RTL-Reporterin Nadja Kriewald berichtet aus der SperrzoneSchaufelten sich Putins Soldaten in Tschernobyl ihr eigenes Grab?

von Nadja Kriewald

Die Sorge um das vor 36 Jahren havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl war nie ganz verschwunden. Doch in der Sperrzone rund um den Reaktor konnten sich Menschen für eine gewisse Zeit aufhalten, ohne Strahlenschäden fürchten zu müssen. Mit der Invasion der russischen Truppen in der Ukraine änderte sich dies schlagartig: Weil Putins Soldaten offenbar in Unwissenheit um die Gefahr Schützengräben aushoben, wurde radioaktiver Staub aufgewirbelt. Einige von ihnen könnten dies mit dem Leben bezahlen, glaubt RTL-Reporterin Nadja Kriewald.
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Sperrzonen-Bewohner hatte keine Angst vor den Soldaten

Yewgeni Markevicz Tschernobyl
RTL-Reporterin Nadja Kriewald traf Yewgeni Markevicz, der sein ganzes Leben in Tschernobyl verbracht hat - bis auf ein paar Tage gleich nach der Atomkatastrophe im April 1986.
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Yewgeni Markevicz versteht die ganze Aufregung nicht. Sein Leben lang hat der 85-Jährige hier in Tschernobyl gelebt. Nur kurz nach der Reaktorkatastrophe im April 1986 hatten sie ihn und seine Frau gezwungen, ihr Haus zu verlassen. Sie sind damals mit dem Motorrad weg, aber ein paar Tage später waren sie wieder da. Er ist einer von rund 60 Menschen, die heute in der Sperrzone leben.

Ende Februar kamen die russischen Soldaten. "Sie waren noch so jung, standen immer da oben auf dem Haus", erzählt Yewgeni Markevicz. Angst vor ihnen hatte er nicht. Er hörte Schüsse, aber dann war es wieder ruhig.

Vor der Radioaktivität fürchtet er sich auch nicht. Im Garten vorm Haus baut er sein Obst und Gemüse an. Und in der Küche brät Yewgenis Frau gerade selbst gefangenen Fisch. Aber er habe einen Geigerzähler, betont er. Damit messe er immer die Strahlung.

Tschernobyl: Russische Invasoren malten Markierungen auf die Straße

Messgeräte hatten die russischen Soldaten wohl nicht. Sie kamen gleich am ersten Kriegstag in die Sperrzone. Konnten sich kaum zurechtfinden, denn Schilder gibt es hier kaum. Sie haben sich Markierungen auf die Straßen gemalt, damit sie wussten, in welcher Richtung Belarus liegt und wo Kiew. In Kiew kamen sie nie an.

Ihr erstes Ziel war der havarierte Reaktor. Als die russischen Panzer hier einrückten, begann für die Arbeiter in der AKW-Ruine ein Nervenkrieg, erzählt Schichtleiter Dmytro Yatsymon und zeigt auf den Vorplatz der Anlagen. Dort standen die Panzer. Die Soldaten verlangten die Kontrolle: "Wir haben mit ihnen verhandelt. Und die Nationalgarde und die Leitung haben entschieden, dass wir nicht kämpfen werden."

Widerstand zu leisten war zu gefährlich. Denn unter der Kuppel – dem Sarkophag – befindet sich der explodierte Reaktor, viel radioaktiver Müll. Bei Schäden an der Schutzhülle würde die Radioaktivität in die Umwelt gelangen. Das hätte weitreichende Folgen.

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Schutzgräben im "Roten Wald" ausgehoben – Radioaktivität um Tschernobyl stieg an

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Der havarierte Atomreaktor von Tschernobyl wird inzwischen von einem Sarkophag umgeben.
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Die Männer der Nationalgarde wurden entwaffnet, und auch die Arbeiter mussten hierbleiben. Normalerweise werden sie alle zwölf Stunden ausgetauscht. Jetzt waren sie Geiseln, sagt Yatsymon: "Sie mussten hier nonstop 25 Tage arbeiten, erst dann wurden sie ausgetauscht." Die Männer der Nationalgarde mussten sogar 35 Tage bleiben.

Es gab zeitweilig keinen Strom, sie stiegen auf Diesel-Generatoren um. Der Kontakt zu den ukrainischen Kontrollbehörden brach ab. Und die Radioaktivität in der Region stieg an. Denn die Russen fuhren mit ihren Panzern durch den Wald, wirbelten radioaktiven Staub auf. Und es kam noch schlimmer: Sie hoben Schutzgräben aus im so genannten Roten Wald – dort, wo die Strahlung am höchsten ist.

Ukraine-Krieg: Putins Soldaten sollen Strahlenkrankheit haben

Kurzzeitig kann man sich hier aufhalten. Aber die Soldaten schliefen, aßen, lebten hier wochenlang im verseuchten Boden. Als sie Ende März abzogen, hatten wohl einige von ihnen die Strahlenkrankheit. Ukrainische Behörden berichten, sie seien in Panik abgezogen. Es scheint so, als hätten sich die russischen Soldaten in Tschernobyl ihr eigenes Grab geschaufelt.

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