Frauenärztin erklärt: Was passiert da eigentlich?Hilfe, Pubertät! Was Mädchen-Eltern wissen sollten

Erinnert ihr euch noch an eure Pubertät?
Ich erinnere mich nur allzu gut daran, dass ich mich an einem Tag unglaublich erwachsen fühlte und es kaum erwarten konnte, das Leben am Schopf zu packen und am nächsten Tag dagegen völlig überfordert. „Nicht Fisch, nicht Fleisch“ ist eine Redewendung, die diese Lebensphase im Grunde gut beschreibt – irgendwie kein richtiges Kind mehr, aber eben auch noch nicht wirklich erwachsen. Von unseren Eltern oder überhaupt Erwachsenen allgemein haben wir uns meist nicht richtig verstanden gefühlt. All die Regeln und Verbote kamen uns ungerecht vor und wir hatten oft das Gefühl, überhaupt nicht ernst genommen zu werden.
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Jetzt sind viele von uns selbst Eltern und haben aufgrund der eigenen Erfahrungen einen großen Wunsch: Die eigenen Kinder gut und sicher durch die Pubertät zu begleiten! Mich suchen häufig Eltern in der Praxis auf, die diesen Wunsch ebenfalls hegen. Sie möchten ihren Töchtern während dieser aufregenden, aber auch anstrengenden Lebensphase bestmöglich zur Seite stehen.
Damit ihnen das gelingt, spreche ich meist als Erstes mit ihnen über die wichtigsten Eckpunkte dieser Zeit, vor allem über die Veränderungen im Körper und der Seele ihrer Mädchen. Dieses Verständnis hilft ihnen, das Verhalten ihrer Kinder besser nachvollziehen und sie dadurch besser unterstützen zu können.
1. Die Pubertät: Was ist das eigentlich genau?
Die Bezeichnung „Pubertät“ leitet sich von dem lateinischen Begriff „pubertas“ ab, der so viel wie „Geschlechtsreife“ bedeutet. Ganz grob gesagt, erstreckt sich diese Lebensphase bei Mädchen vom zehnten bis zum 16. Lebensjahr. Jungen kommen übrigens etwa zwei Jahre später in die Pubertät. Die Brust beginnt mit etwa zehneinhalb Jahren an, zu wachsen; die erste Menstruation haben die Mädchen in der Regel zwischen 12 und 13 Jahren. Das ist früher als in den Generationen zuvor. Die Gründe dafür sind vielfältig: Einerseits wird vermutet, dass Kinder insgesamt früher mit Umweltgiften in Berührung kommen, die Hormone enthalten, weswegen sich ihre Entwicklung beschleunigt. Andererseits sind Kinder heutzutage häufiger übergewichtet. Fettgewebe produziert Hormone, welche wiederum dafür sorgen, dass die Intimbehaarung früher sprießt und auch das Brustwachstum und die Menstruation früher einsetzen.
Die körperliche Entwicklung ist für Außenstehende natürlich gut sichtbar. Was jedoch im Verborgenen geschieht, aber eine mindestens genauso große Bedeutung für die Entwicklung hat, ist die Umstrukturierung des jugendlichen Gehirns in dieser Zeit.
Im Video: Sex schon bei Neunjährigen ein Thema?
2. Das jugendliche Gehirn - eine Baustelle
Dass das jugendliche Gehirn im wahrsten Sinne des Wortes einer Baustelle gleicht, wissen wir noch gar nicht so lange. Früher galten Teenies schlicht als zickig, launisch und gar nicht so selten auch als „nicht zurechnungsfähig“. Die Hintergründe wurden kaum hinterfragt. Dabei sind sie wahnsinnig spannend! Die Hirnforschung hat nämlich herausgefunden, dass sich das Gehirn während der Pubertät in vielen Bereichen komplett umstrukturiert. Die Zusammensetzung der Hirnsubstanz ändert sich und verschiedene Hirnareale werden neu miteinander verknüpft.
