Lebenslänglich für den Mord an Georgine KrügerMordurteil ohne Beweise? Darum reichte ein Geständnis, um Ali Koc ins Gefängnis zu stecken

Georgine Krüger
Georgine Krüger verschwindet 2006 spurlos.
Polizei Berlin

2006 verschwindet die 14-Jährige Georgine Krüger spurlos. Sie und Ali Koc wohnen in derselben Straße in Berlin, der Stendaler Straße. 2011 gerät er in den Fokus der Ermittler wegen einer Sexualstraftat gegen ein minderjähriges Mädchen. Ist Ali Koc vielleicht der Mörder von Georgine Krüger? Um die Wahrheit herauszufinden schleust die Mordkommission verdeckte Ermittler in das Leben des Langzeitarbeitslosen.

Kommen die Beamten so einen Schritt näher an ein Geständnis?

ARCHIV - 31.07.2019, Berlin: Der Angeklagte sitzt vor Beginn der Verhandlung in einem Gerichtssaal. Mehr als 13 Jahre nach dem spurlosen Verschwinden der Berliner Schülerin Georgine Krüger wird das Urteil erwartet. Foto: Paul Zinken/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Berlin, Ali Koc vor Gericht.
pdz skm fux, dpa, Paul Zinken

Unter dem Decknamen Hakan, Susi und Kara freunden drei Beamte sich mit Ali Koc an. Hakan ist der erfolgreiche Geschäftsmann, der dem Langzeitarbeitslosen plötzlich Jobchancen mit hohem Einkommen anbietet, ihn Luxusluft mit teuren Autos schnuppern lässt. Zu ihm schaut Ali Koc auf. Auf ihn baut er, damit die Familie finanziell endlich besser dasteht. Susi wird als Hakans Lebensgefährtin vorgestellt, sie freundet sich mit Alis Ehefrau Melek an.

Sie werden Teil der Familie, gehen bei ihnen ein und aus. Im Alltag, aber auch zu Feierlichkeiten gehören sie mit der Zeit fest dazu. Kara hingegen spielt den kriminellen Cousin von Hakan, um Ali Koc dazu zu bringen, seine dunkle Seite zu zeigen. Hakan zockt, geht mit Ali in Bordelle, zahlt für ihn mit und hat angeblich Probleme mit seiner Freundin. Die wisse ein großes Geheimnis von Kara. Das vertraut der Ermittler Ali an.

Er könne sich nicht von ihr trennen, da sie wüsste, dass Kara jemanden umgebracht hätte. Kara schildert Ali also, dass seine Freundin verschwinden müsse, dafür zahle er auch 150.000 Euro. Dies müsse aber jemand tun, der „so etwas“ schon mal gemacht hätte. Ali Koc reißt sich offenbar regelrecht darum, diesen „Job“ zu übernehmen.

Ermittler zeichnete das Geständnis von Ali Koc heimlich auf

„Ali wollte ja Geld machen mit der Tötung von der Frau von Kara. Und da haben wir ihn einfach angejuckt. Also der Kara hat gesagt: Du hast das doch nicht drauf. Das kannst du doch gar nicht, du bist nicht der Typ dafür, jemanden zu töten“, erzählt einer der Ermittler in der Dokumentation „Ohne Filter – Lebenslänglich ohne Beweise“.

Kara hält das Geld und den konkreten Tötungsauftrag zurück. Ali soll erst beweisen, dass er zu einem Mord fähig ist. „Und da hat er dann angefangen zu erzählen: Doch doch, ich kann das, ich hab‘ das schon mal gemacht. Und dann hat er ihm die Details erzählt, wie er Georgine getötet hat.“ Ermittler Kara hat das gesamte Geständnis bei einer Autofahrt mit einem versteckten Ton-Aufnahmegerät aufgezeichnet.

Ali Koc sagte damals: „Ich war krank nach diesem Mädchen. Ich habe vor der Tür gewartet. Sie geht zu dieser Stunde immer dort vorbei. Ich habe ihr zugezwinkert und dann hatte ich ja Tüten in der Hand und habe sie gefragt: `Kannst du mir bitte helfen, die runterzutragen in den Keller. Ich geb dir auch Geld dafür.’ Sie sagte: ‘Gar kein Problem, ich helfe dir.’ Und dann haben wir die Tüten in den Keller runtergebracht.“

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Ali erzählte Hakan, wie er Georgine Krüger tötete

Dann habe Ali ihr auf den Kopf geschlagen, sie habe geschrien erzählt er dem Beamten, dann hätte er sie nochmal geschlagen, bis sie ohnmächtig wurde. Dann habe er die 14-Jährige ausgezogen und sich an ihr vergangen. Es hätte ihm aber keinen Spaß gemacht: „Weil sie bewusstlos war ist das, als ob du es mit einer Puppe machst.“

Thomas Ruf, Leiter der Mordkommission: „Er hat in diesem Geständnis, was auch das eigentliche Tötungsdelikt anbelangt, hat er die Tötung von Georgine sehr detailliert beschrieben. Es gab einen Angriff gegen den Hals, der auch zum Tode geführt hat. Er hat den Leichnam dann erst mal für drei Tage im Keller aufbewahrt, und hat ihn dann über Hausmüll entsorgen können, so dass dieser verbrannt wurde. Und wir leider Gottes zu keinem Zeitpunkt mehr einen Leichnam zu Tage bringen werden.“

Daraufhin haben die Beamten alles überprüft. Ob die Version, die Ali Koc Hakan über den Mord an Georgine Krüger erzählt hat, stimmen könnte. Wann wird der Müll abgeholt, wohin wird er gebracht, wie sind die technischen Abläufe, ist das überhaupt möglich, alles hat letztendlich gepasst. Auch die Details der Tötung sei so präzise gewesen, dass die Geschichte laut der Ermittler, nicht erfunden sein konnte.

