Reiserecht-Experte schätzt Fall einVerpatzter Sommerurlaub! Familie wartet zehn Monate später immer noch auf Entschädigung

Reisechaos 2022
In Frankfurt wäre Familie N. 2022 gerne gelandet, stattdessen hingen sie letztlich 40 Stunden in Ägypten fest. Eine Entschädigung haben sie auch zehn Monate später noch nicht erhalten.
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Wer erinnert sich nicht an das verheerende Reisechaos 2022? Viele Urlauber waren von Flugausfällen und extremen Verspätungen betroffen. Die Familie von Claudia N. strandete unfreiwillig in Ägypten. Letztendlich wartete sie 40 Stunden auf ihren Rückflug von Hurghada nach Frankfurt. Doch eine Entschädigung haben die Pech-Urlauber auch zehn Monate später weder vom Reiseveranstalter TUI, noch von der Airline SmartLynx erhalten. Wie kann das sein?
Der Reiserecht-Experte Paul Degott klärt im RTL-Interview darüber auf, was betroffene Ex-Urlauber unternehmen können, wenn sich weder Veranstalter noch Airline bewegen.
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2022: Urlauber stranden 40 Stunden in Ägypten – wo bleibt die Entschädigung?

Die achtköpfige Familie von Claudia N. hat eine regelrechte Reise-Odyssee hinter sich. Eigentlich sollte sie am Sonntag (12. Juni 2022) um 9.50 Uhr zurück nach Frankfurt fliegen, doch erst 40 Stunden später hob ihr Flugzeug tatsächlich ab. Zwischenzeitlich war Familie N. in einem Ersatzhotel untergebracht.

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Noch vor Ort hat die Familie sich bei TUI gemeldet und den Veranstalter über die massive Flug-Verspätung und die Unannehmlichkeiten in Kenntnis gesetzt. Auch bei der Airline SmartLynx haben sie seitdem diverse Male versucht, ihre Ansprüche geltend zu machen. Doch was ist jetzt mit der Entschädigung? Bisher nichts, wie die verärgerte Familie N. im Gespräch mit RTL moniert.

„Wir sind jetzt in einer Zwickmühle, da die Airline SmarytLynx uns durch das Ignorieren unserer Anfragen keine Absage erteilt und TUI genau auf diese besteht, um zu handeln“, schildert Claudia N. verärgert.

Und klagt an: „Für Familien, die sich für diesen Urlaub monatelang das Geld beiseitegelegt haben, ist der Weg über den erstmal kostenpflichtigen Anwalt nicht ohne Weiteres machbar“, so N. und bittet daher RTL um Hilfe.

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Airline oder Veranstalter, wer muss zuerst aktiv werden? Reiserechtler beurteilt Fall

RTL hat bei TUI nachgehört: Der Reiseveranstalter reagiert über eine Sprecherin und zeigt sich erstaunt, dass es „offensichtlich immer noch offene Forderungen unserer Kunden gibt.“ Man wolle sich die Unterlagen anschauen und alles Weitere in die Wege leiten, um zu helfen, sieht aber in erster Linie die Airline in der Pflicht zu handeln. Die TUI-Pressesprecherin zeigt sich hilfsbereit und will selbst noch einmal bei der Airline nachhaken.

Auch die Airline entschuldigt sich und will dem Fall von Familie N. ebenfalls nachgehen. „Wir sind ständig bestrebt, unser Entschädigungsbearbeitungssystem zu verbessern, und wir können Ihnen versichern, dass die Verpflichtung der Fluggesellschaft gegenüber den Passagieren von Flug 4Y1105 so schnell wie möglich gelöst wird“, erklärt ein SmartLynx-Pressesprecher auf RTL-Anfrage.

Doch wer muss jetzt zuerst in die Pötte kommen? Laut Reiserechtler Paul Degott ist der Fall klar! „Der Reiseveranstalter schuldet dem Kunden eine gerechte Beförderung zum Urlaubsort und auch vom Urlaubsort weg – so steht es im Reisevertrag. Und der Veranstalter sucht sich auch die Fluggesellschaft aus, die dann die Flugleistung erbringen soll. Wenn die Airline das dann nicht macht, aus welchen Gründen auch immer, ist der Reisevertrag notleidend geworden – also entstehen automatisch Minderungsansprüche“, so der Jurist.

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„Der Reiseveranstalter muss zuerst handeln“ - Jurist klärt auf

Und muss die Airline den Kunden erst absagen, bevor der Reiseveranstalter aktiv werden kann?

„Das halte ich für unzulässig, weil der Flug nicht stattfinden konnte und in diesem Fall die Abreise gescheitert ist. Ob die Airline dazu auch noch etwas sagt, oder nicht, ist unerheblich“, so Degotts Einschätzung. „Entscheidend ist die Vertragsbeziehung und die haben die Kunden mit dem Reiseveranstalter und nicht mit der Airline. Der Veranstalter muss also zuerst handeln.“

Und muss der Reiseveranstalter unabhängig von der Airline aktiv werden? „Definitiv, der Veranstalter muss sogar proaktiv sein und Kunden vorab informieren, wenn ein Flug Verspätung hat, die Ersatz-Beförderung veranlassen, oder wie in diesem Fall mindestens für Übernachtungsmöglichkeiten sorgen.“

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Passagiere eines Rückholfluges aus Hurghada (Ägypten) stehen mit ihrem Gepäck im Flughafen. Wegen des Coronavirus schließen immer mehr Länder die Grenzen und Fluggesellschaften streichen immer mehr Flüge ins Ausland.
Bei Pauschalreisen: Reiserechtler Paul Degott erklärt, ob der Veranstalter, oder die Airline sich zuerst um eine Entschädigung bemühen muss.
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Flug verspätet – Urlaubstage weg! So rechnen Sie die Entschädigungssumme aus

Wie können Kunden ihre Entschädigung geltend machen, wenn ihnen durch die Flugverspätung auch Urlaubstage verloren gegangen sind?