Was allerdings besonders beeindruckend ist, ist das unterschiedliche Tempo der Umstrukturierung: Der Frontal- oder auch Stirnlappen, der für die Impulskontrolle verantwortlich ist, ist in seiner Entwicklung besonders langsam und funktioniert noch lange sehr kindlich. Das ist der Grund dafür, warum Jugendliche in dieser Zeit ihre Handlungen, Gefühle und Ausdrucksweisen so schwer kontrollieren können.
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Erschwerend kommt hinzu, dass sich zudem der zerebrale Dopaminstoffwechsel verändert. Dopamin ist ein Botenstoff, der Glücksgefühle und Befriedigung auslöst. In der Pubertät braucht das Gehirn allerdings mehr Dopamin, um das Belohnungszentrum zufriedenzustellen. Deshalb sind die Jugendlichen ständig auf der Suche nach dem nächsten Kick.
Das Problem: Der Stirnlappen, der hinterherhängt, und auch für die realistische Einschätzung von Gefahren zuständig ist. Also eigentlich kein Wunder, dass die Teenies immer wieder in Situationen kommen, über die wir Eltern nur den Kopf schütteln können. Und oft selbst völlig verunsichert sind!
Die vier Bausteine, die euch dabei helfen, für eure „Pubertiere“ da zu sein
Es ist kein Geheimnis, dass unsere Kinder uns während ihrer Pubertät oft an den Rande des Wahnsinns treiben. Konflikte, Auseinandersetzungen und eine schlechte Stimmung sind in dieser Zeit bei vielen Familien an der Tagesordnung. Wir Eltern fühlen uns häufig abgelehnt und schlecht behandelt. Das verletzt uns nicht nur, sondern macht uns oft richtig wütend.
Erkläre ich den Eltern in meiner Praxis, warum sich ihre Töchter so verhalten, wie sie sich gerade verhalten, soll das natürlich keine Entschuldigung oder gar ein „Freifahrtschein“ sein. Es geht vielmehr darum, dass die Eltern verstehen, dass es sich bei der Pubertät um einen natürlichen und von der Natur gewollten Prozess handelt – und das Benehmen ihrer Töchter erst einmal gar nichts mit ihnen persönlich zu tun hat.
Gemeinsam erarbeiten wir dann vier Bausteine, die ihnen dabei helfen, ruhig und entspannt mit ihren pubertierenden Töchtern umzugehen:
Verständnis: Der erste Schritt ist schon getan: Die Eltern können nachvollziehen, welche Veränderungen gerade bei ihren Töchtern vor sich gehen. Dinge, die wir verstehen, sind nicht mehr ganz so unheimlich; wir können besser mit ihnen umgehen. Vor allem hilft es, Verhaltensweisen nicht persönlich zu nehmen und weniger emotional auf sie zu reagieren.
Sicheres Gegenüber: Allein die Hirnentwicklung zeigt uns ganz klar: Unsere Kinder brauchen uns – auch wenn sie uns vermitteln, dass dem nicht so ist. Sie brauchen Regeln, die dafür sorgen, dass sie sich in einem sicheren Rahmen bewegen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns als Eltern nicht beirren lassen und nach wie vor klare Vorgaben machen. Natürlich müssen wir dann aushalten, dass unsere Kinder sich an uns reiben. Aber auch das ist völlig normal – und sogar notwendig.
Loslassen: Auch wenn es uns schwerfällt: Es liegt an uns Eltern, unseren Kindern mit den Jahren mehr Freiräume zu geben. Zwar immer in einem geschützten Rahmen, aber wir uns mehr und mehr im Loslassen üben. Das schafft Vertrauen auf beiden Seiten.
Da sein: Etwas, was für viele Eltern – verständlicherweise – sehr schwer zu ertragen ist, ist den Schmerz und die Enttäuschung ihrer Kinder auszuhalten. Wir wollen sie natürlich beschützen und vor allem Unheil bewahren. Das ist aber schlicht nicht möglich. Außerdem würde ihnen das nicht helfen, zu eigenständigen und verantwortungsvollen Erwachsenen heranzureifen. Deshalb: Bei Liebeskummer, Streit und Misserfolgen einfach da sei – ohne Bewertung und Vorwürfe, aber als sicherer Hafen.