Das RTL/ntv Verifizierungsteam hat recherchiert
Video soll grausige Kriegsverbrechen von ukrainischer Armee zeigen: Ist das Video echt?

Seit Sonntagabend kursiert ein fünf Minuten langes Handyvideo im Internet, das etwa zehn russische Soldaten zeigen soll, die von ukrainischem Militär gefangen genommen wurden. Die Soldaten sind gefesselt, verletzt und liegen wehrlos auf dem Boden. Das Video zeigt, wie Soldaten in ukrainischer Uniform die Gruppe misshandeln: Ganz klar, dies wäre ein Kriegsverbrechen. Doch ist das Video wirklich echt? Das RTL/ntv-Verifizierungsteam hat sich die Aufnahmen einmal genau angeschaut: Was für und gegen die Echtheit des Materials spricht, lesen Sie hier.
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Mutmaßliche russische Soldaten werden misshandelt
Sie liegen auf dem Boden, gefesselt und wehrlos. Einige der russischen Soldaten haben weiße Säcke über dem Kopf. Teilweise haben die Männer schwere Wunden, bluten. Ihnen gegenüber stehen etwa 20 mutmaßliche Ukrainer. Sie verhören sie, fragen, woher sie kommen und misshandeln sie. Am Ende des Clips werden drei weitere gefesselte Soldaten aus einem Lieferwagen geholt. Mit einem gezielten Schuss ins Bein werden sie zu Fall gebracht. Und das, obwohl die Männer sich ganz offensichtlich bereits ergeben hatten.
Das Video, das RTL/ntv vorliegt, aber nicht veröffentlicht wird, ist grausam. Denn es zeigt angebliche Kriegsverbrechen der ukrainischen Streitkräfte. Davon war und ist im Ukraine-Krieg schon häufiger die Rede gewesen, aber vor allem von russischer Seite – beispielsweise beim gezielten Beschuss ukrainischer Zivilisten. Doch die Misshandlung, Folter und unmenschliche Behandlung von Kriegsgefangenen fällt ebenfalls unter das Kriegsrecht.
Laut RTL/ntv-Verifizierungsteam: Das spricht FÜR die Echtheit des Videos
Ob das Video wirklich echt ist, lässt sich nur mutmaßen. Doch das RTL/ntv-Verifizierungsteam hat sich an die Arbeit gemacht und konnte bereits mehr herausfinden, als auf den ersten Blick erkennbar ist:
Ort verifiziert: Das Video wurde in einer Molkerei im Ort Mala Rohan aufgenommen, einem Ort östlich der Stadt Charkiw im Nordosten der Ukraine. Dies lässt sich eindeutig über Google Maps feststellen.
Berichte über Kämpfe und Kriegsgefangene: Wie das RTL/ntv-Verifizierungsteam herausfinden konnte, gibt es mehrere Berichte über Kampfhandlungen in der Nähe von Charkiw rund um das Veröffentlichungsdatum des Videos. Bei diesen soll ein Ort von den ukrainischen Streitkräften wieder eingenommen worden sein. Dabei sollen rund 27 russische Soldaten in die Hände der ukrainischen Streitkräfte geraten sein. Es könnte sich dabei mutmaßlich also um die Gefangenen aus dem Video handeln. Mit Sicherheit lässt sich das aber nicht feststellen.
Sprache im Video: RTL/ntv hat das Video auch einer ukrainischen Dolmetscherin vorgelegt. Diese kann bestätigen, dass die mutmaßlich ukrainischen Soldaten russisch mit ukrainischem Akzent sprechen. Dies sei in der Region, in der das Video aufgenommen wurde, allerdings normal. Der Ort Charkiw liegt nahe der russischen Grenze. Die Art des Akzents wäre sowohl für die ukrainische Seite der Grenze, als auch für die russische Seite, typisch.
Im Video: So verifiziert das RTL/ntv-Team die Inhalte der Ukraine-Meldungen im Netz
Laut RTL/ntv-Verifizierungsteam: Das spricht GEGEN die Echtheit des Videos
Vor allem in den sozialen Medien wurde gemutmaßt, dass das Video zwar echt sein könnte, allerdings russische Soldaten unter „falscher Flagge“ zeigen könnte. Das heißt, die komplette Szene könnte mutmaßlich auch russische Soldaten in ukrainischer Uniform zeigen. Als Teil der russischen Propaganda, wäre so etwas nicht unüblich. Genau verifizieren lässt sich das allerdings nicht.
