkunft, Bildung und Einkommen zu tun, weiß auch Imke Peters. Sie leitet seit März letzten Jahres in Lüneburg das Anti-Gewalt-Training für Männer. "Es ist so, dass die Teilnehmer aus allen sozialen Schichten kommen", erzählt sie gegenüber RTL. "Wir haben da jetzt nicht den Mann, der bei uns ins Training kommt, wo man sagen kann, das wiederholt sich von der sozialen Schicht her, vom Bildungsgrad oder sonst was - also es ist bunt gemischt, unsere Gruppe."

Lese-Tipp: Faeser zu häuslicher Gewalt – „Femizide nicht verharmlosen“

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Hilfe schon annehmen, bevor es zu Gewalt kommt

Gibt es in ihren Augen einen Punkt, ab wann sich Männer Hilfe suchen sollten? "Es muss nicht erst zur körperlichen Gewalt kommen", sagt Peters uns. "Wenn die Männer ihre Partnerin bedrohen und es lauter wird in den Konflikten, dann schon haben die Männer die Möglichkeit, zu uns zu kommen und die Hilfe in Anspruch zu nehmen."

Schon da komme der Moment, wo Männer sagen können: Ich lasse mir jetzt helfen, weil ich merke, ich werde angespannter, ich habe schon die Gedanken an körperlicher Gewalt. "So weit muss es nicht kommen", sagt die Trainerin. "Also auch schon bei der psychischen Gewalt."

Imke Peters leitet ein Anti-Gewalt-Training in Lüneburg. Sie sagt: Hilfe können sich Betroffene schon holen, bevor es zu Gewalt kommt.
Imke Peters leitet ein Anti-Gewalt-Training in Lüneburg. Sie sagt: Hilfe können sich Betroffene schon holen, bevor es zu Gewalt kommt.
RTL NEWS, RTL, RTL NEWS

Männer können sich öffnen und gegenseitig unterstützen

Viele Männer würden bereits nach der ersten Sitzung sagen: Das war total gut, ich hätte nicht gedacht, dass ich mich hier so öffnen kann. "Hier haben die Männer die Möglichkeit, sich darüber auszutauschen, was im privaten Umfeld schambehaftet und tabuisiert ist", erzählt die Trainerin.

Die Männer können in den Sitzungen voneinander lernen: Welche Möglichkeiten, welches Handwerkszeug haben die anderen Gruppenmitglieder sich schon geschaffen, um damit besser umzugehen? "Man hat also Leute, mit denen man sich austauschen kann, die auch schon Ähnliches erlebt haben", berichtet Peters. "Also das wird eigentlich durchweg positiv aufgenommen, dass wir in einer Gruppe arbeiten."

Lese-Tipp: Körperliche oder seelische Gewalt sowie Vernachlässigung bei Kindern auf neuem Höchststand

Anruf bei der Polizei darf kein Tabu mehr sein

Für Peters ist das Thema aber auch eine gesellschaftliche Aufgabe. "Es ist ein Thema, das einfach jeden betrifft, da muss auch die Gesellschaft eintreten, der Nachbar, die Freundin", sagt sie.

Wenn Außenstehende etwas mitbekommen, dann sollte es kein Tabu mehr sein, die Polizei zu rufen. Denn die Zahlen seien hoch, es gebe viele Betroffene von häuslicher Gewalt. "Es ist einfach wichtig, dass das Thema in der Gesellschaft noch mehr platziert wird, dass es präsenter wird." (ija)

* Namen von der Redaktion geändert

Häusliche Gewalt: Hier finden Opfer Hilfe!

Immer mehr Deutsche werden im scheinbaren Schutz des eigenen Heims geschlagen und missbraucht. Bei welchen Anlaufstellen Opfer und Angehörige Hilfe finden, erfahren Sie hier.