Ganz ohne "Erpessung"

Wie wir unsere Kinder dazu kriegen, ihr Zimmer aufzuräumen - Expertin gibt Tipps für jedes Alter

Mädchen sitzt in ihrem unordentlichen Kinderzimmer
Kaum ein Thema birgt so viel Streitpotenzial zwischen Eltern und Kindern: Zimmer aufräumen.
Mark Rose, iStockphoto

Es ist ein leidiges Thema, das sicher alle Eltern kennen: Kinderzimmer aufräumen! Viele versuchen in ihrer Verzweiflung, ihre Kinder mit Belohnungen – oder auch Bestrafungen – zum Ordnung halten zu bekommen. Sätze wie „Wenn du dein Zimmer nicht aufräumst, darfst du dich nicht mit deinen Freunden treffen“ haben vermutlich viele Eltern schon mal gesagt. Aber geht das auch ohne „Erpressung“? Familienberaterin Ruth Marquardt erklärt, wie es je nach Alter des Kindes und sogar ohne Wenn-dann-Formulierung klappt.

Das Problem mit den Wenn-dann-Sätzen

„Wenn du dein Zimmer nicht aufräumst, dann…“ – Formulierungen wie diese kennt vermutlich jeder aus seiner eigenen Kindheit oder hat sie selbst schon bei seinen Kinder angewendet. An sich sind diese Sätze auch kein großes Problem – sofern eine logische Konsequenz auf das „dann“ folgt, erklärt Familienberaterin Ruth Marquardt im Interview.

Formulierungen für logische Konsequenzen sind zum Beispiel:

  • „Wenn du jetzt noch weiter trödelst, kommen wir später zum Geburtstag von Jan. Dann hast du dort weniger Zeit zum Spielen.“

  • Alternativ erklären Sie Ihrem Kind: „Wenn wir jetzt viel Zeit zum Aufräumen brauchen, dann hat Papa nachher weniger Zeit, um aus dem Buch vorzulesen. Was ist dir lieber?“ Tipp der Expertin: Lassen Sie Ihrem Kind die Wahl. Geben Sie ihm die Möglichkeit zu lernen, selbst darüber nachzudenken.

Lese-Tipp: „Wenn du dein Zimmer nicht aufräumst, dann…“ – was emotionale Erpressung bei Kindern anrichten kann

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"Wir dressieren unser Kind wie einen Hund"

Problematisch werde es hingegen, wenn auf das „dann“ eine scheinbare Belohnung oder Bestrafung folge. Sätze wie „Wenn du dein Zimmer aufräumst, darfst du dich mit deinen Freunden treffen“ wirken erstmal positiv.

Der Satz sieht aus wie eine Belohnung. Aber auch das wird heutzutage als wirklich gutes Mittel wissenschaftlich infrage gestellt“, erklärt Marquardt. Bestrafung und Belohnung seien zwei Seiten derselben Medaille. „Wir dressieren unser Kind wie einen Hund.“

Das Problem: Solche Formulierungen schaffen möglicherweise kurzfristig eine Reaktion in Richtung eines gewünschten Verhaltens, brauchen aber mit jeder weiteren Belohnung oder Bestrafung mehr Druck und eine Steigerung, erklärt Marquardt.

Besser sei es, die Eigenmotivation unserer Kinder über Einsicht, Verstehen und eigene Begeisterung zu unterstützen und ihnen logische Konsequenzen aufzuzeigen, so die Expertin. Das könne mitunter auch anstrengend sein und Zeit kosten – zahle sich aber langfristig aus.

Und wie bekommen wir nun unsere Kinder dazu, ihre Zimmer aufzuräumen – und das ohne Belohnung oder Bestrafung?

"Räum dein Zimmer auf.... sofort!"

Kinder verstehen oft den Zeitdruck von uns Erwachsenen nicht, erklärt Marquardt. Gerade im Alter von unter zehn Jahren. Was dahinterstecke: Kinder leben im Augenblick. Zeit hingegen sei etwas, das für sie oft nicht zu gelten scheine. „Sie verlieren sich im Spiel, haben ihren eigenen Rhythmus für Lernen und Entwicklung“, so die Familienberaterin.

Anders sehe es bei Erwachsenen aus: Sie stehen oft unter Zeitdruck, um ihren Alltag mit all seinen Herausforderungen zu bewältigen, müssen pünktlich beim Job oder nächsten Termin sein. „Stress und Streit zwischen Eltern und Kindern entsteht genau an dieser Schnittstelle: Den erwachsenen gesellschaftlichen Anforderungen und den tatsächlichen Bedürfnissen von Kindern“, weiß Marquardt.

Wie wir das zusammenbringen können? Das hänge der Familienberaterin zufolge unter anderem vom Alter des Kindes ab.

Lese-Tipp: Kann ich meinem Kind zumuten, Einzelkind zu bleiben?

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Zimmer aufräumen - bei Kindern unter zehn Jahren:

  • Räumen Sie das Zimmer gemeinsam mit Ihrem Kind auf! Allerdings: „Nicht, wenn Sie gerade selbst im Stress sind, sondern in einem Moment, den Sie sich bewusst nehmen“, rät die Expertin. Ohne zeitlichen Druck habe man die Möglichkeit, eine Aufgabe wie das Aufräumen eher spielerisch anzugehen und gemeinsam Spaß an der Ordnung zu finden.

  • Überlegen sie gemeinsam, wo was einen guten Platz finden könnte – gerne auch in Form eines Spiels. Das funktioniere vor allem bei kleineren Kindern gut, so Marquardt. Zum Beispiel: Wer hat die meisten Teile weggeräumt? „Seien Sie kreativ! Fragen Sie Ihr Kind. Beziehen Sie es mit ein.“ Denn: Unser menschliches Gehirn lerne über Freude, Begeisterung und Liebe. Strafe und Druck führen hingegen in aller Regel zu Gegendruck. Die natürliche Folge: Rebellion und Streit im Kinderzimmer!

Zimmer aufräumen - bei Kindern und Jugendlichen in der Pubertät:

  • Bei älteren Kindern in der Pubertät empfiehlt Marquardt hingegen: „Das Jugendzimmer DARF furchtbar aussehen!“ Warum die Familienberaterin hier so tolerant ist? Langsam werde aus einem Kind ein junger Erwachsener – und da gehöre auch eine chaotische Übergangsphase zum Erwachsenwerden dazu.

  • Wie man das Chaos als Eltern ertragen soll? Marquardt rät hier: „Schließen Sie die Tür. Räumen Sie nichts mehr selbst auf. Atmen Sie ein und atmen Sie aus.“ Der Impuls für Ordnung werde mit der Zeit von selbst einsetzen, weiß die Expertin aus eigener Erfahrung. Denn: „Irgendwann kommen Freunde nach Hause – und es wird einen Punkt geben, an dem es für Freunde oder Postings auf Social Media peinlich ist, wenn der eigene Raum furchtbar aussieht!“

  • Das Konzept dahinter: Für allgemeine Räume wie Wohnzimmer, Küche und Co. gelten Regeln, an die sich alle halten und jeder dazu beiträgt, dass diese Räume aufgeräumt bleiben. Im Kinderzimmer dürfe es aber aussehen, wie es will.

  • Das Kind soll so lernen: „Die Privatsphäre des Kindes darf seine Privatsphäre sein – allerdings mit allem, was dazu gehört.“ Das bedeute laut Marquardt auch: Hier bin ich zuständig. Das ist mein sicherer Raum, in dem ich lebe – aber auch Verantwortung habe.