Russische Kriegsgefangene in der Ukraine hatte es im Verlauf des Krieges schon häufiger gegeben. Bisher sind viele Videos aufgetaucht, in denen die Ukrainer gut mit ihren Gefangenen umgegangen sind. Ob das aber der Regelfall ist, ist schwer zu verifizieren.
Dem RTL/ntv-Verifizierungsteam sind weitere Punkte zum Video aufgefallen:
Nur ein Video vom Vorfall: So ist bisher nur dieses eine Video von dem Vorfall aufgetaucht, obwohl einer der mutmaßlich ukrainischen Soldaten im Clip ebenfalls mit dem Handy filmt.
Ort erst nach Veröffentlichung erobert: Ein Bericht der Nachrichtenagentur AFP legt nahe, dass Malaya Rohan, der Ort, in dem das Video entstanden ist, erst am 27.3. von den Ukrainern zurückerobert wurde. Das Video kursierte bereits vor diesem Datum im Internet.
Letztendlich ist es schwierig festzustellen, ob das Video wirklich echt oder unecht ist. In jedem Fall sind die Handlungen, die dort zu sehen sind, aber ein Kriegsverbrechen. Von welcher Seite diese ausgehen, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen.
Selenskyj-Berater reagiert auf Video: "absolut inakzeptables Verhalten"
Das Video hat seit der Veröffentlichung hohe Wellen geschlagen. Sollte es echt sein, wofür an dieser Stelle aktuell viel spricht, es sich aber nicht eindeutig verifizieren lässt, könnte das für die Ukraine schwerwiegende Folgen haben. Die ukrainische Regierung wurde bereits aufgefordert, Stellung zu den grausamen Szenen zu nehmen.
Oleksiy Arestovych, ein Berater des ukrainischen Präsidenten, hatte dies bereits am Wochenende, kurz nach Bekanntwerden, getan. In einem auf Youtube veröffentlichten Video verurteilte er das Geschehen und versicherte, man wolle den Vorfall schnell aufklären. Die ukrainische Regierung nehme das Video und die Vorwürfe „sehr ernst“. „Wir misshandeln keine Kriegsgefangenen, wir sind eine europäische Armee.“
Ob das Video echt ist oder nicht, dazu äußerte er sich nicht. In jedem Fall zeige das Video „ein absolut inakzeptables Verhalten. Das ist ein Kriegsverbrechen.“ Die dafür Verantwortlichen würden „hart“ bestraft werden.
UN sieht Anzeichen für Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg
Auch das UN-Büro für Menschenrechte sieht im Ukraine-Krieg Anzeichen für Kriegsverbrechen.
Vor allem gebe es diese auf russischer Seite. Das Ausmaß der zivilen Opfer und der Zerstörung von zivilen Objekten deutet Bogner zufolge stark darauf hin, dass verschiedene Prinzipien verletzt wurden: Das Verbot wahlloser Angriffe, das Prinzip, zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden, ebenso wie die Vorgabe, dass möglichst Vorkehrungen für den Schutz von Zivilisten geschaffen werden und die Maßnahmen verhältnismäßig sein müssten.
Aber auch auf ukrainischer Seite gebe es Anzeichen für Kriegsverbrechen. „Wir sind auch besorgt über Videos, die Kriegsgefangene zeigen, die nach ihrer Gefangennahme sowohl von ukrainischen als auch von russischen Streitkräften verhört werden,“ so Bogner in einem Schreiben von Freitag. Gegenüber dem Sender „CNN“ sagte Bogner am Montag zu dem aufgetauchten Video, man müsse noch „das gesamte Material überprüfen“. Die Ermittlungen dazu würden noch laufen, aber es rufe „ernsthafte Bedenken“ hervor.
Bogner ruft beide Nationen dazu auf, Kriegsgefangene human zu behandeln: „Kriegsgefangene müssen menschlich behandelt werden, dürfen keinen Gewaltakten ausgesetzt werden und müssen vor Beleidigungen und öffentlicher Aufmerksamkeit geschützt werden.“ (mit dpa)
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