"Traurig und sauer, weil unsere Arbeit nicht geschätzt wird"

Kundin will 35 Euro Lohn für Azubi nicht zahlen - Dachdeckerin platzt der Kragen

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Nach Ansicht der Kundin sei der Dachdecker-Azubi keine 35 Euro wert. (Symbolbild)
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von Henrik Zinn

Ist so eine Reaktion der Grund für den Azubimangel?
Dachdecker-Meisterin Joana Wegner aus Loxstedt (Niedersachsen) kann sich eigentlich nicht beschweren: Die Auftragsbücher sind voll und die Stimmung in ihrem Team könnte nicht besser sein. Doch eine ihrer Kundinnen ändert die Gemütslage schlagartig. Der Grund: Sie will die Arbeit des Azubis nicht bezahlen.

Dachdecker wegen Leck im Dach gerufen

Im August werden Joana Wegner und ihr Team beauftragt, ein Leck im Dach einer Kundin ausfindig zu machen und zu reparieren – eigentlich ein normaler Auftrag wie jeder andere auch. Die 33-Jährige schickt einen ihrer Gesellen auf die Baustelle, unterstützt wird er von einem Auszubildenden. „Bei den Dachdeckern ist es ja so, dass wir die Mitarbeiter gar nicht alleine losschicken dürfen. Die müssen zu zweit arbeiten, aus Sicherheitsgründen. Einer muss zum Beispiel die Leiter gegen Wegrutschen sichern“, erzählt Joana Wegner im Gespräch mit RTL.

Die logische Konsequenz: Wenn zwei Menschen arbeiten, müssen auch zwei Menschen bezahlt werden. Das scheint die Auftraggeberin aber anders zu sehen.

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Dachdecker-Meisterin: "Die Azubis werden nicht respektiert"

Als Joana Wegner der Frau die Rechnung ausstellt, flattert prompt eine überraschende Antwort ins Haus. Der Azubi hätte nur herumgestanden und zugeguckt. Angepackt habe er nicht. Dafür würde sie die fälligen 35 Euro nicht bezahlen, heißt es. Eine Rückmeldung, mit der die Meisterin niemals gerechnet hätte und die sie schockiert. „Mir persönlich geht es nicht um die 35 Euro. Es geht grundsätzlich darum, dass diese Reaktion der Kundin zeigt, dass man als Handwerker oder Auszubildender im Handwerk nicht so richtig anerkannt und wertgeschätzt wird. Die Tatsache, dass man für eine handwerkliche Ausbildung nicht bezahlen will, gibt mir das Gefühl, dass die Azubis nicht so respektiert werden wie zum Beispiel jemand, der studiert hat. Da ist man einfach traurig und sauer, weil man Arbeit, Zeit und Herzblut in jeden Auftrag steckt. Auf dem Bau lernt man definitiv am besten“.

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Trotz des Aufregers entscheidet sich die Handwerkerin dazu, der Kundin die Lohnkosten zu erlassen – mit weiser Voraussicht. „Einfach weil mir meine Zeit und meine Nerven zu schade dafür waren, mich damit weiter auseinanderzusetzen. Weiter zu streiten, wegen 35 Euro“, so Wegner.

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Meisterin schickt die Kündigung - und erhält Zuspruch von allen Seiten

Stattdessen entscheidet sie sich für einen unkonventionellen Weg, denn die Art der Respektlosigkeit will sie weder auf sich, auf ihrem Unternehmen noch auf ihrem Azubi sitzen lassen. Sie schreibt der Frau einen empörten Brief – und kündigt ihr. Das Schreiben teilt sie in den sozialen Netzwerken und erhält für ihre Konsequenz viel Zuspruch.

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Fachkräftemangel kann man nur mit gescheiter Ausbildung begegnen

„Ich habe ganz viel Zuspruch bekommen, ich habe auch viele persönliche E-Mails und Anrufe bekommen. Das Feedback war sehr positiv“, freut sich die Dachdecker-Meisterin. Auch mit der Reichweite des Beitrages hofft sie, etwas erreichen zu können. Inzwischen wurde ihr Post auf Facebook schon über 5.000-mal geteilt.

Es geht ihr aber nicht darum, die eine spezifische Kundin zur Rechenschaft zu ziehen. Vielmehr soll die Gesellschaft für das Handwerk sensibilisiert werden und die Arbeit künftig wertschätzen. „Ich stehe einfach zu unserer Ausbildung. Wir teilen unsere Mitarbeiter immer so ein, dass der Geselle mit einem Auszubildenden fährt, natürlich, um im Endeffekt weiterhin Fachkräfte zu haben. Ich bin nicht bereit, meine Auszubildenden, die jeden Tag motiviert zur Arbeit kommen, irgendwo kostenlos arbeiten zu lassen.“

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"Können stolz auf duales Ausbildungssystem sein"

Vor allem in Zeiten prall gefüllter Auftragsbücher und der überfälligen Energiewende, die ohne das Handwerk nicht zu schaffen sei, könne sie den vermeidlich schlechten Ruf nicht verstehen. „Ich glaube, das Handwerk bei uns wird schlechter gesehen, als es ist. Ich vertrete unsere Innung und sehe auf Messen häufiger, dass Eltern ihren Kindern von der Ausbildung abraten und meinen, sie sollen doch lieber noch weiter zur Schule gehen und anschließend studieren. Dabei können wir in Deutschland stolz auf das duale Ausbildungssystems sein“, sagt sie weiter.

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Joana Wegner hofft, dass dieser Einzelfall ein Weckruf sein und die gesellschaftliche Position des gesamten Handwerks nachhaltig stärken kann.