Wald wird zur Sperrzone

Wölfe übernehmen Kindergarten-Revier in Waldkappel - jetzt gilt dort Spielverbot!

von Gunda Möller und Tobias Radloff

Der Wolf hat ihr Revier übernommen: Eigentlich ist der Wald der hessischen Kleinstadt Waldkappel das Spielgebiet der Vier- bis Sechsjährigen aus den Kindergärten Rappelkiste und Pusteblume. Doch seit ein paar Wochen gilt: Keine Ausflüge mehr in den Wald – die fünf gesichteten Wölfe sind eine zu große Gefahr für die Kinder!

Junge Mutter: Mir macht es wirklich Angst!

Nein, das ist kein Hund, das ist ein WOLF! Eine Horrorvorstellung für alle Eltern: Das Kind steht beim Spielen plötzlich einem waschechten Wolf gegenüber! „Wer hat Angst vorm bösen Wolf?“ - Damit das Kinderspiel nicht zur bitteren Realität wird, dürfen die Kids in Waldkappel nur noch auf dem Kindergartengelände spielen, der Wald ist tabu. Bürgermeister Frank Koch reagiert mit der Sperrzone Wald für die Kindergärten im Ort auf die Ängste und Anfragen von besorgten Eltern und erklärt im RTL-Interview: „Es ging uns darum, Verantwortung zu übernehmen. Kinder kennen die Wölfe nicht. Manche denken, es sind vielleicht Hunde und sind nicht vorsichtig genug. Solche Situationen galt es zu verhindern.“

Die Waldstation des Kindergartens Pusteblume liegt nun verlassen da: Zu groß ist das Risiko, dass beim Spielen in diesem Bereich ein Wolf vorbeikommt. Anwohner berichten in den vergangenen Monaten immer wieder von Begegnungen mit einem der Raubtiere – teilweise nähern diese sich den Menschen bis auf wenige Meter. Sie scheinen sich an die Menschen gewöhnt zu haben, zeigen wenig von der sonst für die Tiere üblichen Scheu.

Bürgermeister Frank Koch handelt zum Schutz der Kinder

„Wir nehmen die Ängste und Sorgen der Bevölkerung und an dieser Stelle insbesondere der Eltern/Erziehungsberechtigten unserer Kindergartenkinder sehr ernst“, verkündet Bürgermeister Frank Koch (SPD) Anfang Februar öffentlich: „Da der Besuch des Waldkindergartens für die Gesprächsbeteiligten momentan ein nicht vertretbares Risiko darstellt, wurde einvernehmlich die Entscheidung getroffen, den Waldkindergarten der Pusteblume auf unbestimmte Zeit nicht mehr zu besuchen.“ Auch der Kindergarten Rappelkiste in Waldkappel setze derzeit ebenfalls ihre Waldspaziergänge bis auf Weiteres aus, so Koch. Wie lange die Kinder den Wald meiden sollten, müsse nun mit allen Beteiligten geklärt werden. Infoveranstaltungen auch für die Eltern sollen folgen.

Lese-Tipp: Raubtier im eigenen Garten - Zweifache Mutter begegnet Wolf am Pool

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Kindergarten-Leiterin: Das Verbot schürt erstmal Ängste

Für Rappelkisten-Leiterin Sabine Frackmann hat die Erklärung des Waldes zur Sperrzone jedoch zwei Seiten. Wenn Kinder diese Nachricht hören, würde natürlich automatisch Angst geschürt. „Da sind wir jetzt in der pädagogischen Pflicht, dem entgegenzuwirken – ob man nun Wolfsgegner oder Befürworter ist,“ bedenkt sie im RTL-Interview.

Ihre Meinung: Wolfspopulation in Deutschland eindämmen?

Die Ergebnisse dieser Umfrage sind nicht repräsentativ.