Die Familie von Ali Koc glaubt nicht daran, dass er Georgine Krüger ermordet hat

Der verurteilte Mörder erzählt im Interview: „Kara hat immer wieder auf Georgine gedrängt: Wenn du sagst, du warst es, bekommst du das Geld sofort. Sag Georgines Namen. Ich habe einen anderen Namen gesagt. Er hat fünf Mal nach Georgine gefragt, ich habe gesagt nein, nein, nein. Er wollte Beweise und hat genervt, irgendwann habe ich gesagt, ok, ich war es. Aber das war kein Geständnis, das war gezwungen.“ Ali Koc behauptet, das sei von Anfang an der Plan der Mordkommission gewesen, dass er den Mord gestehe, um ihn als Bauernopfer hinter Gitter zu bringen.

Auch Alis Cousin Okan kann das alles nicht glauben: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so grausam ist und ein Kind vergewaltigt und tötet.“ Auch seine Schwester Ayfer denkt, Ali habe sich da nur in etwas reingeritten: „Ich weiß nicht, entweder wollte er das Geld nehmen und abhauen oder vielleicht hat Ali sich gedacht: Kara ist ein Mörder, da kann ich jeden Mist runterlabern. Und so wie ich meinen Bruder kenne, hätte er danach ‘nen anonymen Anruf bei der Polizei gemacht, damit er sich von denen erlösen kann.“ Ist das Geständnis, das Ali Koc lebenslang hinter Gitter bringt also gekauft oder erzwungen?

Die Ermittler zweifeln die Echtheit des Geständnisses von Ali Koc nicht an

Ermittler Kara im Interview: „Die Sicherheit, dass das Geständnis echt ist, hat das Verhalten von Ali gegeben. Er war völlig verwandelt beim Erzählen dieser Geschichte und hat das für sich noch einmal erlebt. Die Ermittler waren mit der Mord-Akte nicht so vertraut. Er wusste gar nicht, was Exklusiv-Täterwissen ist. Aber vom Gefühl her, als er angefangen hat zu erzählen, wie da ein Schalter umgelegt wurde, da war er wie verwandelt und [...] das kann sich keiner ausdenken.“

Thomas Ruf, Leiter der Mordkommission: „Welche Gefühle er dabei hatte, wie er das Opfer wahrgenommen hat, wie sich das Opfer verhalten hat, als er es dann überfallen hat, was er mit dem Opfer gemacht hat, nachdem er es niedergeschlagen hat, er hat die Vergewaltigung von Georgine detailliert beschrieben, er hat den Vorgang des Tötens detailliert beschrieben. So eindringlich und so detailliert, dass es einfach erlebnisbasiert war.“

Ende Dezember 2018 wird Ali Koc schließlich wegen Mordverdachtes verhaftet. Eineinhalb Jahre lang sitzt Ali Koc zunächst in Untersuchungshaft. Die Ermittler versuchen, neue belastende Beweise zusammenzutragen. Vergebens. Trotzdem startet im Juli 2019 der Prozess gegen ihn. 46 Prozesstage lang werden alle Indizien erneut zusammengetragen. 46 Tage lang schweigt Ali Koc zu den Vorwürfen.

Ali Koc wollte eine Aussage vor Gericht machen, sein Anwalt riet ihm ab

Ali Koc erzählt von den Gerichtsterminen: „Ich dachte ich werde freigelassen, der Pflichtverteidiger hat uns so Mut gemacht, der meinte die haben nichts, keine Leiche, keine Beweise. Ich hatte wirklich keine Angst. Ich hab mich aber geschämt, vor so vielen Leuten wegen so einer Sache vor Gericht zu stehen.“

Außerdem sei die Wahl sich nicht vor Gericht zu äußern, die des Anwalts gewesen: „Mein Anwalt hat gesagt, ich soll Schweigen. Ich wollte reden, der meinte nein, die bringen dich durcheinander mit ihren Fragen. Die werden versuchen, dich kaputt zu machen. Die waren auch alle gegen mich.“

Vor Gericht muss die 14-jährige Ermittlungsarbeit ohne jegliche Stellungnahme des Täters ausgewertet werden. Thomas Ruf erklärt das Ganze so: „Alles ist vor Gericht ausgiebig geprüft worden und das Gericht muss unbefangen in einen solchen Prozess gehen. Dieses Geständnis ist auch gewogen worden. Wort für Wort, Passage für Passage.“

Das Urteil von Ali Koc fällt das Gericht in Berlin nach 46 Prozesstagen

Nach 46 Tagen Indizien-Prozess fällt der Richter das finale Urteil: Lebenslänglich für Ali Koc! Für Georgines Mutter und ihre Familie ist das die traurige Gewissheit: Sie wird ihre älteste Tochter nicht wieder bekommen. Trotz Ermittlungserfolg nimmt auch die Mordkommission das Urteil mit gemischten Gefühlen auf.

Thomas Ruf: „Das war eine emotional hochbelastende Situation. Man möchte jetzt erwarten, dass wir siegestaumelnd die Fäuste ballen, aber überhaupt nicht. Wir waren niedergeschlagen, weil erfahren, wie ein Menschenleben ausgelöscht wurde. Sehr sehr drastisch. Trotz Erfahrung ist so etwas, immer wieder belastend.“

Fast 14 Jahre liegen zwischen dem Verschwinden von Georgine Krüger und dem rechtskräftigen Urteil: Lebenslänglich für Ali Koc. Es ist vorerst das Ende eines der rätselhaftesten und spektakulärsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. (tsc / mca)