„Wenn Pauschalreisende für eine Leistung bezahlt, aber keine Leistung bekommen haben, haben sie das Recht auf eine Minderung in Form des anteiligen Reisepreises für die verlorenen Urlaubstage.“ Gerechnet wird zum Beispiel bei zwei Reisetagen auf den Gesamtreisepreis von 100 Prozent. So rechnen Sie den Urlaubs-Tagespreis und damit auch die Entschädigungssumme aus:

  • Gesamtreisepreis dividiert durch Anzahl der Urlaubstage ergibt den Tagesreisepreis

  • Den Tagespreis dann multipliziert mit der Anzahl der verlorenen Urlaubstage

Auch im konkreten Fall von Familie N. rät der Reiserechtler dazu, sich nicht „vom Veranstalter abwimmeln“ zu lassen.

„Es muss zumindest einen Ausgleich für die zwei zusätzlichen Tage geben. Hier wäre laut des Experten auch der Tagespreis fällig, genauso wie bei zwei verlorenen Urlaubstagen. Generell sei es auch möglich, unbezahlten Urlaub geltend zu machen, wenn die Gehaltsabrechnung dem Veranstalter vorliegt und damit genaue Beträge gefordert werden können.

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"Was nicht geht, ist, dass Veranstalter und die Airline Pingpong spielen"

Doch ist die Airline dann komplett aus der Pflicht? Nein! „Parallel zu den Ansprüchen aus dem Pauschalreisebetrag gibt es auch Ansprüche aus dem EU-Fluggastrecht. Hier sind wir also bei Ausgleichsansprüchen je nach Flugstrecke in Höhe von 200 Euro, 400 Euro oder 600 Euro. In diesem Mittelstrecke-Fall wahrscheinlich 400 Euro pro Passagier. Worauf sich der Veranstalter TUI hier bezieht, ist die Regel, dass der Urlauber nicht zweimal kassieren darf.“

Der Jurist rät Kunden daher dazu, für sich auszurechnen, wo für sie mehr drin ist. Entweder über den Urlaubs-Tagesreisepreis beim Veranstalter oder über die Fluggastrechte bei der Airline. „Was aber nicht geht, ist, dass Veranstalter und die Airline Pingpong spielen und die Anträge gar nicht bearbeiten“, so der Experte deutlich.Für Familie N. scheint sich der Weg über die Fluggastrechte am meisten zu lohnen.

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Airline und Reiseveranstalter bewegen sich nicht? Wie Sie ohne Anwalt zu Ihrem Recht kommen

Und können Ex-Urlauber nach extremen Verspätungen auch ohne einen Rechtsanwalt zu ihrem Recht kommen? Im ersten Schritt sollte man sich über seine Rechte informieren und schriftlich, zum Beispiel per E-Mail, genaue Forderungen mit konkreten Beträgen auflisten.

„Wenn Sie dann lange Zeit, keine Entschädigung erhalten, muss man seine Ansprüche gerichtlich durchsetzen“, rät der Experte und gibt in Sachen Kosten Entwarnung.

„Es gibt zum Beispiel beim Amtsgericht die Beratungshilfe, für alle, die nicht in der Lage sind, die Anwaltsgebühren zu zahlen. Außerdem gibt es die Prozesskostenhilfe, wenn der Fall vor Gericht landet.“ Sein Appell: Die Kostenseite sollte die Betroffenen nicht abhalten, ihre Ansprüche weiterzuverfolgen.“

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Airline verspätet, aber zum Beispiel keine Pauschalreise gebucht? Auch Netz-Portale helfen

Außerdem können Kunden, die mit Flugausfällen oder Verspätungen zu kämpfen hatten, sich auch auf Websites wie flightright oder Flugrecht.de informieren, ihre Entschädigung ausrechnen und Tipps geben lassen. Für den Kunden entsteht kein finanzielles Risiko, wenn er sich an die Verbraucherportale wendet. Nur im Erfolgsfall ist eine Provision zu zahlen.

In der EU-Fluggastrechtsverordnung ist verankert, dass Airlines unter bestimmten Bedingungen eine Rückerstattung zu leisten haben. Bei einer Verspätung von mehr als drei Stunden, einem Flugausfall oder einer Nichtbeförderung wegen Überbuchung hat der Fluggast das Recht auf eine Entschädigung. Doch selbst bei eindeutiger Rechtslage leisten die Fluggesellschaften oftmals keine Rückzahlung an Passagiere. Daher lohnt es sich auch laut des Experten, hartnäckig dranzubleiben.

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Nach RTL-Anfrage: Airline bittet Familie per E-Mail um Bankdaten

Mittlerweile nimmt es auch bei Familie N. den Anschein, als würde ab dem 14. April 2023 Bewegung in ihren Fall kommen. „Wir haben am Freitag eine E-Mail von SmartLynx bekommen und sie bitten um unsere Bankdaten“, freut sich Claudia N.

Laut TUI-Pressesprecherin Susanne Stünckel, wird die Airline die Auszahlung in die Wege leiten, sobald sie die Bankdaten der Familie hat. RTL bleibt jedenfalls an der Geschichte dran, bis die Entschädigung auf dem Konto der Familie landet – wenn auch erst zehn Monate nach der Reise-Odyssee.