Stölzinger Gebirge nun offiziell Wolfsterritorium

Seit Jahren gibt es immer wieder Fälle von gerissenen Tieren in der Umgebung der hessischen Kleinstadt Waldkappel im Werra-Meißner-Kreis. Fast ein Drittel der anerkannten Wolfsnachweise in Hessen stammt aus diesem Landkreis, in dem sich ein Rudel angesiedelt hat. Im vergangenen Jahr gab es Nachwuchs, die Zahl der Tiere wächst. Touristen und Anwohner müssen sich dieser Tatsache bewusst sein und für Verhaltensregeln sensibilisiert werden, forderte Landrätin Nicole Rathgeber. Das Hessische Landesamt für Naturschutz ernannte Waldkappel im Februar 2022 offiziell zum Wolfsterritorium.

Die Zahl der nachgewiesenen Territorien in Deutschland ist in den vergangenen Jahren laut wolfsmonitoring.com um etwa 30 Prozent jährlich angestiegen. Die Landesjägerschaft Niedersachsen meldet sogar einen Anstieg um fast 50 Prozent im Jahr.

Gerissene Weidetiere und Fotofallen-Beweise: Appell zur Vorsicht

Es sind solche Bild von gerissenen Weidentieren, die Politikern, Landwirten und Anwohnern Angst machen.
Es sind solche Bild von gerissenen Weidentieren, die Politikern, Landwirten und Anwohnern Angst machen.
privat

Mit der offiziellen Ernennung zum Wolfsterritorium ist weiterhin das regelmäßige Monitoring der Raubtiere gegeben. Immer wieder gab in der Vergangenheit Stimmen, die die Maßnahmen des Landes als nicht ausreichend angesehen haben.

Nachdem Ende Januar Schafe getötet worden waren, äußerte sich Wiebke Knell, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP Hessen, öffentlich in den Sozialen Medien: „Die Bilder der gerissenen Schafe zeigen in aller Deutlichkeit die Grausamkeit, die vom Wolf ausgehen kann.“ In mehreren Orten in Hessen seien Wölfe gesichtet und gefilmt worden. Vor allem die in Waldkappel gleichzeitig aufgenommenen Wölfe – fünf auf einem Bild – seien beunruhigend und würden die Menschen verständlicherweise nervös machen, sagte Knell auf RTL-Nachfrage. Und dass besonders Eltern von kleinen Kindern sich Sorgen machen, ist nachvollziehbar. Knell forderte ein „funktionierendes Wolfsmonitoring“.

Was mache ich, wenn ich einem Wolf begegne?

In Waldkappel steht die Frage, wie man sich bei der Begegnung mit einem Wolf verhalten soll, für alle Anwohner inzwischen auf der Tagesordnung. Und auch in vielen anderen Gebieten Deutschlands, vor allem im Osten und Norden, kann einem das Raubtier – oder auch mehrere gleichzeitig – durchaus mal bei einem Waldspaziergang begegnen. Was dann? Das Bundesministerium für Umwelt und Naturschutz rät:

  • Verhalten Sie sich ruhig und halten Sie Abstand.

  • Bei untypischem Nähern des Tieres bleiben Sie stehen und machen Sie sich groß, versuchen Sie, es einzuschüchtern.

  • Bei fehlendem Rückzug eines Wolfes: Sprechen Sie laut oder klatschen Sie in die Hände.

  • Versuchen Sie nicht, sich einem Wolf anzunähern und schon gar nicht, ihn anzulocken.

  • Lassen Sie ihm Raum für den Rückzug.

  • Füttern Sie Wölfe unter keinen Umständen und lassen Sie keine Essensreste liegen. Die instinktive Vorsicht, die Wölfe Menschen gegenüber zeigen, kann verloren gehen, wenn die Tiere positive Reize vom Menschen erfahren. Daraus kann ein problematisches oder sogar aggressives Verhalten des Wolfes entstehen.

Beruhigend für besonders Ängstliche: Normalerweise nähern sich Wölfe dem Menschen nicht weiter als 100 Meter. Durch Windverhältnisse kann die Witterung von Menschen jedoch schon mal später erfolgen. Wenn sie den Menschen wahrnehmen, fliehen die Wölfe meist nicht panisch, sondern orientieren sich zunächst einen Augenblick lang und ziehen sich dann zurück. „Grundsätzlich geht vom Wolf keine größere Gefahr aus als von anderen Wildtieren“, bestätigt auch Annika Ploenes vom Wolfszentrum Hessen im RTL-Interview. (gmö/ora)