Das sagen Experten
Steigende Zahlen und neue Varianten: Droht uns ein Corona-Herbst?

Die Corona-Zahlen steigen wieder – seit Wochen nehmen die Fälle zu.
Dazu kommt: Mehrere neue Virusvarianten sind auf dem Vormarsch. Was bedeutet das für den Herbst? Könnte es tatsächlich noch einmal eine Welle geben? Was Experten sagen und worauf jeder von uns jetzt achten sollte, lesen Sie hier.
Wie ist die aktuelle Situation?
Vorweg: Fachleute sehen immer noch eine sehr breite Grundimmunität aus Impfungen und Infektionen in Deutschland. Das heißt aber nicht, dass man sich nicht mehr anstecken kann. Sondern, dass man als grundsätzlich gesunder Mensch in der Regel nicht mehr so schwer erkrankt, dass man in eine Klinik oder gar auf die Intensivstation muss.
Seit etwa sechs Wochen steigt laut Robert Koch-Institut (RKI) die Zahl der im Labor bestätigten Corona-Fälle. In der vergangenen Woche waren es knapp 4.000 Fälle bundesweit. Das Niveau ist somit sehr niedrig, aber auch kaum mehr direkt vergleichbar mit Werten aus der Pandemie, als viel häufiger getestet wurde. Für Experten ist klar, dass es eine hohe Dunkelziffer an Infizierten gibt.
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„Wir sehen kaum noch Covid-Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen, allerdings gab es in den letzten Monaten auch kaum nennenswerte Infektionen in der Bevölkerung“, sagt der Intensivmediziner Christian Karagiannidis. Die Patientenzahlen seien überhaupt nicht vergleichbar mit Spitzenwerten aus Pandemiezeiten.
„Für Panik gibt es gerade keinen Grund, wir haben es eigentlich geschafft. Wir sind in der endemischen Phase“, sagt Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. „Aber wir sind immer noch nicht auf dem Schnupfen-Niveau, wir sind auf dem Grippe-Niveau.“ Es könne sein, dass man mit Covid-19 ein paar Tage ausfalle.
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Welche Varianten kursieren gerade?
Dass über Corona wieder häufiger gesprochen wird, liegt auch an Weiterentwicklungen im Erbgut von Sars-CoV-2. Entscheidend ist die Frage, ob womöglich doch noch mal eine Variante entsteht, die unser Immunsystem wieder richtig austricksen kann. „Bisher habe ich keine neue Variante gesehen, bei der ich Bauchschmerzen kriegen und zu besonderer Wachsamkeit mahnen würde“, sagt Watzl. Auch das RKI sieht bisher keine Hinweise auf eine höhere Krankheitsschwere.
Vor allem zwei neue Abkömmlinge von Omikron sind gerade besonders im Blick. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte zunächst EG.5, auch Eris genannt, zu einer von nunmehr drei „Virusvarianten von Interesse“ hoch. Wegen des Wachstumsvorteils und Immunflucht-Eigenschaften könnte EG.5 laut WHO wieder für mehr Fälle sorgen und in einigen Ländern oder sogar weltweit dominant werden.
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Deutlich stärker mutiert ist die neue Variante BA.2.86. Die WHO stufte sie vorige Woche als eine von derzeit sieben „variants under monitoring“ ein. Bisher lägen erst wenige Sequenzen vor, jedoch aus verschiedenen Ländern. Das deute auf eine bereits weite Verbreitung hin. In Deutschland ist BA.2.86 laut RKI noch nicht nachgewiesen. Ob und wie schnell sich BA.2.86 ausbreite, bleibe noch abzuwarten.
Was erwartet uns im Herbst?

Prognosen über den Verlauf von Grippe- und auch Corona-Wellen sind schwierig. Viren entwickeln sich weiter. Der Zeitpunkt und das Ausmaß ihrer Zirkulation werden zudem von vielen verschiedenen Parametern beeinflusst, wie das RKI erklärt. Allerdings habe auch Corona bislang insbesondere im Herbst und Winter starke Erkrankungswellen verursacht. „Deshalb ist auch künftig mit einem Anstieg der Fallzahlen in diesen Jahreszeiten zu rechnen“, teilte das RKI mit.
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„Wir werden weiter ein gewisses Auf und Ab erleben“, meint der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb. Doch solange keine gänzlich andere Variante entstehe, sehe er keine neue pandemische Situation. „Aber wachsam müssen wir schon bleiben.“ Was die Intensivstationen betrifft, so rechnet Karagiannidis in den kommenden Monaten „immer wieder mit einzelnen Fällen, vor allem bei immungeschwächten Patienten, allerdings in keinster Weise vergleichbar mit der Pandemie“. Im Vordergrund des Geschehens erwarte er vielmehr Grippe und bei Kindern das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Alle drei Atemwegserreger könnten zu Personalausfällen führen.
Seien Sie ehrlich: Bereiten Ihnen die neuen Virusvarianten Sorge?
Wer sollte sich impfen lassen?
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt nur noch bestimmten Gruppen Auffrischimpfungen, vorzugsweise im Herbst und ähnlich wie beim Grippeschutz. Dazu gehören etwa Menschen ab 60, Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen ab einem Alter von sechs Monaten, Pflege- und Gesundheitspersonal, sowie Angehörige von Risikopatienten.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte kürzlich auf der Plattform X, früher Twitter, an, dass die angepassten Vakzine wahrscheinlich ab 18. September in den Praxen seien. Watzl zufolge kann man auf die neuen Impfstoffe warten.
Was kann der Einzelne tun?

Es gibt immer noch Menschen, die auf Schutz angewiesen sind. Das RKI rät neben einem Impfschutz gemäß Stiko-Empfehlung bei einer akuten Atemwegsinfektion:
drei bis fünf Tage zu Hause bleiben
Kontakte möglichst reduzieren
in die Armbeuge husten und niesen
regelmäßig die Hände waschen.
Bei typischen Symptomen kann man sich laut Leif Sander von der Charité in Berlin weiterhin zu Hause testen. „Antigentests auch aus dem letzten Jahr können weiterhin genutzt werden, solange ihr Haltbarkeitsdatum nicht überschritten ist und sie bei der empfohlenen Temperatur gelagert wurden.“ Es gebe bisher keine Hinweise, dass die herkömmliche Virusdiagnostik durch die neuen Varianten beeinträchtigt werde.
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Immunologe Watzl gibt zu bedenken, dass Sars-CoV-2 nicht mehr verschwinde und dass Infektionen in der jetzigen Phase für Immungesunde ein Auffrischen der Immunität bedeuteten. „Würde man das Virus für mehrere Jahre auf ein ganz niedriges Niveau zurückdrängen, dann drohen am Ende wieder mehr schwere Erkrankungen, weil Menschen das Virus jahrelang nicht gesehen haben“, sagt er. Zu viel Schutz könne somit auch kontraproduktiv sein. Das Risiko von Langzeitfolgen sei zwar nicht verschwunden, Long Covid könne man auch nach einer zweiten Corona-Infektion bekommen. Aber man werde dahin kommen, dass das Risiko auf einem ähnlichen Niveau liege wie bei anderen Infektionskrankheiten. (dpa/jbü)
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