Nach Propaganda-Fakebildern aus Russland
Was steckt hinter Putins „Schmutziger Bombe“?
Die russische Regierung beschuldigt die Ukraine in Kürze eine „schmutzige Bombe“ einsetzen zu wollen. Belege dafür liefert sie allerdings keine. Was verbirgt sich hinter dem Begriff, der seit Tagen in aller Munde ist? Und droht jetzt ein Atomkrieg? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
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Wie kam es zu den Anschuldigungen?
Laut russischer Propaganda plant die Ukraine den Einsatz auf eigenem Territorium. Kiew weist die Vorwürfe vehement zurück. Russland droht nun sogar damit, den mutmaßlichen Einsatz vor dem UN-Sicherheitsrat zur Sprache zu bringen. Laut des russischen Verteidigungsministeriums wolle die Ukraine die angebliche Bombe zum Zweck einer Provokation detonieren lassen. Somit solle Russland der Einsatz von Massenvernichtungswaffen auf ukrainischem Staatsgebiet untergeschoben werden, behauptet der russische Generalleutnant Igor Kirillow.
Von ukrainischer Seite aus beauftragte man eine Kontrolle durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA). Die Behörde inspiziert die ukrainischen Atomkraftwerke ohnehin in regelmäßigen Abständen. Zuvor seien keine Hinweise entdeckt worden, die auf den Bau einer „schmutzigen Bombe“ hindeuten würden, erklärte die IAEA im September.
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Was ist eine „schmutzige Bombe“?
Eine „schmutzige Bombe“ besteht aus einem herkömmlichen Sprengkörper, der mit radioaktivem Material versehen wird. Anders als bei einer Atombombe kommt dabei kein hochangereichertes Uran zum Einsatz. Der Faktor „schmutzig“ ergibt sich aus dem verwendeten nuklearen Material. Hier können atomare Stoffe aus medizinischen Einsatzbereichen, Kernkraftwerken oder aus der Forschung als radioaktiver Bestandteil verwendet werden. Dadurch sind laut Stern die Herstellungskosten wesentlich geringer und die Transportmöglichkeiten deutlich vielseitiger.
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Welche Gefahr geht von einer „schmutzigen Bombe“ aus?

Wie der Stern berichtet, kommt es im Gegensatz zu einer Atombombe bei der Explosion einer „schmutzigen Bombe“ nicht zu einer radioaktiven Kettenreaktion. Sie ist daher eine ungenaue Massenvernichtungswaffe. Nukleares Material wird dennoch in der Umgebung verteilt. Je nach Radius kann die gesamte Region noch jahrelang verseucht sein. Auch die Beschaffenheit ist ausschlaggebend. In staubigen Regionen können sich radioaktive Partikel besser festsetzen. Außerdem ist das verwendete Nuklear-Material entscheidend. Sollte die „schmutzige Bombe“ dennoch mit hochradioaktivem Material bestückt sein, kann sie auf kleinerem Raum den Effekt einer Atombombe haben.
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Woher stammen die mutmaßlichen Beweise?
Die Beweise, die das russische Außenministerium kürzlich via Nachrichtendienst Twitter verbreitete, sind gefälscht. Eines der Bilder soll den Bau einer „schmutzigen Bombe“ dokumentieren. Allerdings wurde es zweckentfremdet. Ursprünglich stammt das Foto von der slowenischen Agentur für radioaktive Abfälle und wurde schon 2010 verbreitet. Zu sehen sind Elemente in Plastikbeuteln, die mit dem Warnsymbol für Radioaktivität gekennzeichnet sind. Atomexperten der der slowenischen Regierung stellten daraufhin via Twitter richtig, dass es sich nicht um Bauteile einer „schmutzigen Bombe“ handele, sondern lediglich Rauchdetektoren zu sehen seien. Auch RTL-Russland-Korrespondent Rainer Munz sieht hier den abermaligen Versuch des Kremls „mit Fakes für Verwirrung zu sorgen“.
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Wurde je eine „schmutzige Bombe“ eingesetzt?
Hier muss vorab in zwei verschiedene Kategorien unterschieden werden. Nach Ansicht einiger Experten fungiert die „schmutzige Bombe“ eher als psychologische Waffe mit symbolischen Charakter, die Menschen einschüchtern und verängstigen soll. Daher wäre ihr Einsatzgebiet auch eher auf städtische Ballungsräume als auf Schlachtfelder ausgerichtet. Oder aber es handelt sich um eine hochnuklear angereicherte „schmutzige Bombe“, die das Ziel verfolgt, eine Vielzahl von Menschen zu töten und möglichst große Gebiete unbewohnbar zu machen. Solche Fälle wurden bislang laut BBC allerdings nicht dokumentiert. Generell wurde offiziellen Berichten zufolge noch keine „schmutzige Bombe“ gezündet.
Allerdings versuchten tschetschenische Rebellen im Jahr 1996 offenbar im Moskauer Ismailowo-Park eine mit Dynamit und Cäsium-137 bestückte Bombe zu zünden. Diese wurde aber entschärft. Zudem gab es mehrere Verhaftungen von Al-Quaida-Mitgliedern bzw. Kontaktmännern, die unter dem Verdacht standen, Anschläge mit „schmutzigen Bomben“ geplant zu haben. Das berichtete die BBC.
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Droht jetzt ein Atomkrieg?
Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Dass es sich um eine Nebelkerze von russischer Seite handeln könnte, ist nicht ausgeschlossen. Über Putins Motiv lässt sich allerdings nur spekulieren. Fakt ist, die Anschuldigungen haben für internationale Verunsicherung gesorgt. Sie könnten möglicherweise auf Panik unter den Nato-Partnern abzielen. Experten schließen aber aus, dass der Kreml nun eine „schmutzige Bombe“ unter falscher Flagge zünden wird, um den Verdacht auf die Ukraine zu lenken. Ein Atomkrieg wirkt derzeit realitätsfern, allerdings hat die Eskalationsstufe einen neuen Höhepunkt erreicht. (dpa,rdr)
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